The Bad and the Banks

von Katrin Ullmann

Hamburg, 15. April 2018. "Ich verkaufe dir die Zukunft." Was für ein Versprechen! Seine Zeigefinger tänzeln in die Höhe, als wollten sie Luftballons zum Platzen bringen. Eine Gewinnerpose folgt der nächsten, Robert Merkins (Samuel Weiss) ist siegessicher. Gerade fädelt der Investmentbanker den nächsten Deal ein, den nächsten Takeover. Finanziert aus Junk-Bonds. Denn mit diesen hoch riskanten und hoch verzinsten "Schrottanleihen" verspricht er Investoren fette Gewinne und sichert diese mit den Werten des Unternehmens ab, das er angreift. Sein nächstes Ziel ist Everson Steel, ein traditionsreiches Stahlunternehmen.

Es ist die Zeit des modernen Goldrauschs Mitte der 1980er Jahre in Amerika. Als die Wall Street noch das Zentrum des Universums, die Investmentbank ihr unumstrittener König war. "Junk" erzählt eine "Geschichte über Könige … die sich verbissenen Schlachten liefern wegen – na, was wohl? – wegen Geld". Ayad Akhtar hat das wendungsreiche Stück über Menschen, Macht und Millionen geschrieben. Nach "Geächtet" und The Who and the What ist es die dritte deutschsprachige Erstaufführung Akhtars am Hamburger Schauspielhaus. Und, das ist wohl das Interessanteste an der Sache: Das Stück basiert auf wahren Begebenheiten.

Investmentbanking (David) gegen Industrie (Goliath)

Akthar zeichnet darin die Geschichte von Michael Milken nach. Der US-amerikanische Investmentbanker ist bekannt geworden als "Junk Bond King" und eine Symbolfigur der Gier an der Wall Street. Bei Akthar heißt er Robert Merkins. Samuel Weiss verkörpert ihn mit der erwartbaren Mischung aus welterfahrener Lässigkeit, rhetorischer Gewieftheit und eitler Geltungssucht. Klar, dieser Banker steht auf der Gewinnerseite des Geldes und damit des Lebens. Gekonnt zieht er die Strippen, dirigiert seine Mittelsmänner und den Aktienmarkt. "Wenn man ihn nicht aufhält, zerstört dieser Shylock das ganze Land", heißt es später über ihn. Mit gelegentlichen antisemitischen Anspielungen versucht der US-amerikanische Autor die Stimmung zu schärfen – ein zweifelhaftes Unterfangen, denn die Klischees, mit denen er dabei hantiert, werden nicht hinterfragt. Sie kleben wie dekorative Petersilie an der Oberfläche.

Junk1 560 Sinje Hasheider uDas Ensemble vor (noch!) stählernem Bühnenbild (Marie Roth) © Sinje Hasheider

Merkins' Gegenspieler ist Thomas Everson, der Vorstandschef von Everson Steel. Die Stahlindustrie steckt gerade in der Krise und – ganz abgesehen davon – der in die Jahre gekommenen Chef alter Schule ist seinem Gegner überhaupt nicht gewachsen. Während der alte Herr kopfschüttelnd die Welt nicht mehr versteht, hat Merkins schon längst den Aktienwert von Everson Steel manipuliert. Ernst Stötzner spielt diesen loyalen, der Tradition seines Vaters verpflichteten Geschäftsmann hervorragend. Dieser Unternehmer ist einfach zu gut und zu langsam für diese Welt und – das ist dramaturgisch geschickt gemacht – er bremst das hektische Stücktempo mit seinem retardierten Verständnisfragen aus. Durch ihn bekommt auch der Zuschauer eine Erklärung zu Anleihen, Optionsscheinen und Buyouts. Wenn sich Stötzner tief seufzend setzt, seinen Blick nach innen kehrt und seine Selbstzweifel laut werden. Wenn er sich mit apathischen Bewegungen durch sein wirres weißes Haar fährt, wenn er versucht die Vorgänge zu verstehen und tatsächlich nichts versteht, wenn er stotternd in Erklärungsnot gerät, dann wird durch seine grandiose Spielart sogar so etwas Monumentales wie die US-amerikanische Stahlindustrie zu einem Sympathieträger. Natürlich wird Everson Steel später aufgekauft, natürlich bringt sich Thomas Everson später um.

Und der Haifisch, der trägt Anzug

Jan Philipp Gloger inszeniert das Spiel um Gut und Böse auf enger Bühne. Nur wenige Meter Spielraum stehen den Akteuren zur Verfügung, gleich hinter ihnen ragt meterhoch eine Stahlwand auf. Durch Spots und Lichtwechsel werden die verschiedenen Konstellationen herausgeleuchtet, den jeweiligen Ort des Geschehens – Konferenzräume, Parkanlagen oder Restaurants – illustriert die Soundkulisse. Die Musik (Kostia Rapoport) ist, wie das Sprechtempo der meisten Darsteller, meist drängend: Auch Zeit ist schließlich Geld. Die Kostüme von Karin Jud beschreiben mit Anzug und Krawatte ein Etikette wahrendes Haifischbecken.

Junk2 560 Sinje Hasheider uErnst Stötzner, Yorck Dippe, Samuel Weiss, Janning Kahnert © Sinje Hasheider

Gloger wählt einen psychologischen Duktus für die mit Intrigen, Lügen und Täuschungen angereicherte Geschichte. Die Sache mit den Anleihen, Aktien undsoweiter ist ja schon kompliziert genug. Und so erfährt man in konventioneller, etwas unterkühlter Erzählweise (liegt's am Thema oder an den Microports?) vom Aufstieg und Fall des skrupellosen Robert Merkins, der so süchtig ist nach Deals, dass er mit dem Bundesanwalt (Paul Herwig) sogar noch sein Strafmaß aushandelt. Der Abend unterhält, ist gut besetzt, nah am Text gearbeitet. Wenn man keine Metaebene erwartet, kann man sich die Inszenierung ohne Langeweile ansehen, kann sich an den Schauspielern erfreuen. Und man kann sich versuchsweise damit anfreunden, dass eine Geschichte erzählen auch schon Kunst sein kann. Dafür aber muss man eigentlich nicht ins Theater gehen. Man kann sich auch Oliver Stones "Wall Street" anschauen oder – gegenwartsnäher – die erste Staffel von "Bad Banks" reinziehen. Dauert natürlich länger als zwei Stunden.

Junk
von Ayad Akthar
Deutsch von Michael Raab
Deutschsprachige Erstaufführung
Regie: Jan Philipp Gloger, Bühne: Marie Roth, Kostüme: Karin Jud, Musik: Kostia Rapoport, Videodesign: Sami Bill, Video: Alexander Grasseck, Ton: André Bouchekir, Christoph Naumann, Licht: Susanne Ressin, Dramaturgie: Bastian Lomsché.
Mit: Franziska Arndt, Paul Behren, Yorck Dippe, Paul Herwig, Jonas Hien, Janning Kahnert, Jan-Peter Kampwirth, Matti Krause, Thomas Mehlhorn, Anne Müller, Hannah Müller, Maximilian Scheidt, Götz Schubert, Ernst Stötzner, Samuel Weiss.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.schauspielhaus.de

 

Kritikenrundschau

"'Junk' lebt von stakkatoartigen Dialogen, nicht von exakt gezeichneten Charakteren", bemerkt Bernd Noack von Spiegel Online (16.04.2018). Jan Philipp Gloger habe das Stück klug und mit großer Lust an der Offenlegung von Zynismus und Moralverlust inszeniert. "Gloger will keinen Wirtschaftskrimi erzählen, der in Akhtars Drama auch steckt, sondern will uns Menschen zeigen, die bei Preisgabe jeglicher moralischer Skrupel an ihren eigenen, viel zu hoch gesteckten Ansprüchen scheitern." In seiner "tempoflinken, garstig-komischen" Inszenierung habe er "mit erstaunlichem Feingefühl die erschreckenden Grobheiten des Marktes und seiner habgierigen Diener seziert".

Es sei eine kluge Entscheidung des Regisseurs Jan Philipp Gloger, das Stück zunächst – eher konventionell – als Wirtschaftskrimi zu inszenieren, so Christoph Leibold von Deutschlandfunk Kultur (15.04.2018). Gloger mache das sehr gekonnt. Dem großartigen Ensemble gelängen wunderbare Figurenporträts.

"Der Autor Akhtar beherrscht sein Handwerk perfekt. Er ist ein Meister des sogenannten Well-made-plays. Da sitzen die Dialoge, da stimmt das Timing und er hat den Finanzleuten offenbar gut aufs Maul geschaut", jubelt Heide Soltau vom NDR (16.04.2018). Jan Philipp Gloger habe Akhtars Vorlage temporeich umgesetzt und die Regieanweisungen des Autors beherzigt. "Kein Bühnenrealismus und keine 80er-Jahre-Nostalgie, heißt es da. Das Drumherum des Geschehens solle sich im Kopf der Zuschauer abspielen." Einziger Makel: "Man hätte sich für manche Rollen andere Schauspieler gewünscht. Die drei Frauen waren schwach, der Journalistin etwa fehlte das Zupackende."

Gloger habe das lupenreine Konversationsdrama wirkungsmächtig entfaltet, findet Stefan Grund von der Welt (17.4.2018), der an Akhtars Stück "Shakespearesche Dimensionen" erkennt. "Samuel Weiss wächst im Schauspielhaus als Merkin über sich hinaus, verkörpert den Finanzguru mit Leib und Seele."

"Natürlich kann Theater keine Visionen für eine realistische oder wenigstens gutgelaunte Einwanderungspolitik entwickeln, aber es kann Stücke zur Verfügung stellen, die historische Zusammenhänge aufzeigen, um das Heute besser zu verstehen", konstatiert Daniele Muscionico in der Neuen Zürcher Zeitung (18.4.2018). "Junk", das erkläre, wie der Kapitalismus in den 1980er Jahren zur Religion oder heiligen Abstraktion werden konnte, sei so ein Stück. "In einem als hitziges Wirtschaftskrimi inszenierten Glücksspiel – rasend schweift der Scheinwerfer über die Figuren und bleibt bei immer anderen stehen –" bilde Schauspieler Samuel Weiss das charismatische Zentrum.

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