Das sind ja nur Nazis

von Dirk Pilz

18. April 2018. Diesmal nichts über Chris Dercon und die Volksbühne. Besser wär’, eine Dercon-Debatten-Pause einzulegen. Denn es sind zwar inzwischen allerhand Fakten auf dem Tisch, die wesentlich zum Abbruch der Dercon-Intendanz geführt haben. Es wurden auch allerlei handfeste Argumente und Probleme benannt (siehe die Fragen nach dem Ensembletheater und dem Status des Stadttheaters, siehe die Fragen nach den Verhältnissen der Künste untereinander), aber der Streit ist ideologisch festgefahren. Es werden Schlagworte hin und her geworfen, Vorwürfe gemacht, Verbitterungen ausgetauscht. Rechthaber hier, Rechthaber dort. Die Fakten sind allenfalls Girlanden einer lustvoll bespielten Kulturkampfarena. Lassen wir das für eine Weile.

Im Rechtsdrift

Ich weiß, das ist ein naiver Wunsch. Es wird schon morgen die nächsten Volksbühnen-Dercon-Meinungsbeiträge geben. Schließlich geht es jetzt auch um die Dercon-Nachfolge. Gerade erst hat Ersan Mondtag in ein Mikrofon gesagt, dass er hierfür "selbstverständlich" zur Verfügung stünde. Warum auch nicht.

kolumne 2p pilzWas mich aber nachhaltig irritiert, auch beunruhigt, ist die große Leidenschaft, ist die enorme Energie, die in diese Debatte gesteckt wird – während das Land einem erdrutschartigen Rechtsdrift ausgeliefert ist. Während die antisemitischen und islamfeindlichen Kräfte zusehends an Einfluss gewinnen. Während die AfD Tag für Tag weiter an einer Enthumanisierung der Gesellschaft arbeitet, ihren Rassismus in die Debatten einspeist, ihre Bürgerkriegstreiberei betreibt, die Demokratie aushöhlt, Menschen gegen Menschen ausspielt und den Faschismus als bloße Spielart des Parlamentarismus darstellt. Der Pianist Igor Levit hat unlängst von einer "Konsensverschiebung" gesprochen: "Dinge, die gesellschaftlich völlig inakzeptabel waren und auch nicht unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit toleriert wurden, sind plötzlich wieder Konsens. Die Verschiebung findet laut und leise statt, in den Medien und in der Politik." Er hat, leider, vollkommen recht.

Wahn, überall Wahn

Es gibt durchaus laute, kräftige Stimmen aus dem Theaterbetrieb dagegen, von Volker Lösch bis Falk Richter und dem Gorki Theater. Aber es gibt nicht die Verve und die Entschiedenheit, nicht die Geschlossenheit und Leidenschaft, mit der etwa die Volksbühnen-Frage verhandelt wird. Als sei es unter der Würde des Theaterbetriebs, sich mit hässlichen Nazis zu befassen, als stünde man außerhalb, als beträfe es einen nicht. Als hinge das (eigene wie das allgemeine) Wohl und Wehe eher am Pro-und-Contra in Sachen Dercon – und weniger an einer Partei, der es um Umsturz, um Machtergreifung geht. Man hat es offenkundig mit einer fatalen Maßstabsverschiebung bei gleichzeitiger Wirklichkeitsverdrängung zu tun: Dinge, die theaterbetriebsmäßig gewiss von einiger Bedeutung sind, werden wichtiger genommen als die gesellschaftlichen und politischen Bedingungen, unter denen sie stattfinden.

Felix Stephan hat kürzlich konstatiert, die derzeit geführten Debatten um Tellkamp, Lilienthal, Dercon oder den Echo trügen wahnhafte Züge. Den Eindruck kann man haben, ja. Und womöglich entspricht das tatsächlich einem Sekten-Denken. Das legt zumindest der von Stephan zitierte amerikanische Philosoph C. Thi Nguyen nahe, wenn er davon spricht, dass die Öffentlichkeit nicht mehr nur in Blasen zerfalle, sondern sich in Echokammern auflöse: "Ein soziales Netzwerk, das ausschließlich aus unglaublich intelligenten, besessenen Opernfans besteht, würde mir sämtliche Informationen über die Opernszene liefern, die ich mir nur wünschen könnte, aber es würde mich nicht über den Umstand informieren, dass, sagen wir, mein Land von einer steigenden Flut von Neonazis befallen ist."

Der ordentliche Theaterbetriebsmensch macht sich die Finger nicht schmutzig

Es ist sogar noch ärger: Die unglaublich intelligenten, besessenen (Theater)Fans sind sehr wohl über die steigende Flut der Neonazis informiert – aber sie investieren ihre Zeit, Energie und Kraft dennoch vor allem in die Bewirtschaftung der eigenen Echokammer. Es scheint sich in der Theaterbetriebssekte eine Haltung auszubreiten, die diesen doofen Neofaschismus als bloße Gegenwartsbegleiterscheinung nimmt, die sich verflüchtigen wird wie sich Moden verflüchtigen; und mit derlei Moden macht sich der ordentliche Theaterbetriebsmensch die Finger natürlich nicht schmutzig, da steht man drüber; im übrigen ist die AfD ja auch eine demokratisch gewählte Partei und sowieso ist natürlich alles viel komplizierter, was natürlich niemand begreift außer der alles erfassende Theaterbetriebsmensch. Der weiß, dass alles nicht so einfach ist. Klar.

Was soll man also machen, im übrigen geht es ja eh nur um Nazis. Reden wir lieber über Dercon.

Der Theaterbetrieb kann im Grunde froh sein, dass die AfD die Volksbühnen-Dercon- Fragen noch nicht auf das große politische Podest gehoben hat, obwohl es so naheliegend wäre. Denn geschähe es, würde die Echoluftkammer in sich zusammensacken – und stünde plötzlich die politische Wirklichkeit in all ihrer Hässlichkeit in der Tür, die sich mit dem gut eingeübten Durchblicker-, Drübersteher- und Verdrängertum nicht mehr würde verschließen lassen.

 

Dirk Pilz ist Redakteur und Mitgründer von nachtkritik.de. In seiner Kolumne "Experte des Monats" schreibt er über alles, wofür es Experten braucht.

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