Theater als Ort, die Welt freundlicher zu machen

Leipzig, 10. April 2018. Die Theaterkritikerin und Hochschullehrerin Erika Stephan ist tot. Wie das Magazin Theater der Zeit meldet, starb sie bereits am 26. März  in Leipzig, zwei Tage vor ihrem 89. Geburtstag.

Stephan arbeitete frei unter anderem für Theater der Zeit, Theater heute und die Thüringer Allgemeine, aber auch für den Sonntag (der später in der gesamtdeutschen Wochenzeitung Freitag aufging) und als Dozentin an der Theaterhochschule "Hans Otto" in Leipzig. Als Kritikerin begriff sie das Theater als einen Ort, die Welt freundlicher zu machen, und fühlte sich wie die meisten Theaterkritker*innen der DDR in Ermangelung einer kritischen Öffentlichkeit als Verteidigerin des Theaters. Entsprechend behutsam formulierte sie, insbesondere, wenn sie, wie in Thüringen, jahrzehntelang über die so genannte Provinz schrieb. Besondere Verdienste erwarb sie sich in der produktiven Auseinandersetzung mit den Arbeiten von Fritz Bennewitz am Deutschen Nationaltheater Weimar.

(TdZ / geka)

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Kommentare  
Nachruf Stephan: streitbar, klug, neugierig
In ihrer Kunst genau hinzuschauen und zu beschreiben, war sie als Kritikerin meisterhaft. Zunächst hat sie versucht zu schildern, was das Inszenierungsteam mit seiner Interpretation des Stoffes will. Dann hat sie beschrieben, ob dies gelungen ist oder nicht - mit fein gewählten, präzise formulierten Worte, die sowohl in ihrer Kritik als auch in ihrem Lob sehr deutlich waren. Nie hat sie nur ihren eigenen Bauch zum Maß aller Dinge gemacht, sondern sich mit einer großen Kenntnis der Werk- und Wirkungsgeschichte der jeweiligen Neuinszenierung genähert. Man sollte die Rezensionen von Erika Stephan sammeln und sie als Lehrbuch für angehende Kritiker zur Verfügung stellen.
Ruhe in Frieden, liebe Erika Stephan, du streitbare, kluge und bis zum Schluss neugierige Grande Dame der (ost)deutschen Theaterkritik.
Erika Stephan: unterstütze das Junge und Wilde
Als ich ich in Nordhausen noch Intendant war,
waren wir froh,
wenn wir hörten Erika Stephan kommt:

Sie war nie bitter und hatte Bitternis erlebt,
sie war gütig, ohne das Kritische zu verhindern,
sie half indem sie Kritik übte
und sie unterstütze das Junge und Wilde.

Sie war nie Agentin eines Zweckes,
sie schätze das Mittel der Menschlichkeit
sie war die Utopie des guten Ostens;
eine Kunst im Sozialismus mit menschlichen Antlitz.
Erika Stephan: Künstlern gerecht geworden
Sie war eine feine Frau und Kritikerin, die auch noch nach der Wende für die ostdeutschen Theater noch viele immer faire, verlässliche und klassisch geprägte Kritiken geschrieben hat, und niemals sich selbst als Maß der Dinge des Schreibens genommen hat, sondern immer das Kunstwerk. Man konnte von ihr Fairness erwarten, als man selbst noch ganz in den Kinderschuhen des Theaters steckte, und Sorgfalt bei der Begleitung so mancher Wege und Projekte (siehe Bennewitz, u.a.). Wen sie sich zu den Premieren anmeldete, fiel manchem Dramaturgen und Regisseur, manchem Schauspieler und Intendanten ein Stein vom Herzen: die Sorge, ungerecht kritisiert zu werden, weil der eigene Stern gerade nicht günstig Stand im Himmel des reflexiven Kritikers, oder diesem eine andere Laus' über die Leber gelaufen war. Sie war frei von Narzissmus und Selbstbespiegelung. Sie nannte sich nie selbst in den Kritiken und machte ihren eigenen, ausgesprochen weiten, belesenen Horizont nie direkt zum Masstab.
Und was sie wirklich beherrschte: Kritiken schreiben, wie sie im Buche stehen, den Künstlern gerecht werdend, bis in die kleinste Nebenrolle hinein. Weil sie wusste, was Theater bedeutet: Verlust von Freiheit und Zeit in den harten Wochen des Proben. Weil sie das wusste, nannte sie beinahe jeden, und ward diesen gerecht. Sie soll im Theaterhimmel ruhen und lesen, in Frieden und mit vielen wunderbaren Stücken, die wir heute noch nicht gesehen haben, und die uns demnächst überraschen werden.
Und ich wünsche mir sehr, dass sich hier einige der Streiter und Mitstreiter dieser Jahre hier melden.
Erika Stephan: in Erinnerung
Sie hat 1971 meine Diplomarbeit an der Theaterhochschule betreut und viele sehr lesbare und brauchbare Kritiken über einige meiner Inszenierungen geschrieben. Wir freuten uns immer, wenn wir uns zufällig auf anderen Premieren trafen. Ich werde mich ihrer immer gern erinnern. Peter Ibrik
Erika Stephan: Danke
Erika Stephan war an der Theaterhochschule "Hans Otto" unsere Dozentin für Inszenierungsanalyse. Bei ihr habe ich als angehende Dramaturgin gelernt zu sehen und zu beschreiben und Interpretationen bewusst als solche davon zu trennen. Das hat mich geprägt, weit über diesen Beruf hinaus. Unvergessen sind mir auch ihr feinsinniger Humor und ihre kluge Art, anderen mit menschlicher Wärme und respektvoller Distanz zu begegnen. Ja, man sollte Ihre Kritiken gesammelt veröffentlichen - damit ihre produktive Haltung zum Theater und ihr Handwerk als Kritikerin auch für nachfolgende Generationen zuänglich bleiben und Impulse setzen können.
Ich verneige mich vor Erika Stephan in tief empfundenem Dank.
Erika Stephan: geprägt
Wie Carola Spyra erinnere ich mich gerne an die Vorlesungen und Seminare mit Erika Stephan während meines Studiums an der damaligen Theaterhochschule in Leipzig. Wir fuhren regelmäßig in die verschiedensten Theater, sahen Inszenierungen, die dann Thema im Fach Inszenierungsanalyse waren. Im Sinne Brechts, nicht zu glotzen, lernten wir genau hinzusehen, zu beschreiben und dann zu interpretieren. Als ich selbst zwischen meinen Engagements als Dramaturg als Kritiker arbeitete, kam mir das Gelernte zugute. Ich hoffe, dass die Idee, Erika Stephans Kritiken als Sammlung zu veröffentlichen, realisiert wird. Ich werde meine ehemalige Dozentin in bester Erinnerung behalten.
Erika Stephan: Würdigung
Es ist mir eine Freude, Erika von Theatermenschen und dabei besonders auch von ehemaligen Schülerinnen und Schülern so gewürdigt, ihre Beobachtungs- und Beschreibungsgabe, den weiten Horizont ihrer Assoziationen, ihre pädagogischen Wirkungen so genau und sensibel beschrieben zu sehen. Das von ihr verantwortete und geprägte Fach Inszenierungsanalyse und Theaterkritik war an unserer Theaterhochschule "Hans Otto" wichtiger Bestandteil unseres Konzeptes der Dramaturgie-Ausbildung und generell unseres Verständnisses von Theaterwissenschaft, das sich doch - ich sage es wertungsfrei - vom heutigen substantiell unterschied: wir hatten die 150 Staats-, Stadt- und Landestheater vor Augen und gingen aus vom symbiotischen Zusammenhang von Drama und Theater. Seit 1982 brachte der neue Rektor Rudolf Münz eine andere Perspektive ein, die auf das "andere" Theater und das Forschungsfeld "Theatralität" - und siehe da, Erikas Arbeit paßte auch dazu, sie vertrug sich mit beiden, sich ergänzenden Ansätzen.
Aber ich verliere mit Erika Stephan nicht nur die ehemalige Kollegin, sondern vor allem eine sehr enge persönliche Freundin über Jahrzehnte hinweg.

Gottfried Fischborn
Erika Stephan: fuhr auch an kleinste Bühnen
*An Erika Stephan denkend, habe ich zuallererst das Bild vor Augen, wie wir als Studenten nach Theaterexkursionen nachts mit ihr auf dem trostlosen Bahnhof Lichtenberg standen, um auf den letzten Zug nach Leipzig zu warten. Im Winter hieß das: wir warteten mitunter stundenlang auf dem zugigen Bahnsteig, rauchend und frierend. Die Mitropa längst zu. Schon damals dachte ich: warum tut diese Frau sich das an. Sie tat es sich an, weil sie uns unbedingt nahebringen wollte, was sie für den Goldstandard von Theater hielt: Lang, Besson, Solter. Schauspieler wie Esche, Keller, Karusseit, Gudzuhn am Deutschen Theater, an der Volksbühne, am Gorki.
Später, als sie längst in Pension war, fuhr sie immer noch in kleine und kleinste Städte in Thüringen, um Kritiken zu schreiben. Und wieder dachte ich: warum tut sie sich das an? Im Gespräch wurde einem klar, dass sie es weder für die paar Mark noch für den Ruhm tat (den Kritiker wohl nur dann erringen, wenn sie Theater als ihren Feind ansehen und es auf unterhaltsame Weise schlachten – was nie und unter keinen Umständen ihre Motivation war. Es ist hier schon beschrieben worden.) Sie verfolgte Arbeiten bestimmter Regisseure über Jahre und sie fuhr an kleinste Bühnen, wenn sich dort etwas Neues tat.
Ich habe in ihren Unterrichten an der Theaterhochschule Leipzig sehr viel gelernt. Entscheidendes Handwerk für Dramaturgen: Hinschauen, beschreiben. Dem nachspüren, was gewollt war. Analysieren, was davon aufgegangen ist und was nicht. Nie überheblich verurteilen. Und: Schauspieler beschreiben. Ich verdanke ihr (und vielen anderen Lehrern!) ein Handwerkszeug, das die sichere Grundierung meiner Berufsjahre war und um das mich manche Dramaturgenkollegen beneidet haben.
Danke für alles, Erika!
Dagmar
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