Madame Bovary - Am Wiener Theater in der Josefstadt sucht Anna Bergmann in Flauberts Provinzschicksal die Großtragödie einer Dramaqueen
Arsen und Gasherd
von Gabi Hift
Wien, 12. April 2018. "Ich bin Madame Bovary", lautete Flauberts berühmt gewordene Antwort auf die Frage, wer denn das Vorbild seiner Romanfigur sei. Heute dürfte ein Mann nicht mehr so ohne weiteres behaupten, alles über die Erfahrung einer weiblichen Figur zu wissen. Umso gespannter wartet man, was eine Frau als Regisseurin damit machen wird, und nicht irgendeine Frau, sondern Anna Bergmann, die kürzlich einen Riesenwirbel ausgelöst hat mit ihrer Ankündigung, sie werde als Schauspieldirektorin in Karlsruhe nur weibliche Regiekräfte engagieren. In ihrer Version soll es gleich fünf Madame Bovarys aller Altersklassengeben – die Männerwelt aber, an der Emmas Sehnsüchte so kläglich zerschellen, der stumpfe, gutmütige, langweilige Charles Bovary, der hohle Leon, der berechnende Verführer Rodolphe, sie alle werden ohne die höheren Weihen der Verfünffachung auskommen müssen.
Provinzstadt in schwarzer Romantik
Statt über der trostlosen spießigen Provinzstadt, in der Emma mit dem Landarzt Charles Bovary lebt, öffnet sich der Vorhang über einer Szenerie aus der schwarzen Romantik. Ein düsterer, fensterloser Raum; in schalem, üblem Grün getäfelte Wände ragen bis zum Schürboden hinauf; am Grund dieser Schlucht ein schwarzes Klavier, da sitzt SIE, die erste der Emmas, Maria Köstlinger, und singt mit verruchter Stimme ein Lied von Portishead: "This life is a farce, in can’t breathe trough this mask, like a fool." Weißer Rücken, nackt bis zur Taille, ein extravagantes Abendkleid, dramatisch wirres Haar. In mehreren Metern Höhe öffnen sich Luken, Stege klappen heraus, auf denen weitere Bovarys herauskriechen und kopfüber in die Tiefe hängen, alle mit wirrem Haar, in mondänen Abendkleidern oder in Unterwäsche, und mit aggressiv sexuellen Blicken in den Zuschauerraum starren.
Nun erscheint ein Mann und beginnt die Geschichte zu erzählen, Christian Nickel, während das, was man auf der Bühne sieht, wohl quasi das ins Körperliche gekehrte Innenleben der Bovary darstellt. Nur einzelne Szenen werden gespielt, in ihnen bleibt die Bovary – meist ist es Köstlinger – die düstere Dramaqueen, während die anderen vier eher Echo sind als eigene Figuren. Die Männer spielen ihren Part hingegen ganz altmodisch psychologisch. Und diese Konstellation geht nach hinten los. Schon der stumpfe Charles geht einem näher als Emma. Als dann Meo Wulf als Kanzlist Leon auftaucht und aufrichtig, blond und süß die ärgsten Plattitüden von sich gibt, wächst er einem sofort ans Herz.
Das einzige andere weibliche Wesen neben Emma, ihre Tochter Berthe, wird von einer Puppe gespielt, geführt von der Puppenspielerin Suse Wächter, und sie ist die Rührendste von allen.
Nachdem Leon fortgezogen ist, lernt Emma den skrupellosen Verführer Rodolphe kennen. Nickel spielt ihn auf eine Art, die an Schnitzler denken lässt, man erkennt in diesem ungeheuer modernen Text von Flaubert einen Vorschein von "Anatol" und vom "Reigen".
Krankheitsbilder
Anna Bergmann hat in Interviews über die Krankheitsbilder gesprochen, die zu Madame Bovary passen könnten. Tatsächlich wirkt ihr Verhalten auf der Bühne so wie das, was man früher "manisch- depressives Irresein" nannte und später "bipolar". Gut möglich, dass das reale Vorbild von Flaubert, die Delamare, tatsächlich daran litt. Die Verschwendungssucht, die Stimmungsschwankungen, der Selbstmord am Ende, legen diese Vermutung nahe. Dennoch ist das im Buch eine bloße Nebensache, führt vielleicht dazu, dass Emma ihre Sehnsüchte radikaler zu verwirklichen versucht, als es eine Gesunde täte. Ihre Wünsche aber sind keineswegs abgehoben, sondern greifbar, alltäglich, banal. "Sie wollte gleichzeitig sterben und in Paris wohnen". Das ist ironisch – und rührend.
Das Radikale an Flauberts Roman ist, dass er einen so kleinen, so gewöhnlichen Fall behandelt. Bergmann hingegen macht Emma größer, dramatischer, pathologischer. Sie gibt der Figur eine scheinbar aufregendere theatrale Formensprache als den Männern, aber dadurch bleibt sie einem fremd. Sogar der volltrottelige Apotheker und der miese Geldverleiher Lheureux, beide gespielt von Siegfried Walther, sind in ihrer Erbämlichkeit menschlicher und allgemeingültiger als Emma hoch Fünf.
Heiner Müllers "Hamletmaschine" sorgt für Pathosschübe
Der zweite Teil verspricht eine Veränderung. Moderne Kostüme, Leon düst auf einem dieser in Wien derzeit angesagten elektrischen Rollbretter herein (eine gute Übersetzung für die verwegene Fiakerfahrt, bei der Leon und Emma zum ersten Mal Sex haben). Aber bald nimmt wieder die Düsternis überhand. Verfolgt von Schulden wendet sich Emma zuerst an Leon, dann an Rodolphe. Als beide keinen Pfennig für sie herausrücken wollen, nimmt sie Arsen und krepiert ganz schrecklich.
Den allerletzten Teil spricht Ulli Fessl, die älteste – tote – Emma. Dass ihr Geist nach dem grausigen Selbstmord noch herumzuschweben scheint, und sich gar für den armen Charles interessiert, was Emma zu Lebzeiten nie getan hat, verwässert das Ende. Als Abgesang spricht sie dann noch Heiner Müllers Ophelia aus der "Hamletmaschine": "Ich bin die Frau mit dem Kopf im Gasherd…", ein Text, der Frauen immer schon sauer aufgestoßen ist, weil Müller hier den Selbstmord seiner Frau Inge für sein Stück ausgebeutet hat. Aber was noch mehr stört, ist, dass hier eine große tragische Erfahrung transportiert werden soll: Ophelia/Inge Müller traumatisiert von den entsetzlichen Ereignissen des zweiten Weltkriegs – während Emma ja gerade nicht an den großen Dingen zugrunde geht, sondern an der Unerfüllbarkeit ihrer romantischen Wünsche. Das als potentiell tödliche Erfahrung zu schildern, war das Revolutionäre des Romans. Emma Bovary stirbt am großen Schmerz der kleinen, banalen Sehnsucht, sie ist eine Heldin. Die fünffache Hysterikerin mit ihren großen Leiden, die wir hier sehen, ist keine.
Madame Bovary
nach Gustave Flaubert
Bühnenfassung von Anna Bergmann und Marcel Luxinger
nach der Übersetzung von Elisabeth Edl
Regie: Anna Bergmann, Bühnenbild : Katharina Faltner, Kostüme : Lane Schäfer, Musik : Heiko Schnurpel, Choreografie: Radha Anjali, Dramaturgie: Barbara Nowotny, Licht: Manfred Grohs.
Mit: Maria Köstlinger, Bea Brocks, Therese Lohner, Silvia Meisterle, Ulli Fessl, Roman Schmelzer, Christian Nickel, Siegfried Walther, Meo Wulf, Suse Wächter.
Dauer: 2 Stunden 45 Minuten, eine Pause
www.josefstadt.org
"Wird Emmas Zustand in Gustave Flauberts Roman (1857) weitgehend als Depression erkennbar, liest man diesen in der Josefstädter Arbeit eher als Dekadenz. Bovary wird im Verlauf ihrer verzweifelt betriebenen Affären und ihrer gedankenlosen Kaufsucht nicht wirklich zur Sympathieträgerin", schreibt Margarete Affenzeller in Der Standard (13.4.2018). Emmas Leiden unterliege "anderen, heutigen Rahmenbedingungen", "und man denkt: Reiß dich zusammen, such dir einen Job!", so Affenzeller: "So wirkt das Finale mit dem Ophelia-Monolog aus Heiner Müllers Hamletmaschine eher aufgesetzt."
Ein "schlichtes gesellschaftskritisches Lehrstück" hat Anne-Catherine Simon gesehen und schreibt in Die Presse (13.4.2018): "Wir sind hier in einem Gruselkabinett der Gemeinheit und Perversion, sehen Köstlinger als kraftvolle, aber dauerrasende Emma am Ende sogar in einem Höllenbordell zwischen Teufelchen im Lackkleid verzweifeln." Für dieses Elend gebe es "allzu klare Schuldige", so Simon: "Obwohl die in der DDR geborene, 40-jährige Regisseurin Anna Bergmann Flauberts Prosa viel Raum gibt (...), hat sie den Text so zugerichtet, dass die Botschaft deutlicher nicht mehr sein könnte: Emma ist ein Opfer unemanzipierter bürgerlicher Verhältnisse."
"Ein verstörend schöner Abend", summiert hingegen Bernadette Lietzow in der Tiroler Tageszeitung (13.04.2018). "Bildgewaltig und ästhetisch auf die Entstehungszeit von Gustave Flauberts 1857 erschienenem Roman verweisend" sei der Beginn, danach zielten Kostüme und ein Elektroboard auf ein Heute ab. Für Unruhe sei also gesorgt.
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