Eine Bühne dreht durch

von Kornelius Friz

Chemnitz, 17. März 2018. Leicht ist es nicht, Michail Bulgakow in einem Theaterabend gerecht zu werden. Rund 600 Seiten hat die deutsche Übersetzung seines Romans "Der Meister und Margarita". Von 1928 bis 1940 schrieb Bulgakow an diesem Lebenswerk. Nun bringt Malte Kreutzfeldt den russischen Klassiker in eigener Bühnenfassung nach Chemnitz, die den Stoff auf drei Bühnenstunden eindampft.

Unter der Kuckucksuhr

Ein sanfter Sprühregen aus Blut geht auf das gesenkte Haupt Jesu herab. Er hängt am Kreuz, wie man ihn aus jeder oberbayrischen Kapelle kennt: weißer Lendenschurz, Dornenkrone, lange Haare. Leise stimmt das Ensemble an: "Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt / Und vom Himmel die bleiche Sichel des Mondes blinkt", Maria Magdalena aka Margarita wird ebenso blutrot und schluchzt, Jesus stirbt.

Meister und Margarita 2 560 Dieter Wuschanski uWenn bei Capri die rote Sonne: Susanne Stein (Pontius Pilatus), Marko Bullack (Jeshua), Jan Beller (Marcus), Wolfgang Adam (Kaiphas) und die Statisterie © Dieter Wuschanski

Ständig stirbt jemand in "Der Meister und Margarita", in dem zwei zentrale Handlungsstränge miteinander verwoben sind. Zunächst das stalinistische Russland der dreißiger Jahre, gegen das Bulgakow mehr satirisch-bissig als wütend anschreibt: Hier taucht der Teufel auf, in Gestalt des Ausländers Voland, einem Zauberkünstler, herausstechend und gleichermaßen mit eintöniger Arroganz gespielt von Jan Gerrit Brüggemann, mal in roter Netzstrumpfhose, mal mit aschblonder Perücke, aber immer mit Zigarette. Für seinen Walpurgis-Ball sucht er sich Ulrike Euens Margarita als Königin aus, die unglücklich verheiratet ist und stattdessen nur ihren Meister (Andreas Manz-Kozár) liebt.

Verrat, Korruption, Lügen überall

Der jedoch ist längst in der Anstalt gelandet, quasi freiwillig, um im Delirium der gut gemeinten Mittelchen seinem Ende zu harren. Er hat nicht überwunden, dass sein Romanmanuskript zu Pontius Pilatus von den Redaktionen verschmäht und wohl nie verlegt wird. Anfangs wird dieser Autor, später ein Schattenriss seiner selbst, am Rand der Bühne unter einer Kuckucksuhr installiert, um mit großem Halleffekt auf eine Schreibmaschine einzuhauen und das Geschehen auf der Bühne, also in seinem Roman voranzutreiben. Doch mit der Zeit verwebt Kreutzfeldt diesen Plot nach biblischem Vorbild immer eleganter mit der ersten, satirischen Erzählebene.

Dort arbeiten Voland und seine vier Gehilfen – in Chemnitz für die Lacher zuständig – an ihrem sardonischen Plan, die Gesellschaft zugrunde zu richten. Die macht es ihnen leicht: Verrat, Korruption und Lügen überall. Leider dreht dazu die Bühne von Nikolaus Porz durch: Ständig klappt irgendwo eine Luke auf oder zu, wahlweise mit einem klingelnden Telefon, einem Schachspiel, einer Parkbank oder einer Wodkaflasche dahinter. Ein rundes Plateau fährt unablässig hoch und runter, und auch die zwei Vorhänge kommen gar nicht mehr zum Stehen, die die zahllosen Umbauten verstecken sollen, aber auch als Projektionsfläche dienen und beide Funktionen nur mäßig erfüllen. Überhaupt ist das Videokonzept so überladen wie eine Power-Point-Präsentation in den frühen Nuller-Jahren.

Meister und Margarita 4 560 Dieter Wuschanski uPhilipp von Schön-Angerer als Azazello über Ulrike Euen (Margarita) und Andreas Manz-Kozár (Meister) © Dieter Wuschanski

Teuflische Taschenspielertricks

Als Margarita kurz nach der Pause beinahe nackt ihren beglückenden Besenritt antritt, werden gelbe Funken auf sie geblendet wie ein Wasserfall, kurz darauf glüht minutenlang ein Feuerball auf der Leinwand, der aussieht wie die brennenden Autos nach einem Unfall in dem Computerspiel GTA II. Später kommt ein Leuchtstoffröhren-Kreistanz hinzu und, als wäre das noch nicht genug, eine echte Stichflamme, ein-, zwei-, dreimal, ganz so, als wolle Voland (bzw. Kreutzfeldt) seine eigenen Effekte stets übertreffen. Hinzu kommen endlos viele Taschenspielertricks des Teufels, die meist zu schlecht versteckt sind, um zu beeindrucken, aber manchmal auch zu gewollt durchschaubar, um ulkig zu sein.

Kreutzfeldt und Porz beschränken sich nicht auf wenige Stilmittel und Motive, sondern wollen alles mitnehmen, vermitteln oder zumindest andeuten, was bei Bulgakow und im Matthäus-Evangelium vorkommt. Nicht nur die Figur des Levi Matthäus (Martin Valdeig) hätte man sich sparen können, denn anders als im Roman sind sämtliche Figuren der Pilatus-Erzählung eher funktionale Klischees denn handelnde Individuen. Manchmal stehen zwölf Spieler gleichzeitig und ohne erkennbares Arrangement auf der Bühne: Das ist symptomatisch für eine Inszenierung, die sich selbst sehr ernst nimmt, hoch hinaus will und durch zu viele Figuren, zu viele Ablenkungen eher zäh und zugleich zerfahren endet – mit dem Bild eines Atompilzes.

 

Der Meister und Margarita
nach dem Roman von Michail Bulgakow, in einer Bühnenfassung von Malte Kreutzfeldt, Uraufführung
Regie: Malte Kreutzfeldt, Bühne: Nikolaus Porz, Kostüm: Anke Wahnbaeck, Musikalisches Arrangement: Steffan Claußner, Dramaturgie: Friederike Spindler, Regieassistenz: Jana Neubert.
Mit: Andreas Manz-Kozár, Ulrike Euen, Jan Gerrit Brüggemann, Stefan Schweninger, Susanne Stein, Philipp von Schön-Angerer, Maria Schubert, Martin Esser, Christian Ruth, Wolfgang Adam, Marko Bullack, Martin Valdeig, Jan Beller.
Dauer: 3 Stunden, eine Pause

www.theater-chemnitz.de

 

Kritikenrundschau

Uta Trinks schreibt in der Freien Presse aus Chemnitz (online 19.3.2018): "Meister und Margarita" sei ein "dermaßen komplexes satirisches Werk über die menschliche Gesellschaft im Allgemeinen und den Überwachungsstaat der Stalinzeit im Besonderen", dass man sich "was raus-picken" müsse. Bei Malte Kreutzfeldt sei ein "magisches Spektakel" zu erleben, das "viele Menschheitsfragen berührt". Ein "faszinierender szenischer Reigen". Der "Grenzen sprengende Abend" changiere zwischen "Wirklichem und Fiktivem, Gut und Böse. Komik und Tragik". Das Ensemble sei im "überzeugenden Großeinsatz".

Tomas Petzold schreibt in den Dresdner Neuesten Nachrichten (online 19.3.2018, 18:43 Uhr): Seit 1985 gäbe es nun die "mindestens vierte Inszenierung des Romans in Sachsen". Die von Malte Kreutzfeldt huldige am stärksten "der Schwarzen Magie" und erzähle "die Geschichte des russischen Faust der Sowjetzeit frei von lokalem oder gar folkloristischem Kolorit". Allerdings: Je "effektvoller" die Tricks, desto mehr verkürzten sich die Dialoge zu "Anekdoten und Bonmots", "aufkommende Eindringlichkeit" werde "gesprengt" durch "billige Effekte". Einen Sinn zu erkennen sei schwierig, die Geschichte lasse sich dagegen in "groben Zügen" gut verfolgen. Ins "mystisch-philosophische Finale des Romans" versenke sich Kreutzfeldt teilweise wortgetreu. "Aber anders alss bei Bulgakow finde "die kosmische Versöhnung"  statt, während "die Erde im Chaos versinkt und Atompilze aufsteigen".

Matthias Schmidt schreibt in der Sächsischen Zeitung (20.3.2018), Malte Kreutzfeldt mache aus dem überbordenden Stoff über weite Strecken eine "Comedy in einem historischen Niemandsland". Dabei sei "enorm viel los" auf der Bühne. Bis zur Pause werde fast ununterbrochen gelacht. Alles sehr hübsch, aber dem Stoff werde das nicht gerecht, auch nicht wenn der Abend nach der Pause zur "Geschichtstragödie" würde. Dann läge "ein Hauch von Belehrung" in der Luft. Die Fassung von Kreutzfeldt greife "in heutiges Vokabular", sei "manchmal derb", oft "originell". Nur leider vernachlässige sie sträflich die "scheinbar kleinen, die menschlichen Dramen". "Bunt und vielfaltig" sei der Abend, "voller Licht- und Bühnen- und Videoideen". Getragen werde er von einem Ensemble, das sich "diesem Feuerwerk" bereitwillig und spielfreudig hingebe. "Sehr ansehnlich das alles, aber eben nur ein schönes Kratzen an der Oberfläche".

 

 

 

 

 

 

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