Unterm Strich. Ein Jahrmarkt der Eitelkeit - Margit Mezgolich inszeniert im Theater an der Gumpendorfer Straße in Wien ihre Version von William Thackerays "Jahrmarkt der Eitelkeit"
Zeitmaschine der Heiterkeit
von Martin Thomas Pesl
Wien, 21. April 2018. Die Regisseurin ließ ausrichten, man müsse William Thackerays Wälzer nicht vorher lesen. Aus "Vanity Fair" hat Margit Mezgolich in ihr Stück "Unterm Strich. Ein Jahrmarkt der Eitelkeit" nur das Prinzip des Spielleiters übernommen. Der ist im Original ein strippenziehender auktorialer Erzähler, der die Romanhandlung mit lebensweisen Kommentaren gerne unterbricht. Stefan (Raphael Nicholas) zitiert an diesem Abend im Wiener Theater an der Gumpendorfer Straße öfter diese Passagen.
Alle Jahre sind eins
Gleich zum Auftakt spricht er von der Melancholie, die den Spielleiter beim Blick auf den Jahrmarkt überkomme. Er tut es in stolzer Pose, "auf alt" kostümiert, mit Zeremonienmeisterstock und wissend müdem Lächeln. Indes markieren die roten Ballons und von innen beleuchteten Holzkisten auf der Bühne ein heutiges Sommerfest mit Instagram-Qualität, auch die Kostüme der vier Mitspielenden erzählen Gegenwart. Es braucht eine Weile, bis das kunstfertige Spiel mit den Zeitebenen sich erschließt. Denn Stefan ist sozusagen Einsteins Nasstraum: Er ist gleichzeitig 1848, 1989 und 2018.
Er hat seinen einstigen Jahrgang aus der Schauspielschule für den 21. April 2018 (also heute) zu sich eingeladen. Für den Anlass scheint er das gleiche Kostüm angezogen zu haben wie damals 1989 (flugs wird durch Abstreifen der Wohlstandsbäuche und Überwerfen scheußlicher Achtziger-Frisuren die Zeitmaschine angeworfen). Seinerzeit trug er den skeptischen Kolleg*innen die soeben vernommene Thackeray’sche Jahrmarkts-Melancholie aus dem Jahr 1848 vor, weil ihm ein wichtiges Vorsprechen bei der Gruppe 80 bevorstand.
Selbstreferenz mit Oldie-Hits
Dies ein kleiner Insiderwitz. Das Theater Gruppe 80 bespielte bis 2005 das heutige TAG. Dem Leitungsteam, das danach übernahm, gehörte auch Margit Mezgolich an. Der jetzige künstlerische Leiter Gernot Plass prägt mit seinen erfolgreichen Klassikerüberschreibungen den Stil des Hauses: temporeich, rhythmisch, cool, das Ensemble zu körperlicher und textlicher Dichte zwingend. Davon profitiert auch die Regiehandwerkerin Mezgolich. Freilich sind die fiktiven Histrionen in ihrer Geschichte weit weniger zugkräftig: Knapp 30 Jahre nach der Schule macht niemand von ihnen mehr Theater. Woran das liegt, zeigen weitere Rückblenden, die der Spielleiter orchestriert. Das Ensemble singt das jeweilige Jahr mit prägenden Hits ein: "Love Is All Around" für 1994, "Candle in the Wind" für 1997, wer will, kann sich ein Ratespiel daraus machen.
Als die Emma mit dem Martin
Schon zu Schulzeiten – als man, um die Rettung zu rufen, eine Telefonzelle aufsuchen musste – war Richard heimlich in Emma verliebt, die mit Martin zusammen war, der sie mit Becky betrog. Dann gab es plötzlich riesige Handys, als Becky heiratete und Emma ihre Karriere am Volkstheater aufgab, um mit Martin in ein ostdeutsches Kaff zu ziehen. Da im Osten nach der Wende Theater geschlossen wurden, flog Martin in Annaberg-Buchholz raus, verließ Emma und heuerte bei Richards Internetfirma an, obwohl er nicht einmal Excel-Dateien öffnen kann.
Und so fort. Man weidet sich am unentrinnbaren Niedergang der Personen, die allzu hollywoodromanzig sind, um wirklich Mitleid zu erwecken, aber doch so liebenswert gespielt: von Lisa Schrammel etwa die reiche, schöne und wirklich himmelschreiend naive Emma und von Petra Strasser die selbstzentrierte Becky. Georg Schuberts Martin ist schon auf den ersten Blick ein polternder Arsch, gegen den Jens Claßens Richard einfach keine Chance hat. Nie darf er ausreden, die anderen unterbrechen ihn sogar über die Zeitebenen hinweg. Stefan schließlich ist der, der das alles von außen betrachtet. Dieser eine beim Klassentreffen, für den die Gruppe echt was bedeutet hat und der sich an Details erinnern kann, die den anderen damals schon wurscht waren. So ein auktorialer Erzähler eben.
Unkritisch, aber unterhaltend
Thackerays Fortsetzungsroman von 1848 schaute liebevoll ironisch auf Londons viktorianische Gesellschaft zurück. Wie er fragt Margit Mezgolich mit Blick in die jüngere Vergangenheit nach der Schicksalshaftigkeit des Lebens. Dafür, dass sie ständig historische Ereignisse wie 9/11 erwähnt, bleibt die politische Schärfe ihres Abends gleich null. Selbst kleine Seitenhiebe auf die Realität des Schauspielerdaseins lassen höchstens schmunzeln, ebenso wie der befriedigende und doch etwas vorhersehbare Plottwist am Schluss. Nichtsdestoweniger wird man 80 Minuten lang kolossal unterhalten, wie von manchem Woody-Allen-Film aus den Neunzigern. Wien erlebt gerade den ersten richtigen Sommer des Jahres. Dieser süffige Jahrmarkt der melancholischen Heiterkeit passt perfekt dazu.
Unterm Strich. Ein Jahrmarkt der Eitelkeit
von Margit Mezgolich, sehr frei nach "Jahrmarkt der Eitelkeit" von William Makepeace Thackeray
Uraufführung
Regie: Margit Mezgolich, Ausstattung: Alexandra Burgstaller, Dramaturgie: Tina Clausen.
Mit: Jens Claßen, Raphael Nicholas, Lisa Schrammel, Georg Schubert, Petra Strasser.
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause
www.dastag.at
"Das Leben, eine Seifenoper, temporeich und amüsant inszeniert", mit Figuren, die "liebevoll überzeichnet" dargestellt seien. So nimmt Katrin Nussmayr in der Presse (23.4.2018) diesen Abend wahr. "Nachrichtenschnipsel" und Popsongs schmückten "die Zeitreise durch die Jahre". Allerdings: "Mehr als oberflächliche Referenzen sind diese Zeitmarker allerdings nicht, zu dominant sind hier die jeweiligen Egos, um Platz für gesellschaftliche Entwicklungen oder tiefgründigere Überlegungen zu lassen."
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