Mammon, Meerschwein, Melancholie

von Eva Biringer

23. Februar 2018. Auf der Bühne gähnt ein Schlitz. Sieht aus wie etwas, das mit Bargeld gefüttert werden will oder wie der röhrenartige Eingang zu Onkel Dagoberts Geldspeicher. In einem der stärksten Momente der Inszenierung rotiert diese Röhre um ihre eigene Achse, mitsamt dem Jedermann darin. Erst zwingt sie ihn, auf allen Vieren zu gehen, dann balanciert er sich allmählich in die Vertikale, vom Neandertaler zum Homo oeconomicus. Je mehr die Röhre an Geschwindigkeit zulegt, desto mehr muss sich dieser Jedermann, der ein Männchen ist, abstrampeln, bis er schließlich zusammenbricht. Unter Managern spricht man von Burnout.

Teufel, Gott und Bankenwelt

Gut hundert Jahre zuvor hatten die Leute natürlich andere Probleme. Uraufgeführt wurde Hugo von Hofmannsthals "Jedermann" 1911 in Berlin. Seit 1920 wird das Stück jedes Jahr mit hochkarätiger Besetzung bei den Salzburger Festspielen inszeniert. Als Auftragswerk für das Burgtheater hat der Autor Ferdinand Schmalz den Klassiker jetzt umgeschrieben oder besser gesagt durchgeschüttelt wie ein Sparschwein. Zwar gehen in "Jedermann (stirbt)" noch immer Gott und der Teufel eine Wette um eine Menschenseele ein, aber zwischendrin geht es um marode Banken, "fickendes Geld" und den Zinseszins. Irgendwie auch um Geflüchtete.

Jedermann stirbt 560 GeorgSoulekBurgtheater uSündenfallfreudig: Die (teuflisch) gute Gesellschaft © Georg Soulek / Burgtheater

Schauplatz ist ein (im Text: kein) Garten im Wiener Umland, der sich mit einem Zaun gegen die Außenwelt abschottet, also FPÖ-Österreich und Garten Eden gleichermaßen. Es treten auf: "Die (teuflisch) gute Gesellschaft" in Form des chorisch zischenden Ensembles, das Ganzkörperanzüge trägt und sparkassenrot eingefärbte Zungen. Wie einem Gemälde von Hieronymus Bosch entstiegen spreizt es die Finger zu Teufelshörnern und erfreut sich am Sündenfall. Gott ist bei Oliver Stokowski am Rauschebart zu erkennen.

Holpern in Schmalz' Universum

Markus Hering spielt den Protagonisten als gönnerhaften Big Spender, dessen "Performance", um mal beim Managersprech zu bleiben, im leider unvermeidbaren direkten Vergleich mit den letzten Salzburger Jedermännern (Peter Simonischek, Nicholas Ofczarek, Tobias Moretti) zurückfällt. Gier, Ego, Größenwahn, dazu die meerschweinchenfarbene Perücke und schon wissen alle, wer gemeint ist. Der bescheidene Wunsch einer Theatervielseherin: Bitte eine Quote für Trump-Vergleiche einführen.

Jedermanns Frau wird wenig facettenreich gespielt von Katharina Lorenz, als ein Bunny, das seinem Playboy an Lippen und Hosenbein hängt. Der Vergleich ist auch deswegen angebracht, weil Jedermann stellenweise einen, hoppla, Bademantel trägt. Auch hier wäre hinsichtlich der vielen #MeToo-Querverweise auf deutschsprachigen Bühnen über eine Bademantelquote nachzudenken. Mehr Grandezza hat Barbara Petritsch als Buhlschaft Tod, sehr viel mehr Mavie "Goldmavie" Hörbiger in der Doppelrolle des "Mammons" und der "Guten Werke". Glänzend, wie sie aus dem Dekolleté gepflückte Scheine in die vorderen Reihen wirft. Die Zuschauer greifen danach und geben Szenenapplaus. Auch Markus Meyer und Sebastian Wendelin als Jedermanns Vetter laufen zur Hochform auf, wenn ihre Gesichtszüge beim Anblick von Bargeld holpern wie ein Roulettetisch. Im Gegensatz zu allen anderen Rollen passen sie am ehesten in Schmalz’ Universum, was schade ist.

Wenig Witz mit Hintersinn

Es ist nämlich so: Ferdinand Schmalz gilt zu Recht als große Hoffnung der deutschsprachigen Literatur. Letztes Jahr gewann er den Bachmann-Wettbewerb mit einer schrullig-morbiden Erzählung über einen Tiefkühlwarenlieferanten, der mit dem Selbstmord eines Kunden konfrontiert wird. Sein Autorenvideo drehte er auf dem Friedhof. Anders als viele denkt der 1985 Geborene über den Tod nach, auf eine sehr wienerische Art, obwohl er Grazer ist: kunstvoll, melancholisch, mit leisem, bösem Humor. Sprachkunstvoll ist auch seine Interpretation des "Jedermann", aber doch weitaus weniger bezwingend als andere Theaterstücke, etwa "Dosenfleisch" oder "Der Herzerlfresser".

Jedermann stirbt 560a GeorgSoulekBurgtheater u Güldener Glanz des Geldes: Olaf Altmanns Bühnenbild © Georg Soulek / Burgtheater

Noch dazu tut Stefan Bachmanns Inszenierung dem Text in mancherlei Hinsicht keinen Gefallen. Stellenweise werden die reimartigen Sätze stakkatoartig gesungen und von einem Klavier mit Hang zur Dissonanz begleitet (Komposition und musikalische Leitung: Sven Kaiser), was auf ungute Art an Kurt Weill erinnert. Schmalz' ohnehin schon anspruchsvoller Text, übrigens in Gänze im Programmheft abgedruckt, verliert so jede Chance auf Verständnis.

Die Idee der Kostümbildnerin Esther Geremus, alle Darsteller in Goldnuancen zu kleiden, ist schlüssig, aber nicht sehr originell, noch weniger originell, dass sie nach Jedermanns Ableben schwarz tragen. Einem Jackpot gleich kommt Olaf Altmanns Bühnenbild, eine die ganze Bühne erfassende, goldene in-your-face-Wand, mit dem eingangs erwähnten Loch als einzigem Ausweg.

In ihren besten Momenten ähnelt Bachmanns Inszenierung einem Film von Tim Burton, spukig, morbide, dem Tod von der Schippe springend. Oft jedoch verliert sie sich zwischen theatergewordenem Politik- und Wirtschaftsteil einer Tageszeitung, hier die Panama Papers und Bad Banks, dort die Flüchtlingskrise und Trump und alles in allem viel zu wenig von Ferdinand Schmalz' hintersinnigem Witz. Am Ende stirbt Jedermann bleich und nackt wie ein Blankoschein, der Bühnenlochgeldschlitz hat längst aufgehört sich zu drehen. Anders als bei Hofmannsthal ist nicht klar, ob er im Himmel oder in der Hölle gelandet ist. Vielleicht ja auch irgendwo, um seinen Burnout zu therapieren.

 

Jedermann (stirbt)
von Ferdinand Schmalz (nach Hugo von Hofmannsthal)
Regie: Stefan Bachmann, Bühnenbild: Olaf Altmann, Kostüme: Esther Geremus, Komposition und musikalische Leitung: Sven Kaiser, Choreographie und Körperarbeit: Sabina Perry, Licht: Friedrich Rom, Dramaturgie: Hans Mrak, Livemusik: Sven Kaiser, Béla Fischer.
Mit: Markus Hering, Katharina Lorenz, Elisabeth Augustin, Barbara Petritsch, Markus Meyer, Sebastian Wendelin, Oliver Stokowski, Mavie Hörbiger.
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause

www.burgtheater.at

 

Kritikenrundschau

Ferdinand Schmalz‘ Könnerschaft besteht darin, dem Original dicht auf den Fersen zu sein, aber sich in einer eigenen, weltlich-unsentimentalen Verssprache die Bigotterie vom Leib zu halten. - derstandard.at/2000074932029/Jetzt-fast-ohne-Gott-jedermann-stirbt-am-Burgtheater

"Ferdinand Schmalz‘ Könnerschaft besteht darin, dem Original dicht auf den Fersen zu sein, aber sich in einer eigenen, weltlich-unsentimentalen Verssprache die Bigotterie vom Leib zu halten", schreibt Margarete Affenzeller im Standard (online 24.2.2018). "Sein neuer Jedermann (Markus Hering) ist ein superreicher Börsenspekulant, der jede Tat und jede Regung als Geschäftsmöglichkeit betrachtet." Seine Rede an den Verbindlichkeitswert des Geldes, an dessen Gottgleichheit und göttlichen Glaubensgrad gehöre zu den erhellendsten Momenten im Kunstfigurenkabinett von Regisseur Stefan Bachmann und seiner formalisiert-märchenhaften Inszenierung.

Christoph Leibolds Beitrag für den Deutschlandfunk steht auf der DLF-Website (24.2.2018): Obwohl in den Dialogen immer wieder ganz "unpoetisch" von "Investment", "Analysten" oder "Kleinanlegern" die Rede sei, handele es sich bei diesem "Jedermann 2.0" keineswegs um eine "platte Aktualisierung". Dagegen stehe schon die Sprache von Ferdinand Schmalz. Sie sei "melodisch und rhythmisiert" weshalb Stefan Bachmann den Text als Partitur nehme und streckenweise als "fulminante Sprechoper" inszeniere. Auch die Bühne von Olaf Altmann sei "ein Pfund", mt ihrem "klaffenden Loch", einem "Höllenschlund", "Hamsterrad"oder auch "ein Geburtskanal", in Bachmann das Ensemble "zu Beginn hineinzwängt, nackt wie die ersten Menschen". Schmalz habe den Jedermann einerseits ins heute fortgeschrieben, andererseits werfe er die Frage nach einem reichen Leben im Hier und Jetzt auf, "das sich nicht primär durch materiellen Wohlstand definiert". Leibold empfiehlt den Hoffmannsthalschen Text des Jedermann für die sommerlichen Festspiele durch den Text von Ferdinand Schmalz zu ersetzen.

"Ein klu­ges Stück, ein hin­ter­grün­dig’ Spiel ha­ben wir da ge­se­hen, hat Schmalz hier uns ge­ge­ben. Könnt’ Salz­burg sich ent­schlie­ßen nur, dies 'Ster­ben ei­nes rei­chen Man­nes' statt Hof­manns­thal zur Auf­füh­rung zu brin­gen, was füh­ren wir doch gern ans Salz­ach­ufer, auf den Dom­platz hin. So aber dür­fen wir im Burg­thea­ter, in Do­nau­n­äh’, der wit­zig-schlau­en Dar­bie­tung uns ganz er­ge­ben und 'Bra­vo' ru­fen, bis der letz­te Vor­hang fällt", jubelt Martin Lhotz­ky in der FAZ (26.2.2018).

Ferdinand Schmalz variiere Hofmannsthals Knittelverse metaphernreich und wechsele zwischen hohem Ton und Alltagssprache. Er klammere Gott und Teufel nicht aus und mache doch ein eindeutig zeitgenössisches Stück daraus, schreibt Tobias Gerosa in der Neuen Zürcher Zeitung (26.2.2018). "Stefan Bachmanns Uraufführungsinszenierung hält sich nicht sklavisch an die Vorlage und wird ihr doch gerecht." In der Fokussierung auf den quasi oratorischen Charakter und die genaue Körperarbeit schaffe die Inszenierung eine große Konzentration.

"Bisher waren die Stücke von Ferdinand Schmalz meist ein Fall für die Studiobühne; im Burgtheater hat er sich in den vergangenen Spielzeiten vom winzigen Vestibül über Kasino und Akademietheater auf die große Bühne emporgearbeitet", erläutert Wolfgang Kralicek in der Süddeutschen Zeitung (28.2.2018). "Erstaunlich, wie gut seine feinziselierte Sprache sich dort behauptet. Das liegt einerseits daran, dass der Text diesmal direkter, weniger verspielt daherkommt, als man das von Schmalz gewohnt ist, und andererseits an der klaren Form, die der Regisseur Stefan Bachmann in seiner heiter-erschütternden Inszenierung gefunden hat."

Seine Rede an den Verbindlichkeitswert des Geldes, an dessen Gottgleichheit und göttlichen Glaubensgrad gehört zu den erhellendsten Momenten im Kunstfigurenkabinett von Regisseur Stefan Bachmann; Bühnenbildner Olaf Altmann und Kostümbildnerin Esther Geremus haben es in goldene Farben getaucht. - derstandard.at/2000074932029/Jetzt-fast-ohne-Gott-jedermann-stirbt-am-Burgtheater

 

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