Fuck you, Pantoffeltierchen!

von Henryk Goldberg

Weimar, 8. Februar 2018. Eine frei gehängte Leinwand, ein Overhead-Projektor. Zurüstung für eine Unterrichtsstunde und eine üble Vorahnung. Und dann kommt sie. Hübsches Kleid, Brille. Und referiert, übel gelaunt und resigniert, über die Schönheit des Pantoffeltierchens und der übrigen Welt, die zum Teufel geht, weil wir uns den Teufel um sie scheren. Verliert die Nerven wegen der genervten, "scheiß-dummen Kinder", deren Gedanken wir zu hören glauben: "Fuck you, Pantoffeltierchen!" Und fragt verzweifelt "Was ist an einem After lustig?" Lustig, saulustig ist die komische Verzweiflung, die sanfte Parodie dieser Biologie-Lehrerin, die Nadja Robiné so lustvoll schmiert. Ökologisch engagiert und praktisch hilflos. Wie wir.

Jakobiner-Boygroup

Der Naturforscher und Revolutionär Georg Forster (1754 - 1794), der bereit und fähig war, die Welt anzunehmen, wie sie ist und theoretische Einsichten als Vorstufe zu tätigen Absichten zu nehmen, hat, natürlich, mit Mainz zu tun und mit Weimar haben die Intellektuellen dieser Zeit ohnehin zu tun. Und also nahm Jan Neumann Forsters "Ansichten vom Niederrhein" als gleichsam Folie für eine Koproduktion beider Häuser. Und was da im Ambiente des alten Weimarer e-Werks stattfand, wurde zur Demonstration des Unterschieds von Text und Bühne. Es zieht nämlich bei der Mainzer Lehrerin ihr Weimarer Vater ein, emeritierter Professor und bildet mit Freund Georg und dem Nachbarn Thomas eine debattierende Boygroup mit Jakobiner-Mützen und Abstimmungs-Anfällen. Was tun, das ist ihr Bedürfnis. Was tun? Das ist ihr Problem. Es geht ihnen wie uns. Die UNO ist nicht klimaneutral zu erreichen, also soll es mit dem Floß zum Landtag gehen, denen da die Meinung sagen, aber irgendwie fließt der Rhein in die falsche Richtung und so beginnt ein so komischer wie ernsthafter Rivertrip.

Es war eine gute Entscheidung, dem Rezensenten nicht wie erbeten, vorab den Text zu schicken, der hätte sich sonst gegruselt. Welch ein Irrtum. Denn miteins beginnt dieser merkwürdige Text, den Jan Neumann mit seiner Truppe für den Gebrauch dieser Aufführung schrieb, zu funkeln und zu glänzen. Es ist, als würden sie die Ernsthaftigkeit hinter der Ironie suchen, die heute häufig über allem liegt, als würden sie gleichsam die von ihnen geschaffene Ironie, wie man so sagt, dekonstruieren.

Dreimal3 560 LucaAbbiento uVenceremos! Wir werden siegen! Jonas Schlagowsky, Nadja Robiné, Mark Ortel, Sebastian Brandes
© Luca Abbiento

Sie jagen hechelnd ein langes, breites Brett, das Floß, wie ein Karussell um seine Achse, hinten erscheint ein Wesen mit goldenem Lametta von Kopf bis Fuß, das ist so albern, dass es schon wieder lustig ist. Thomas, der vom Reisebüro, klagt, Jonas Schlagowsky macht das komisch verzweifelt, dass er morgens 10 nach sechs schon weiß, was er um zwei machen wird auf dem Klo. Michael, der Professor, klagt über die Kanaken, die sein Leben beunruhigen, der Schauspieler Sebastian Brandes ist aus dem koproduzierenden Mainz und macht den peniblen, das Leben bemäkelnden Thüringer. Georg, Mark Ortel, auch aus Mainz, der Sanfte, enthält sich bei jeder Abstimmung und sucht im Übrigen einen Menschen, einfach einen Menschen.

Dascha Trautwein erscheint lang angeschmiert als das Universum und der Rhein, aber dann macht sie eine exzentrische, surreale Gastgeberin, derweil ihre Gäste im Badeschaum schäumen und träumen und die Seifenblasen schweben. Und in dieser beinahe zauberischen Szenerie kann sie ernsthaft, ohne einen Hauch von Albernheit mit dem Mikro über Geld und Markt und Macht sprechen. So wie sie am Ende als Europaabgeordnete ernsthaft über Georg Forster und seine Nutzanwendung sprechen kann – und immer wieder unterbricht, um als Politikerin die Rede zu korrigieren, die Wirkung zu optimieren.

Dreimal2 560 LucaAbbiento uBürgerliche Revolutionäre: Sebastian Brandes, Mark Ortel © Luca Abbiento
Und das ist das Prinzip, der Trick des in Inhalt und Form so sehr überzeugenden Abends: ein glänzender Rhythmus von Blödelei und Bedeutung. Die Ironie, die überbordende Selbstironie erst ermöglicht es, die ernsthaften Texte über Umwelt und Gerechtigkeit, über Menschen und ihre Rechte, vollkommen unironisch beim Nennwert zu nehmen. Was für sich genommen häufig klänge wie politisch korrekte und didaktisch wertvolle Dutzendware, das gewinnt so seine Substanz zurück.

Es ist, als zitierten sie die umgehende souverän-spaßige Umgangskultur, der alles Jokus ist – und dann halten sie die Ironiemaschine an und zeigen uns, was von ihr, in ihr, durch sie alles verwurstet wird. So entsteht, in aller Überdrehtheit, in aller Tollerei, in aller Albernheit in der Struktur der Inszenierung ein strukturelles Abbild dieser Gesellschaft. Und so kann sich ein Publikum an diesem hochtourig aufgedrehten Ensemble erfreuen – und sich einen Augenblick später fragen, weshalb das Ernsthafte mitunter so albern ist. Am Ende schwebt, tanzt zwischen zwei Ventilatoren ein goldenes Band frei im Raum. Ein Traum von Freiheit und Harmonie. Glänzend.

 

Drei Mal die Welt
Stückentwicklung von Jan Neumann und Ensemble
Uraufführung
Koproduktion mit dem Staatstheater Mainz
Regie: Jan Neumann, Bühne: Matthias Werner, Kostüme: Cary Gayler, Musik Johannes Win-de, Dramaturgie Beate Seidel / Jörg Vorhaben
Mit: Sebastian Brandes, Mark Ortel, Nadja Robiné, Jonas Schlagowsky, Dascha Trautwein.
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.nationaltheater-weimar.de

 

Kritikenrundschau

Heftig pendelnd zwischen Klamauk und Komödie, Kalauer und Poesie endet, so Michael Helbing von der Thüringischen Landeszeitung (10.2.2018), die holprige Reise vierer Verschiedenmeinender gen Brüsseler EU-Parlament unerwartet als "sehr unterhaltsamer und intelligenter Abend über Demokratie mit Selbstbeteiligung, über Meinungsbildung und letztlich eben über Weltanschauung". Furios beginne die von Jan Neumann mit fünf Schauspielern "herbeirecherchierte und improvisierte" Inszenierung, "mit einem gnadenlos begnadeten Auftritt von Nadja Robiné als Johanna: Biologielehrerin am Georg- Forster-Gymnasium". Das hervorragende Ensemble meide "jede Karikatur", so Helbing: "Sie alle laden ihre komischen Figuren auf mit ernsthaftem Zweifel und Verzweiflung, mit ehrlicher Wut, Angst und Hoffnung. Sie lassen sie an die eigenen Grenzen stoßen und erlauben ihnen doch, wenn sie schon nicht zu beseitigen sind, sie zu verschieben."

Matthias Bischoff schreibt nach der Mainzer Premiere in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (19.2.2018): In dem "durch und durch komischen Stück" würden Warnungen vor "der globalen Katastrophe" durch "gewitzte Ironie" erträglich gemacht, "Agit-Prop und Dekonstruktion des Protest-Diskurses" gingen "fröhlich Hand in Hand". Was Jan Neumann aus dem "Aufeinanderprallen der vier Egos" heraushole, sei ein "bis in die Details stimmiger Slapstick-Marathon" auf dem "schmalsten Grat zwischen Tiefgang und Klamauk". Da jede politische Position oder Haltung "gleichermaßen veralbert" werde, behalte sie andererseits auch "ihr Recht". Weil das "Edelmenschenpathos" schwer erträglich sei und "wir uns gegen Belehrung auflehnen", würden die "ernsthaften Tiraden über Gerechtigkeit, Teilhabe und Umwelt" immer wieder "relativiert, veralbert, gebrochen". Vielleicht "tatsächlich der einzige Weg", auf einer Bühne darüber zu verhandeln, dass "Tun besser" sei "als Reden".

Johanna Duprè schreibt im Wiesbadner Kurier und in der Mainzer Allgemeinen Zeitung (19.2.2018): Es spräche für das Stück und die Schauspieler, dass man, wenn politische Konflikte verhandelt würden, "ganz bei den Figuren" sei. Etwa beim Vater, der bekenne, "einfach Angst zu haben vor Terrorismus, Gewalt, Veränderung". Genauso wie bei der Tochter, die deutlich mache, dass sie bei der "geschlossenen Gesellschaft", für die ihr 1989 noch für den Mauerfall auf die Straße gezogener Vater wirbt, auf der "anderen Seite der Grenze" stünde. Zudem sei, was sich auf der Bühne entfalte, schlicht ein "sprühendes Humor-Feuerwerk". Wenn "das Ganze" mit einem "flammenden Plädoyer für Demokratie und Humanismus" ende hätten Jan Neumann und sein Ensemble zwar kein Stück vorgelegt, "das zur Frage nach einer Revolution in heutigen Zeiten gedanklich konsequent einer Argumentationslinie" folge. Wie auch? Aber jedenfalls sei die "humorvolle, in viele Richtungen offene und Denkanstöße gebende Infahrt" in dieser Hinsich "nicht das schlechteste".

 

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