Blut und Rosen

von Janis El-Bira

8. März 2018. Die Weißflügelseeschwalbe hat es nicht leicht in Uganda. Der sumpfige Grund ihres Winterquartiers am nördlichen Rand des Viktoriasees verwandelt sich durch unzählige LKW-Ladungen Dreck und Industrieabfall zusehends in ein asphalthartes Gelände.

Es sind vor allem die rund um die Stadt Entebbe ansässigen Rosenzüchter, die hier ihren Müll abladen. Denn Uganda ist einer der weltgrößten Rosenexporteure: Mehr als zehntausend Tonnen gelangen jährlich ins Ausland, vor allem nach Europa. Hier zieren sie Feste und Feiern, Hochzeiten, Valentinstage und Beerdigungen. Knapp sieben Tage halten sich handelsübliche Rosen in den Blumenvasen der Ersten Welt. Folglich muss und kann Uganda, eines der ärmsten Länder der Erde, ganzjährig günstigen Nachschub liefern. Der perfekte kapitalistische Kreislauf also. Selbst schuld, wenn Weißflügelseeschwalben nicht an die unsichtbare Hand des Marktes glauben.

Die tote Schwedin im Bett

Obwohl nur eine Randerscheinung in Christoph Nix' neuem Roman "Muzungu", so ist die ugandische Rosenindustrie doch ein schönes Abbild des Gevierts aus wirtschaftlichem und romantischem Kapital, Erster und Dritter Welt, in das Nix seine Geschichte spannt. Wo Liebe, Macht und Geld in gegensätzlichem Interesse die Wege kreuzen, da produzieren sie nicht selten eine Leiche. So auch hier. Liv Utstedt heißt sie, ist als Ärztin für eine NGO in Uganda tätig und liegt zu Beginn des Buchs nackt und erdrosselt im Bett. Als gebürtige Schwedin ist sie in der Bantusprache eine Muzunga, eine Weiße. Zwei ugandische Polizisten nehmen sich des Falls an und dringen dabei tief ein ins korrupte Netz der Innenpolitik ihres blutig zwischen Gold, Öl und Rosen gespaltenen Landes. Doch die Spur und mit ihr dieser Roman führen weit über Ostafrika hinaus, nämlich ins alte Europa und um mehrere Jahrzehnte zurück zum Anfang einer gefährlichen Liebschaft. Aus dem klassischen Whodunit wird ein geopsychologisches "What caused it?".

Cover Muzungu 180Der Autor Christoph Nix, doppeltpromovierter Juraprofessor, Theaterwissenschaftler, ausgebildeter Clown, Schriftsteller und Noch-Intendant des Theaters Konstanz, ist einer, der sich auskennt. Und weil er sich auskennt, ist "Muzungu", Nix' dritter Roman nach "Junge Hunde" (2008) und "Rabenjagd" (2009), auch nicht einfach nur ein Krimi. Nix, der auf dem afrikanischen Kontinent selbst mehrere Theaterprojekte realisiert hat, will auch hier aufs Ganze gehen. Von Afrika und Europa will er erzählen, Schwarzen und Weißen, altem und neuem Kolonialdenken, ugandischen Stammeskonflikten, Joseph Konys Kindersoldaten und der Friedensvision des 1986 ermordeten schwedischen Premierministers Olof Palme. Von zerbrochenen Idealisten, versoffenen Entwicklungshelfern und der Aufrichtigkeit kleiner Leute. Von einem korrumpierten Hoffnungsträger im Präsidentenamt ebenso wie von dessen greller Diktatorengattin, die ihren Gott liebt und die Menschen verachtet.

Abtauchende Pappwegweiser

Daraus jedoch erwächst dem Generalanalytiker Nix schnell ein erhebliches erzählökonomisches Problem. Denn aus der Krimi-Vertikalen kann er nur unter Verlusten in die Breite der Panoramaperspektive und wieder zurück wechseln. Der Mord an seiner Hauptfigur setzt keinen linearen Ermittlungsplot in Gang, sondern dient Nix als Anlass, seinen Lesern in Schlaglichtern zu erläutern, wer und was Uganda eigentlich so ruiniert hat. Die Figuren sind ihm dabei in erster Linie bloße Ideenträger. Als bunt beklebte Pappwegweiser in der afrikanischen Tragödie schneien sie meist ebenso schnell in die Erzählung hinein, wie sie wieder abtauchen.

50 Seiten Feuerwerk

Dazu immerhin passt der keusche Stil des Autors, denn auch dieser ist denkbar weit entfernt von den geschmacklichen Grauzonen echter Genreliteratur. Merklich darum bemüht, jeden Anflug von Afrika-Kitsch zu vermeiden, verordnet Nix sich eine puritanische Reizarmut aus kürzesten Satzkonstruktionen und bemerkenswert blassen Bildern. Tatsächlich ist das teilweise – etwa dort, wo Nix über Gewalt schreibt – allemal beeindruckend frostig. Kurios behelfsmäßig wird es hingegen, wenn die spröde Sprache dann doch gelegentlich von einem matten Hauch Sinnlichkeit angeweht wird: "Sie war gerade einmal zwanzig Jahre alt", heißt es da in einer Rückblende über die junge Liv Utstedt, "blond, rank und schlank und klug. Alles an ihr roch nach Abenteuer und Rebellion."

Es dauert lange, bis "Muzungu" im letzten Viertel seines schmalen Umfangs doch noch ganz Thriller wird. Dann aber geht alles ganz schnell und Nix zündet ungeahnt jede Menge kriminalliterarisches Tischfeuerwerk, inklusive Geheimtür, Großkomplott und tödlichem Besuch aus der Vergangenheit. Wer bis dahin noch nicht die Weißflügelseeschwalbe gemacht und sich einen anderen Nistplatz gesucht hat, liest spannende fünfzig Seiten.

 

Muzungu
von Christoph Nix
Transit Buchverlag, 208 Seiten, 20 Euro
ISBN 978-3-88747-362-4

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