Madame, President Twittler ist am Telefon!

von Frauke Adrians

Berlin, 12. April 2018. Was wäre, wenn Frauen die Welt regierten? Das ist die Frage des Abends, und um der Antwort nachzugehen, sitzt hier ein Fünf-Frauen-Kabinett, das Autorin und Regisseurin Yael Bartana um einen runden Tisch im "War Room" versammelt, der hier zum "Peace Room" umgetauft ist, denn es handelt sich um eine ihrem Anspruch nach pazifistische Regierung. Der Tisch ist dem aus Stanley Kubricks Filmsatire "Dr. Seltsam" nachempfunden.

Im Grunde hat diese Frauenregierung wenig zu melden. Die wahre Macht liegt offensichtlich bei einem testosterongesteuerten, cholerischen Großmaul im Präsidentenrang einer anderen Nation, das Bartana in Kalauerlaune auf den Namen "Twittler" getauft hat und von dessen Untaten die Friedensministerin (Jo Martin) ihre Kolleginnen mit schockierter Miene in Kenntnis setzt. Der unflätige Bösewicht ist zwar nicht körperlich anwesend, aber er beherrscht die Diskussion, droht mit Atomschlägen – und ist ein Mann. Was wäre, wenn Frauen die Welt regierten? Dann müsste sich dieser Abend um eine schreckliche Mrs. President drehen, eine unbeherrschte, kindische, zynische Frau mit zu viel Macht. Aber so kühn will Bartanas Versuchsaufbau dann doch nicht sein. Wo kämen wir auch hin, wenn auf der Theaterbühne das Undenkbare gespielt würde.

Weiblicher Sachverstand für den Weltfrieden

Stattdessen bleibt alles beim Gewohnten: Einer bedroht den Weltfrieden, alle anderen bereden und bereden und bereden, was nun zu tun sei. Das weibliche Kabinett baut auf weiblichen Sachverstand, das Schauspielerinnenquintett wird durch fünf echte Expertinnen ergänzt (die jeden Abend wechseln). Bei der Premiere ist eine Botschafterin dabei, dazu Polit- und Sozialwissenschaftlerinnen, eine us-amerikanische Ex-Soldatin und die Change.org-Vizepräsidentin.

What if women2 560 Birgit Kaulfuss uAm Kubrick-Tisch: Expertinnen und Schauspielerinnen bei Yael Bartana © Birgit Kaulfuss

Aus dem Theaterabend wird ein seltsamer Zwitter, irgendwas zwischen Donnerstagabendtalk und Farce. Das Konferenztisch-Blabla an diesem vollständig auf Englisch abgehaltenen Abend strotzt vor üblichen Floskeln ("gegenseitiges Vertrauen stärken", "die Ergebnisse der Untersuchung abwarten"). Damit die Runde nicht nur viel zu reden, sondern auch etwas zu tun hat, hat sich die Regie für die Schauspielerinnen ein paar Rollenklischeespäße ausgedacht: Die wahrhaft präsidiale Präsidentin (Olwen Fouéré) schmaucht fette Churchill-Zigarren, die sprachlich und geistig bornierte Außenministerin (Anne Tismer) propagiert hektisch gestikulierend das Matriarchat der Bonobos, die smarte Generalstabschefin (Noa Bodner) muss ihrem Kleinkind am Telefon – dem schwarzen, nicht dem roten – ein Gutenachtlied singen. "Kann Papi das nicht machen? Nein? – (seufz) – Natürlich nicht."

Mit halbnacktem Service-Boy

Fast wünschte man sich, das Kind riefe öfter an, dann würde sich dieser eigentlich bloß anderthalb Stunden kurze Abend vielleicht nicht so sehr in die Länge ziehen. Oder es gäbe als Einlage ein gänzlich untheatralisches Interview mit der einen oder anderen Expertin, denn diese Frauen haben offenkundig viel zu sagen, auch wenn sie nicht die Welt regieren. Etwa Botschafterin Patricia Flor, die weiß, wie man selbst angesichts eines durchdrehenden Präsidenten Twittler die Ruhe bewahrt. Oder Heather Linebaugh, über deren Wandlung von der Drohnenverantwortlichen bei den US-Luftstreitkräften zur Literaturstudentin und Aktivistin man gern mehr wüsste.

What if women3 560 Birgit Kaulfuss uKein Mann am Tisch und dennoch tragen alle schwarze Anzüge: Die Frauenregierung disktutiert bei der Deutschlandpremiere an der Volksbühne Berlin © Birgit Kaulfuss

Kurz: In Yael Bartanas Stück, das Theaterfiguren in einer Laborsituation mit realen Persönlichkeiten zu verbinden versucht, zieht das Theater den Kürzeren. Es kommt einfach zu harmlos daher, zu betulich und zu albern. Die satirischen Einsprengsel stehen quer zum politischen Diskurs. Etwa, wenn der hübsche Service-Boy halbnackt Obst kredenzt (ausgerechnet Bananen!) und die Frauen sogleich von ihrem Sicherheitsthema abweichen und lieber darüber diskutieren, ob er wohl freiwillig oben ohne herumlaufe; die Szene endet damit, dass die Vizepräsidentin (Antje Stahl) dem Burschen ihr Jackett überzieht. "Wieso tragen wir hier am Tisch eigentlich alle schwarze Anzüge?!" Wir wollen schließlich keine Männer sein, aber auch keine Superfrauen, keine Muttertiere und so weiter. Das muss erst mal auf den Tisch des Hauses. Die Rettung der Welt vor dem Atomkrieg kommt später dran.

Wenn es irgendwo auf der Welt eine rein weibliche Regierung gäbe, würde die Welt trotzdem untergehen. Vorher würden die Ministerinnen ihre Debatten vielleicht weniger aggressiv führen, vielleicht wären sie eher bereit, sich nicht bloß mit gleichgesinnten Beratern zu umgeben und mehr auswärtige Expertinnen – und Experten – anzuhören. Vermutlich würden sie nicht darüber streiten, wer den größten Atomknopf hat. Würden sie irgendetwas besser machen? Wer weiß. Die Antwort verwabert im Trockeneisnebel der Volksbühne.

 

What if Women Ruled the World?
von Yael Bartana
Regie: Yael Bartana, Bühne: Saygel & Schreiber, Kuratorin: Elodie Evers, Dramaturgische Mitarbeit: Alan Twitchell, Expertinnen-Auswahl: Phoebe Greenwood, Künstlerische Produktionsleitung: Chris Barrett.
Mit: Olwen Fouéré, Antje Stahl, Jo Martin, Noa Bodner, Anne Tismer, Patricia Flor, Carina Van Meyn, Paula Peters, May Zeidani, Heather Linebaugh (Premierenbesetzung, die Zuammensetzung des Ensembles wechselt an den Abenden).
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause

www.volksbuehne.berlin

 

Kritikenrundschau

"Yael Bartanas Frauenabend" sei "im Format wenig souverän wie auch inhaltlich äußerst dünn", schreibt Christine Wahl im Tagesspiegel (14.4.2018). "Die Künstlerin kann sich nicht entscheiden, ob sie einen Expertinnendiskurs oder eine Satire inszenieren will."

"Das der aktuellen Weltlage geschuldete Gefühl der atomaren Bedrohung wird durch diesen harmlosen Politdiskurs nicht befeuert", gibt Ute Büsing auf rbb online (13.4.2018) zu Protokoll.

"Ein politisch anspruchsvolles Format, das trotz der klugen Köpfe auf der Bühne enttäuschte" sah Katrin Bettina Müller für die taz (14.4.2018) "Viele vernünftige Argumente, aber keine Emotionen, eine akademische und abstrakte Sprache, aber keine Spannung. Kein Möglichkeitsraum öffnete sich, gerade das wäre aber entscheidend gewesen."

 

Kommentare  
What if women..., Berlin: Podium mit Pausenclown
Donald Trumps Silhouette schwebt über dem runden Konferenztisch, an dem sich das rein weibliche Kabinett einer pazifistischen, auf Abrüstung setzenden, fiktiven Supermacht versammelt hat. Der Zeiger der „Doomsday Clock“ an der Wand ist bedrohlich auf zwei Minuten vor Mitternacht vorgerückt.

Zwei Tage vor der Berlin-Premiere von Yael Bartanas Stück „What if women ruled the world?“, das im vergangenen Jahr schon in Manchester und Aarhus zu sehen war, drehte Trump wieder mal an der Eskalationsschraube und setzte mit einem Tweet eine Raketendrohung an Syrien und Russland in die Welt. Bartana und ihre fünf (jeden Abend wechselnden) Expertinnen und ihre fünf Schauspielerinnen nutzten diese Steilvorlagen und zitieren in ihren Debatten über den „Mr. Twittler“ ausgiebig nur leicht verfremdete Trump-Tiraden.

Knapp zwei Stunden lang diskutieren die Frauen darüber, wie dem Aggressor zu begegnen ist. Jede Expertin erläutert ein Rezept aus ihrem Fachgebiet: Am Premieren-Abend an der Volksbühne wirbt z.B. die Diplomatin Patricia Flor für Rüstungskontroll-Abkommen und vertrauensbildende Maßnahmen. Paula Peters von Change.org wirbt für das Potenzial zivilgesellschaftlicher Graßwurzel-Kampagnen. Heather Linebaugh, eine Aussteigerin aus dem US-Drohnenprogramm, schimpft über die „toxic masculinity“ (der gesamte Abend ist auf Englisch ohne Übertitel oder Übersetzung) und warnt vor dem Einsatz der Drohnen-Technik.

Typische Rollenmuster werden – auf allerdings sehr platte Art – karikiert, dass Männer hier nur als Sekretär oder leicht bekleideter „Tea Boy“-Bunny, der die Erfrischungen reicht, Staffage sind, während sich die Frauen um die Politik kümmern.

Anne Tismer durchbricht den Krisen-Talk immer wieder als Pausenclown mit starkem Akzent und skurrilen Bemerkungen über Oxytocin-Spritzen, das Matricharchat und Bonobos. Das lockert die Debatte etwas auf. Insgesamt kommen die im Gegensatz zu Tismers Einwürfen ernstgemeinten Beiträge der Fachfrauen aber auch nicht wesentlich über das übliche Niveau von Podiumsdiskussionen hinaus, bei denen nur jede Panelistin ihren mitgebrachten Standpunkt bekräftigt.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2018/04/12/what-if-women-ruled-the-world-theatraler-polittalk-ueber-trump-atomwaffen-und-die-doomsday-clock/
What if women..., Berlin: neutralisiert
um es kurz zu machen:
für die sache der frauen (aller menschen),
die sache des weltfriedens
und die sache des theaters
ein wahrlich grosser bärendienst.
es bleibt uA die frage, welches wissen von
dem wirkungsraum 'grosse bühne' sollte man
haben - welche formate eignen sich da - wenn
das ziel war, vermutlich interessante frauen im
bühnennebel zu neutralisieren, dann haben die verantwortlichen alles richtig gemacht. es gab ja gerüchte, dass
an dieser premiere b6112(die zur zeit smarteste atombombe)(staub zu glitzer vom letzten september) den laden zum zwecke der selbstermächtigung zum 2. mal heimsucht. hier
hätte ws dramaturgisch dialektisch gepasst.
What if women..., Berlin: lieber mit Witz begleiten
Ich hoffe, dass Chris Dercon nicht zu sehr nervlich angegriffen ist von der gesamten Chose. Andererseits ist es nicht gerade freundlich, an dem Tag, wo die Kritiken der letzten grossen Premiere seiner Spielzeit geschrieben werden die Nachrichten damit zu dominieren, dass er seinen Vertrag zurückgibt. Mit etwas mehr Humor und Sinn für Theatralik wäre da doch der richtige Zeitpunkt der 1. April gewesen. Mann kann auch manchen offene Rechnung mit der Stadtgesellschaft durch Witz begleichen.
What if women ..., Berlin: harmlos, oberflächlich
Das Theaterstück hat leider keine Antworten auf die Frage geliefert, was wäre, wenn Frauen die Welt regieren würden. Die fachlichen Beiträge der Expertinnen blieben weit davon entfernt, Hinweise bzw. Rezepte für die Erhaltung des Weltfriedens zu geben. Ein harmloses und oberflächliches Theaterstück, in dem man als Zuschauer gelegentlich über platte Witze lächeln oder sogar lachen konnte. Mehr nicht.
What if women ..., Berlin: weltfremd
Wenn also schon die Debatte über eine weibliche Politikutopie nicht funktioniert, dann klappt es vielleicht auf der Ebene des Handelns? Aber nein, auch hier beißt sich der Abend selbst in den, Verzeihung, Schwanz. Denn die Proseminaratmosphäre der mit zunehmender Eskalation der Rahmenhandlung immer selbstgenügsamer erscheinenden Diskursverliebtheit produziert den Eindruck einer Weltfremdheit, die auf die als „Experiment“ titulierte vorgeführte Utopie ein eher ungünstiges Licht wirft. Wenn es so aussieht, wenn Frauen die Welt regieren, dann gnade uns Gott, lässt sich der innere Chauvi immer selbstbewusster vernehmen. Vor allem der schluss, da sind die Atomraketen bereits auf dem Weg, zerlegt sich das Format selbst: Aufgefordert

Aber es wird noch schlimmer: Denn irgendwann scheint Bartana einzufallen, dass es sich bei Kubricks Folie ja um eine Satire handelt. Also muss diese Ebene auch noch hinein und kollidiert natürlich brutalstmöglich mit der zur Schau gestellten Ernsthaftigkeit der Politikerinnentruppe um die streng besorgt dreinschauende „Präsidentin“ Olwen Fouéré. Auch weil das satirische Niveau mit unterirdisch zu positiv beschrieben wäre und Bartana wirklich jede Pointe misslingt (die Irrwitzigkeit der Sentenz „You cannot fight in here. This is a war room!“ zeplatzt eben komplett, wenn man „War Room“ durch „Peace Room“ ersetzt). Abgesehen von einem Sammelsurium der plumpsten denkbaren Trump-Witze gibt es einen halbnackten Schönling, der Bananen reicht (Sexismussatire!) und gleich thematisiert wird und vor allem Anne Tismers Außenmisisterin, die in furchtbarstem deutschen Akzent (der Abend ist auf Englisch) das Zerrbild einer Radikalfeministin zeichnet, wie es, sagen wir freundlich: Wertkonservativen, gefallen dürfte. Sie referiert mit heiligem Ernst über das Matriarchat bei den Bonobos und zählt ihre Kollegin an, weil sie mit dem eigenen Kind telefoniert und damit patriarchale Strukturen zementiere. Damit fällt der Abend seiner eigenen Versuchsanordnung vollends in den Rücken, lässt den Zuschauer (!) sich wohlig kichernd im Sessel rekeln und gibt die gewollte Utopie der Lächerlichkeit preis. Effektiver könnte sich auch Brachialkomiker Mario Barth nicht über „weibliche Eigenheiten“ beömmeln. Und so bleibt die schale Erkenntnis, dass die Antwort auf die Titelfrage, welche der Abend gibt, eine ernüchternde sein könnte. Und das ist für eine Theaterarbeit mit dem Anspruch, eine optimistische Alternative zum patriarchalen Status Quo auszuprobieren, schlichtweg eine Katastrophe. Als Theater ist es dieses amateurhafte Stückwerk ohnehin. Als Demonstration für die Bedeutung der Dramaturgie taugt der Abend aber wenigstens.

Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2018/06/07/ein-konigreich-fur-eine-dramaturgie/
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