Sieg Gottes - Eine deutsch-afghanische Migrationsgeschichte erzählen in Darmstadt Katharina Raffalt, Hassan Siami und Moritz Schönecker
Vom Weggehen und Nichtankommen
von Shirin Sojitrawalla
Darmstadt, 16. März 2018. Splitternde Lebensläufe geben diesem Stück seine Struktur und dem Abend seine Form. Um eine Geschichte von heute zu erzählen, führten Katharina Raffalt, Hassan Siami und Moritz Schönecker viele Interviews mit Exilanten und formten daraus Nasrullahs Geschichte. In den 50er Jahren in Afghanistan geboren, verschlägt es ihn später nach Europa. Während der sowjetischen Besatzung kämpft er für die Mudschaheddin. Über Iran, die Türkei und Griechenland findet er seinen Weg nach Deutschland. Nasrullahs Leben, Leiden und Drogenkarriere verfolgt das Stück, erzählt vom Weggehen und Nichtankommen und davon, dass niemand mir nichts, dir nichts sein Zuhause verlässt. Nasrullahs Geschichte kennt keinen Anfang, kein Ende und sprengt die Ordnung von Zeit, Raum und Handlung in die Luft. Als Zuschauer*in weiß man nicht immer, wo man sich gerade befindet und was eigentlich geschieht.
Herumgeschubst vom Leben
Das Zentralgestirn des Abends bildet in jedem Fall Nasrullah, dessen Name übersetzt den Titel des Stücks ergibt. Sieg Gottes. Gott kommt dann auch alle Naselang vor, er geistert geradezu durch das etwas unscharfe Stück: als Zeuge, als Helfer, als Ausrede. Der auch aus dem Kino und als Ermittler Alim Zainalow im Kieler "Tatort" bekannte Schauspieler Mehdi Moindazeh verausgabt sich als Nasrullah mit übernatürlicher Expressivität und trägt dessen Kaputtheit smart und agil zur Schau wie einen Orden. So gut wie in jeder Szene ist er auf der Bühne, schlängelt sich in die unterschiedlichsten Lagen, wobei man ihm ausgesprochen gerne zusieht, auch wenn er die meiste Zeit auf einem Temperaturniveau agiert und oft das selbe Gesicht zieht. Nasrullah ist einer, den das Leben hierhin und dorthin schubst, weswegen Moindazeh richtiggehend über die Bühne taumelt. Er ist dabei die einzige Figur, die wirkliches Format entwickelt, die vielen anderen, die in immer neuen Rollen und Kostümen auf- und abgehen, bleiben augenfälllige Staffage.
Veronika Bleffert steckt sie in hinreißend die Zeiten und die Kontinente überspannende Klamotten, und Benjamin Schönecker, der Bruder des Regisseurs, bereitet ihnen eine Bühne, die den Orient mit dem Okzident, die Opiumhöhle mit der deutschen Amtsstube versöhnt. Hinten blüht der Mohn, und ein paar kleinwüchsige Berge ragen dem Himmel entgegen, während sich am rechten Rand die Musiker um Orientteppiche arrangieren. Im Vordergrund fährt immer mal wieder ein Kasten aus der Unterbühne hoch, ein weiteres Zimmer, ein weiterer Spielort, der oft Deutschland ist. Der Abend spielt sich dann auch auf Deutsch und auf Farsi ab, die Übersetzung in die jeweils andere Sprache wird übertitelt.
Frau Ameise lässt grüßen
Die Authentizität, die das auch mit sich bringt, konterkariert die Inszenierung immer dann, wenn sie vordergründigen Realismus bietet. Schauspieler, die sich in bewaffnete Mudschaheddin-Kämpfer verwandeln, wirken in diesem Zusammenhang wie Schauspieler, die sich als Mudschaheddin-Kämpfer verkleidet haben und jetzt so tun, als machten sie die afghanische Bergwelt unsicher. Leider klebt Moritz Schönecker an diesem Abend oft an solch komisch wirkenden Wirklichkeitsbeweisen. Tut er es nicht, ist gleich viel gewonnen. Dann darf der wieder einmal sehr einprägsame Schauspieler Mathias Znidarec ein pseudoafghanisches Jammerlied über den Verlust von Ehefrau und Esel anstimmen oder, noch besser, buchstäblich in die Rolle von Frau Ameise, für Nasrullah die personifizierte deutsche Bürokratie, schlüpfen. Wenn sich die mannshohe Ameise dann mit Leitzordner unterm Ärmchen in den kleinen Raum zwängt und ihre Sätze rückwärts spricht, ist das nicht nur fast kafkaesk, sondern auch die kongeniale Übersetzung einer erlittenen Erfahrung. Solcherart Surrealismen hätten Stück und Abend mehr vertragen.
Doch der hält sich lieber mit Folklore auf, Sahar Jaan singt dann wunderschön schwermütige Lieder über das Verlangen nach einer Welt, wie sie einmal war, und die Live-Musiker Amen Feizabadi, Pouya Raufyan und Philipp Strüber versammeln eindeutige und fremdartige Klänge, die sich bruchlos ins Spiel fügen. Die Zerfahrenheit des Texts spiegelt sich zwar schön in zerfahrenen Szenen, die wiederum von der zerstückelten Existenz der Hauptfigur sprechen, aber auch inszenatorisch bleibt es leider Stückwerk und wird kein durchweg überzeugendes Ganzes.
Sieg Gottes (UA)
von Katharina Raffalt, Hassan Siami und Moritz Schönecker
Regie: Moritz Schönecker, Bühne: Benjamin Schönecker, Kostüme: Veronika Bleffert, Komposition: Amen Feizabadi, Live-Musik: Pouya Raufyan, Philipp Strüber, Amen Feizabadi, Dramaturgie: Karoline Hoefer.
Mit: Mehdi Moinzadeh, Anabel Möbius, Mansur Ajang, Mathias Znidarec, Stefan Schuster, Hans-Christian Hegewald, Pouya Raufyan, Sahar Jaan, Elena Illing, Sahel Nazari, Shahram Rahmani, Fazel Yaqubi.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
www.staatstheater-darmstadt.de
Kritikenrundschau
Johannes Breckner findet in der Allgemeinen Zeitung aus Mainz (19.3.2018), dieselbe Kritik ist auch im Darmstädter Echo erschienen, die Inhaltsfülle des Stückes "ganz schön viel für einen Theaterabend". Mehr als "bebilderte Momentaufnahmen" könne Moritz Schöneckers da nicht bieten. Der iranische Schauspieler Mehdi Moinzadeh sei das Zentrum, erzähle mit "starkem Körperspiel", besitze "Eleganz und Charme", lasse zugleich "die Zerrissenheit dieser Figur spüren". Die "Erzählweise" nehme das Publikum mit, !nicht zuletzt durch die sparsam eingesetzte Live-Musik". Die Regie schlage einen "bunten Märchenton", ein wundersamer Kontrast zum Schrecken der Erzählung. Aber karikierende Überzeichnung allein sei zu wenig, "um der Aufführung eine klare ästhetische Handschrift zu geben". Auch der Text finde keine "dramatische Verdichtung". Es gebe viele Einfälle, aber keine Form. Bald schaue "dieses Flüchtlingsdrama" aus wie ein "Kaspertheater, in dem man die Mudschahedin mit ihren Zottelbärten für Kollegen von Räuber Hotzenplotz halten könnte".
Ganz anders Andrea Pollmeier in der Frankfurter Rundschau (online 19.3.2018). Die Uraufführung setze sich "eindrucksvoll von bisherigen Flüchtlingsgeschichten" ab. Niemand werde "hier hingestellt, um Empathie zu wecken". Das Stück zeige "nüchtern und (selbst-)kritisch die Facetten" von Nasrullahs Weg. Der Erzählfaden folge den "assoziativen Sprüngen der Erinnerung". Ort und Zeitverknüpfungen folgten einer psychologischen Logik, ein "aktentauglicher Lebenslauf lasse sich so kaum nachvollziehen, die Inszenierung ziehe hinein in die "Innenwelt" des afghanischen Flüchtlings. Immer bleibe spürbar, dass "reale Erfahrungen das Stück prägen". Ein bereicherndes Gesamtwerk, das nachwirkt.
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