Ein Stück Fleisch, das Angst hat

von Mounia Meiborg

Berlin, 19. Juni 2008. Eine Telenovela erzählt wenig darüber, wie die Menschen eines Landes sind, dafür umso mehr, wie sie gerne wären. Als Barometer nationaler Sehnsüchte eignet sie sich deshalb hervorragend. Wie kann also eine Fernsehserie aus Kuba aussehen, einem Land, das politisch von Kolonialismus, kommunistischer Revolution und Armut geprägt ist? Und wie kann diese Telenovela zu einem deutschen Theaterabend werden?

Zunächst einmal sind da surreale Videobilder. Eine Prostituierte bringt unter fachkundiger Anleitung eines Transvestiten in einem Taxi ihr Kind zur Welt. Und in Carolin Mylords und Andreas Deinerts Inszenierung "El Perro Cubano" (dt: Der kubanische Hund), einer Telenovela "frei nach Motiven von Pedro Almodóvar, Luis Bunuel und Amir Valle" folgen ähnlich körperbetonte Szenen auf der Bühne.

Ein Schuss fällt

Lieben und leiden auf kubanisch, das lässt von Schusswaffen und Revolutionsparolen bis hin zu Salsamusik und Zigarre kein Klischee aus dem Reiseführer aus. Der Zuschauer sitzt im Bühnenraum von Gabriel Hermida auf der Drehbühne, die ihn voyeuristisch nah an den nächsten Schauplatz und die nächste Leinwand heranbugsiert.

Auf der Hinterbühne befindet sich ein Wohnzimmer: Schaukelstuhl, Zimmerpalmen, Plüschsofa, dahinter der Zuschauerraum der Berliner Volksbühne mit den samtrot bezogenen Sesseln. Besonders kubanisch wirkt dieser Teil des Interieurs nicht, eher bürgerlich-europäisch. Nur die gold gerahmten Madonnenbilder lassen Karibik erahnen. Hier empfängt die Schriftstellerin Swetlana in Glitzertop und kurzem Röckchen Kokslieferanten und Liebhaber.

Als Ismael, ein junger Verehrer, auftaucht und ein Gerangel entsteht, eilen die zwei Polizisten Rául und Arturo herbei. Ein Schuss fällt, Rául wird verwundet, und Ismael muss ins Gefängnis. Swetlana heiratet ihren Retter Rául, der früher eine Affäre mit Arturos Frau Bárbara hatte, und nun im Rollstuhl sitzt und eifersüchtig auf Ismael ist. Arturo streitet sich indessen weiter mit Bárbara, die ihn wegen Ismael zu verlassen droht. Die Verstrickungen folgen der gängigen Fernsehdramaturgie, die Hauptmotive der Handlung sind Begierde und Eifersucht.

Melancholische Lieder im Duett

Regisseurin Mylord, die selbst als Schauspielerin an der Volksbühne engagiert ist, leitet ihr Ensemble dabei teilweise zu großartig humoreskem Spiel in Wechselwirkung mit Jens Crulls Videobildern an. Klischees werden zitiert, Filmstereotypen wie amerikanische Cops mit Sonnenbrillen parodiert. Wenn Arturo seine Frau Bárbara nicht gerade schlägt oder sie mit einer Waffe auf ihn zielt, dann entfliehen Marinella Damiani und Arturo Martinez ihrer engen Küche und singen im Duett wunderschön melancholische Lieder.

Thomas Müller als Ismael ist dagegen völlig überfordert mit seinen Gefühlen für Swetlana. Fluchend wringt er unter der Dusche den Duschvorhang aus, als würde er seinem Konkurrenten Rául den Hals umdrehen. Und der steigert sich bei Max Gertsch so in seinen Wahn hinein, dass er über den Boden kriecht und keucht: "Ich bin doch nur ein Stück Fleisch, das Angst hat." Diese existentielle Verzweiflung ist der Punkt, an dem die Telenovela zum Volksbühnen-Theater wird. Leider sind diese Momente rar, allzu viel Handlung will erzählt, entwirrt und ironisiert werden.

Sehnsucht nach Silikon

Den Spagat zwischen den Sparten – mal realistisches Spiel, mal Seifenoperimitat – können die Schauspieler dabei nicht immer überwinden. Selten, zu selten, geht es um etwas außerhalb des Beziehungsknäuels. Manchmal jedoch zeigt das globale Format Telenovela seine lokalen Besonderheiten. Etwa, wenn Marie Höcker als Swetlana daran verzweifelt, dass in ihrem Land die kritischen Zeitungen verboten werden – und das an den kubanischen Autor und Journalisten Amir Valle denken lässt, der von der Castro-Regierung geächtet wird und derzeit als "Writer in Exile" in Deutschland Asyl gefunden hat.

Oder wenn Axel Wandtke als Transvestit Magnolia von einem Ort träumt, an dem Schwule in Ruhe gelassen werden, und sie sich Silikonbrüste implantieren lassen kann. Tragisch und komisch zugleich, wird in diesen Momenten deutlich, dass die Sehnsucht dort besonders stark wächst, wo sie vom Regime unterdrückt wird. Ganz zum Schluss legen dann in "El Perro Cubano" die Schauspieler ihre Rollen ab. "Die Telenovela ist abgesetzt, hat der Comandante entschieden", rufen sie. Das Spiel ist aus, die Sehnsucht nach einem anderen Leben im Keim erstickt. 

 

El Perro Cubano
von Carolin Mylord
Inszenierung: Carolin Mylord/Andreas Deinert, Ausstattung: Gabriel Hermida, Video: Jens Crull.
Mit: Marinella Damiani, Andreas Deinert, Nadine Dubois, Maurici Farré, Max Gertsch, Marie Löcker, Arturo Martinez, Thomas Müller, Axel Wandtke.

www.volksbuehne-berlin.de

 

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