Weißes Rauschen

von Martin Thomas Pesl

Wien, 15. März 2018. Servus. Das ist ja eigentlich Latein und bedeutet "Sklave". Mit "Onkel Toms Hütte" hat dieser Hinweis nur oberflächlich zu tun – mit dem Roman von Harriet Beecher Stowe und mit dem Theaterabend, den Harald Posch im Werk X drumherum gebaut hat. Dort spielen drei Männer und zwei Frauen, alle weiß. Das Backstage-Team, die sogenannten "Schwarzen": auch alle weiß. Haha. Oh je. "Es hat sich kein Schwarzer beworben", heißt es irgendwann. Und ein verstümmeltes Zebra kommt auch vor. Das Zebra ist schon schwarz, aber eben auch weiß. Oh Gott, das arme Zebra.

Färbt ab, die ADHS-Manier, mit der hier in ineinanderfließenden Nummern der grobe Themenkomplex der Ausbeutung von Arbeitskräften durchgesprochen wird, mit Ausläufern Richtung Rassismus und Neoliberalismus.

Im Kolonialstil

Erklärtes Ziel von Stowes Roman "Uncle Tom's Cabin, or Life Among the Lowly" war, durch Mitleid die Stimmung in den USA gegen die damals noch legale Sklaverei zu lenken. Tatsächlich trug der Bestseller zum Erfolg der Abolitionisten vor gut 150 Jahren bei. Literarisch war er eher als frömmelnde Schnulze einzuordnen. Dass das Buch nicht so toll ist, finden augenscheinlich auch Harald Posch und sein Team. Bei ihnen nistet sich anfangs ein überkandidelter Urlaubertrupp in einer mit kolonialistischem Kitsch aufgepeppten Ferienhütte ein und beginnt lieblos, die Romanhandlung anzuerzählen: Den Dialog zwischen dem gutherzigen Master Shelby und dem Sklavenhändler Haley, dem er seinen Tom verkaufen muss, gibt es von Wojo van Brouwer und Sören Kneidl gespielt; wie die junge Eliza ihren Sohn einem ähnlichen Schicksal durch Flucht entzieht, erzählt Katharina Knap nur in ein Mikro.

Um die Repräsentation schwarzer Figuren aus dem Buch macht Posch also einen hohen Bogen und vermeidet so den naheliegenden Aufschrei der Political Correctness. Stattdessen schmiert man sich exzessiv mit Sonnencreme ein, fachsimpelt über Safarijagden, hantiert mit Liegestühlen und hetzt durchs Haus wie spielende Kinder. Den Roman dampft Posch auf ein paar Schlüsselstellen ein. Der Ausgang des Plots wird am Ende überhaupt nur noch auf drei Texttafeln zusammengefasst ins Publikum gehalten. Nicht, dass einem Stowes sentimentale Sätze abgehen, aber brauchte der Regisseur wirklich eine überholte Vorlage, um sie dann links liegen zu lassen?

onkeltomshuette03 560 Marko Lipus uIn the house: Katharina Knap, Sören Kneidl, Zeynep Buyraç, Tom Feichtinger, Wojo van Brouwer
© Marko Lipuš

Immerhin bietet ihm der bekannte Titel einen thematischen Ausgangspunkt. Was genau Posch aber an dem Sklavereikomplex interessiert, wird obskurer, je mehr Action passiert: Zeynep Buyraç bietet dem Publikum ein adrettes blondes Mädchen als Sklavin an oder schildert Missstände in bangladeschischen Textilfabriken. Das Mädchen weidet das kopflose Zebra aus. Tom Feichtinger mimt einen widerlichen Wiener Sextouristen. Mit vereinten musikalischen Kräften präsentiert das Ensemble eine deutsche Übersetzung von 50 Cents "Candy Shop" ("Ich geh mit dir in'n Süßwarenladen ..." – schönen Dank für den Ohrwurm!). Es schlüpft in Giraffen- oder Bananenkostüme und erzählt Geschichten mit unklarer Quelle: Nachrichten? Interviews? Erfindung? Eine heitere Minstrelshow mit Schminke hebt an, und die eine, die mit Blackface hereintanzt, kriegt sofort erschrocken das Gesicht gewaschen.

Gedanken werden weggesaugt

Einander über eine zweistöckige Bühne jagende und dabei bis zur Heiserkeit anschreiende Textabsonderer: Castorf lässt grüßen, auch was die Beimischung von Fremdtext, den Einsatz von Video betrifft. Posch allerdings führt die Castorfschen Mittel ad absurdum. Einmal drängen sich drei Spielende umständlich hinter die eine blickdichte Wand, nur um einander dort für die Videoprojektion zu filmen.

onkeltomshuette10 560 Marko Lipus uOpferrolle in schwarz-weiß: Wojo van Brouwer, Katharina Knap © Marko Lipuš

Satirisch oder provokant, schmerzhaft oder überfordernd will das alles sein, doch um damit beim Publikum zu landen, fehlt zwar nicht schauspielerische Energie – die ist bei allen fünfen erfreulich –, aber die Tiefe der inhaltlichen Auseinandersetzung. Dafür ist die Szene bezeichnend, in der sich Buyraç und Knap künstlich über die Rassismusfalle aufregen, in die ein Abend wie dieser (mit lauter Weißen und so) unweigerlich gerät. Der Dialog, den sie im Affentempo führen, handelt topaktuell und interessant von kultureller Appropriation, White Supremacists, Identitätsvorgaben, der Name eines Philosophen fällt, man versteht ihn aber nicht, denn alles wird vom Rauschen eines Staubsaugers übertönt, der offenbar eigens zu diesem Zweck hereingeholt wurde. Dieser Abend verschlingt seine eigene Substanz, ohne zu kauen. Und so schmeckt sie dann eben auch nach nix. Servus.

Onkel Toms Hütte
nach Harriet Beecher Stowe
Inszenierung: Harald Posch, Bühne und Kostüm: Gerald Fresacher, Licht: Alexander Suchy, Dramaturgie: Lukas Franke, Viktoria Klimpfinger.
Mit: Zeynep Buyraç, Katharina Knap, Wojo van Brouwer, Tom Feichtinger, Sören Kneidl, Kanya-Elena Maierhofer/Lea Reisinger.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.werk-x.at

 

 

Kritikenrundschau

Margarete Affenzeller schreibt im Standard aus Wien (16.3.2018): Posch untersuche "unsere allzu unbewusste Rolle in einem heute weltweit wirksamen System von Versklavung", illegale Sexarbeiter/innen, Lohnsklaven für Billigtextilien, Arbeitssklaven. Damit falle die "Synonymsetzung von Sklave und Person of Color" weg, "wie sie der Roman noch vorgegeben hatte". Das sei eine "befreiende Entkopplung, die in der Inszenierung auch reflektiert" werde. Doch werde die Conclusio in "diesem rasanten, euphorisch gespielten, auf 90 Minuten kleingedampften Castorf-Pollesch-Theater" nicht immer "ganz klar kenntlich".

Mit dem berühmten Roman von Harriet Beecher Stowe habe das Stück im Werk X "kaum etwas zu tun",, schreibt Guido Tartarotti im Wiener Kurier (17.3.2018). Poschs Text sei eine "wilde Anklage gegen alte und moderne Formen von Ausbeutung und Rassismus". Wie ein "wütendes Kind" springe dieser Theaterabend von einem Bild zum nächsten, "haut hier etwas kaputt, rüttelt dort an zwei, drei Watschenbäumen, wälzt sich schreind am Boden, um dann wieder lieb zu lächeln". Gedanken würden "schneller zu Brei geschlagen", als man sie formulieren könne, und kaum sei eine Position bezogen, werde sie schon wieder "abmontiert". Der Abend habe "enorme Kraft", er wolle seinem Publikum "offensichtlich gehörig auf die Nerven gehen und schafft das spielend".

Norbert Mayer schreibt in der Wiener Presse (online 19.03.2018, 18:09 Uhr), vom Roman bleibe bei Harald Posch nicht "viel mehr übrig als eine Ahnung". Das Melodram spiele kaum eine Rolle, die Aufführung ziele auf die Frage ab, wie aktuell Sklaverei noch heute sei. "Sexurlaub, Safari, Kinderarbeit" würden "seriell vorgeführt". Zuhauf gebe es "Exotismen", auch ein zeige "Alltagsrassismus". Als "Kontrapunkt" scheine "ein wenig Selbstironie" durch. Oft übertrieben die Schauspieler*innen "schmerzhaft, bis zur Penetranz". Umso stärker wirke eine "ruhigere" Szene: "Ein Kind wird dem Publikum zum Verkauf angeboten. Das Mädchen zieht stumm Gedärm aus dem bereits arg lädierten Zebra – Symbol für Millionen Rechtloser von heute."

 

 

 

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