Presseschau vom 27. März 2018 – Die Frankfurter Allgemeine Zeitung denkt nach dem Selbstmord des schwedischen Theaterleiters Benny Fredriksson über die Verantwortung der Presse in der #MeToo-Kampagne nach

Von Presse in den Selbstmord getrieben?

Von Presse in den Selbstmord getrieben?

27. März 2018. Nicht nur in Schweden hat der Selbstmord des Stockholmer Schauspielers und Theaterleiters Benny Fredriksson eine Debatte über die Rolle der Medien in der #MeToo-Debatte ausgelöst. Der 58 Jahre alte Fredriksson war im Dezember 2017 nach 16 Jahren als Direktor des Stadttheaters Stockholm zurückgetreten, nachdem ihm in der Boulevardzeitung Aftonbladet ein sexistischer Führungsstil vorgeworfen worden war. Am 17. März 2018 nahm sich Fredriksson auf einer Reise das Leben. Daraufhin hatten schwedische Theaterleute, darunter Fredrikssons Nachfolger, "den Medien" eine "Treibjagd" vorgeworfen, die zu Fredriksson Selbstmord geführt habe.

Zeugenaussagen

Dazu schreibt der Standard aus Wien (online 26.03.2018, 16:20 Uhr): Eine Journalistin von Aftonbladet  habe diese Vorwürfe zurückgewiesen. Der Artikel mit den Vorwürfen gegen Fredriksson sei auf der Grundlage von "rund 40 Zeugenaussagen von Frauen und Männern aus unterschiedlichen Bereichen des Theaters" entstanden, "'aus journalistischer Sicht ungewöhnlich viel Material" finde die Journalistin. "Es sei auch nach Quellen gesucht worden, die den Ehemann der renommierten Mezzosopranistin Anne Sofie von Otter in anderem Licht darstellen könnten, doch niemand habe sich äußern wollen. Diese Aussage, so der Standard weiter, sei aber von mindestens einem befragten Zeugen öffentlich als unwahr zurückgewiesen worden.

Fredrikssons Rücktritt

Ausführlich setzt sich Simon Strauß in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (26.3.2018) mit dem Fall auseinander: Aufgrund der Vorwürfe in Aftonbladet habe die Kulturverwaltung Stockholms im Dezember eine "externe Untersuchung der Arbeitsbedingungen am Haus" angeordnet. Auch sei "bekannt" geworden, dass "Fredriksson selbst schon am 1. Dezember eine interne Nachricht an seine Mitarbeiter verschickt hatte, in der er im Licht der MeToo-Bewegung ankündigte, die Kritik am Hausklima ernster zu nehmen". Am 7. Dezember sei Fredriksson mit öffentlich bekundetem "guten Gewissen" von seinem Amt zurückgetreten. Auch wenn das Motiv seines Suizids im März nicht eindeutig geklärt sei, liege zumindest der Verdacht nahe, dass er "in einem Zusammenhang mit der aggressiven Berichterstattung" über Fredriksson gestanden habe. So habe die Behauptung, Frederiksson habe eine Schauspielerin zu einer Abtreibung veranlasst, später von Aftonbladet wieder dementiert werden müssen.

Die Untersuchung des Arbeitsklimas

Die nach Fredrikssons Tod bekannt gewordenen Ergebnisse der im Dezember begonnenen externen Untersuchung, "für die insgesamt 135 Personen nach Fredrikssons Führungsstil befragt worden waren", hätten keinerlei Beschuldigungen wegen sexueller Belästigung erbracht, nur Hinweise auf ein "schlechtes beziehungsweise unanständiges Arbeitsklima".

Was dürfen die Medien?

In seinem FAZ-Artikel fragt Simon Strauß: "Welche Rolle soll oder darf die Presse bei der Enthüllung von MeToo-Fällen spielen? Ist sie per se dazu berufen, sich auf die Seite der Schwächeren zu stellen, auch wenn gegen die Stärkeren keine hinreichende Anklage vorliegt, die ihre Parteinahme gänzlich rechtfertigen würde? ... Darf sie Namen öffentlich nennen, auch wenn noch keine ausreichende Beweislast erbracht ist?" Diese Fragen seien nicht leicht zu beantworten, denn die Presse müsse als vierte Gewalt tätig werden dürfen, "um düstere Machenschaften egal welcher Art aufzudecken". Allerdings sei die Situation bei "sexuellen Machtmissbräuchen oft besonders heikel", weil Aussage gegen Aussage stünde.

Grautöne in der Berichterstattung nötig

Auf Zeit Online wünscht sich Wenke Husmann in ihrem Kommentar (29.3.2018) mehr "Grautöne" in der journalistischen Berichterstattung, um ein differenziertes Bild zu zeichnen: "Auch wenn es richtig und wichtig ist, dass Journalisten auf Missstände wie jene an dem Stockholmer Theater aufmerksam machen, sollten sie dennoch einordnen, was sie anprangern." Die Selbstmorde von Benny Fredriksson und der US-amerikanischen Filmproduzentin und Agentin Jill Messick seien tragische Ereignisse. "Die Fragen können jedoch nicht lauten: Ist die Journalistin von Aftonbladet schuld an Fredrikssons Tod? Oder: Ist die Schauspielerin Rose McGowan verantwortlich für Messicks Suizid? So bar jeglichen Kontextes verdeutlichen die Fragen vielmehr, dass es diesen direkten Kausalzusammenhang gar nicht geben kann."

Wahrscheinlicher sei etwa, dass mehrere Faktoren zu Messicks Selbsttötung beigetragen hätten: die Weinstein-Debatte, in der ihr Rose McGowan Vorwürfe machte, sie nicht ausreichend geschützt zu haben, aber auch eine später bekannt gewordene Depression. "Kein Schwarz, kein Weiß. Viel Grau", schreibt Husmann.

In den Berichten über Benny Fredrikssons Führungsstil habe die schwedische Zeitung Aftonbladet "die notwendigen Grautöne vermissen" lassen. Die bekannt gewordenen Anekdoten legten es nahe, "dass er die Mitarbeiter alles andere als kooperativ und anständig leitete", so Husmann. Allerdings wusste die Redaktion auch von Zeugen, die sich für Fredriksson ausgesprochen hätten, dies "in den allgemein hysterischen #MeToo-Zeiten, die keine Nuancen erlaubten", allerdings nicht öffentlich tun wollten. Diese "Gegenseite" habe sie nicht dargestellt. "Ebenso wenig wurde beleuchtet, warum die Stadt Fredriksson jahrelang gewähren ließ", so Husmann. Das Problem am Stockholmer Theater sei auch ein systemisches gewesen: "Fredriksson hatte Befürworter. Einflussreiche Menschen, die ihn in seiner Rolle unterstützten, denen also der Erfolg des Theaters wichtiger war als die Zufriedenheit aller Mitarbeiter; Leute, die seinen Führungsstil in Kauf nahmen."

Wir haben diese  Zusammenfasssung am 29.3.2018 um 16:50 Uhr aktualisiert.

(www.derstandard.de / Frankfurter Allgemeine Zeitung / Zeit Online / jnm / eph)

 

Kommentare  
Presseschau Benny Fredriksson: immer Aussage gegen Aussage
Steht nicht bei Machtmissbrauch IMMER Aussage gegen Aussage? Auch dann, wenn es keiner im Zusammenhang mit sexueller Nötigung ist? - Und sollte nicht die Presse als vierte Gewalt tätig werden dürfen und dies trotzdem so tun können, dass sie sich nicht durch Sensations-Marketing für Presseprodukte von ihren Besitzern missbrauchen lässt?
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