#Metoo und Spitzenhäubchen

von Leopold Lippert

Wien, 19. Februar 2018. An Tagen, an denen ernsthaft darüber debattiert wird, ob Herzogin Kates dunkelgrünes Kleid mit schwarzem Gürtel nun als Symbol der Verweigerung oder doch der Solidarität mit der "Time's up"-Initiative verstanden werden soll, hat Sybille Bergs flapsige Frauenrevue mit augenzwinkerndem Bibelbezug schon fast etwas Ehrenrühriges. Nicht dass ihr kurzes Stück "Missionen der Schönheit: Holofernesmomente", bereits 2010 uraufgeführt, an Aktualität verloren hätte: von sexueller Gewalt über sexistische Rollenklischees bis zu alltäglichen Mikroaggressionen thematisiert Berg vieles, was "Time's up" und #metoo in den letzten Monaten wieder ins Zentrum der medialen Aufmerksamkeit gerückt haben. Aber die acht Skizzen, in denen acht Judits ihre Lebensgeschichten erzählen, sperren sich gegen simple politische Instrumentalisierung: zu nonchalant, zu kontextfrei, zu paradox reiht Berg ihre Frauenschicksale aneinander.

Abgründiger Kaffeeklatsch

Die jüngste Judit ist 12, die älteste 75, sie kommen aus Berlin und Kinshasa, aus Kiew und Johannesburg. Sie vergiften ihre Männer und Söhne und lagern die Leichen im Keller. Sie darben in unglücklichen Ehen. Sie werden gequält und vergewaltigt. Und sie werden Pornostars. Und sie alle haben sich mit ihren Leben arrangiert, und berichten davon, als ob es das Normalste der Welt wäre. Berg lässt ihre Frauen achtlos vor sich hinplaudern, und menschliche Abgründe klingen dabei wie Kaffeeklatsch.

Missionen1 560 Sandra Keplinger uAnna Kramer und Paola Aguilera  © Sandra Keplinger

Regisseurin Julia Burger, die "Missionen der Schönheit" im Wiener Werk X inszeniert hat, hat diese Lebensgeschichten auf eine komplett weiße Bühne (Matthias Krische) gestellt, ein Fragment eines Zimmers aus Europaletten, Schemeln, leeren Flaschen, und abgetrennten Körperteilen aus Gips. Auf dem schal beleuchteten Quadrat, um das U-förmig Sitzreihen angeordnet sind, tun sich die beiden Schauspielerinnen Paola Aguilera und Anna Kramer (ausstaffiert mit rosa Perücken und bunten Kleidchen) schwer mit der Akustik, treffen aber ansonsten den lakonischen Berg-Ton recht genau. Mit großen Augen und Pausbäckchen spielt Anna Kramer Judit aus Kiew, die schon Miss Po war ("mehrfach!"), als Model, Nachtclub-Tänzerin und Pornodarstellerin arbeitet, und eigentlich nur aufs Playboy-Cover möchte. "Ich wusste dass man sich eine Karriere erarbeiten muss, und das ließ mich den Job ertragen", konstatiert sie nüchtern. Paola Aguilera wird derweil mit ausladender Geste zu Judit aus Berlin, die verdrossen darüber sinniert, ob als Selbstbeschreibung eher "unscheinbar abstoßend" oder "abstoßend unscheinbar" zutrifft. Sie wird sich schließlich das Gesicht zerschneiden.

Schminke rauf, Schminke runter

Im Kleinen funktioniert das ganz gut. Man lacht unversehens über Anekdoten, die eigentlich überhaupt nicht zum Lachen sind. Und man staunt über Schauspielerinnen, die in intimem Tonfall arg Sarkastisch-Distanziertes eröffnen. Aber als Ganzes will sich der Abend nicht recht entfalten: Zu sehr ordnet sich Burger der Nummernrevue-Logik der Textvorlage unter, und szenisch passiert nicht viel mehr als Kleidchen an, Kleidchen aus, Schminke rauf, Schminke runter, Gipsbandage rumgewickelt, Gipsbandage runtergeschnitten. Als Pausenfüller gibt es Stereo Total in der Endlosschleife. Trotz der strengen Gips-Ästhetik fehlt der Inszenierung eine größere Bedeutungsklammer, und das macht selbst den besten Kaffeeklatsch bald ermüdend.

 

Missionen der Schönheit: Holofernesmomente
von Sibylle Berg
Regie: Julia Burger, Bühne: Matthias Krische, Produktionsleitung: Stephan Werner, Assistenz: Natalja Kreil.
Mit: Paola Aguilera, Anna Kramer.
Dauer: 50 Minuten, keine Pause

www.werk-x.at

 

Kritikenrundschau

"Die acht Judits führen ihre persönlichen Kriege gegen Unterdrückung und unerfüllbare Normen. Sie haben sich ihre eigenen Wahrheiten für das Leben gesucht. Diese bringen sie mit einer Kaltblütigkeit auf die Bühne des Werk X, die einen schaudern lässt", schreibt Hannah Mühlparzer vom Standard (22.2.2018). "Vor den Zuschauern manifestiert sich etwas zwischen Panik und Abgeklärtheit, die tiefe Erschütterung, aber auch ein wenig Überforderung zurücklässt."

Das Bühnenbild von Matthias Krische wirke so unordentlich wie archaisch wie großartig, schreibt Thomas Kramar von der Presse (20.2.2018). Julia Burgers Inszenierung sei rhythmisch stimmig.

"Ohne den subtilen Humor der Vorlage kabarettistisch auszuschlachten, sammeln sie Publikumssympathien, Aguilera lebhafter, Kramer abgebrüht phlegmatisch", schreibt Martin Pesl in der Wiener Zeitung (21.2.2018). "Dennoch gelingt es nicht zu verschleiern, dass der Text zwar bösen Biss, aber wenig dramatisches Potenzial hat." 

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