Lebbares Modell gesucht

23. April 2018. Als Joachim Lux, Intendant des Hamburger Thalia Theaters, vor einer Woche seinen Spielplan für die Saison 2018/2019 vorstellte, sprach er auch von einem Mitbestimmungsmodell in seinem Haus. Mehr "Mitspracherecht in künstlerischen Fragen" durch die Bildung eines entsprechenden Gremiums sei geplant, berichtete das Hamburger Abendblatt. Georg Kasch hat nachgefragt.


Herr Lux, wie soll die Mitbestimmung aussehen?

Die Mitwirkung bezieht sich für mich auf zwei Bereiche: Der eine ist das genuin künstlerische gemeinsame Herumspinnen, Entwickeln, Nachdenken über Projekte und Leitlinien. Der andere betrifft die Arbeitnehmerrechte der Künstler: Wie gestalten wir die Arbeitszeit? Wie regeln wir Wünsche nach Drehtagen? Wie gliedern wir die zahlreichen Gastspiele in den Probenbetrieb ein? Wie schützen wir die Assistenten wirksam vor der Gefahr permanenter Überbelastung? Wie gehen wir mit Umbesetzungen um? Und übergeordnet: Wie können wir den ökonomischen Notwendigkeiten entsprechen, ohne die künstlerische Freiheit zu sehr zu beschneiden?

Warum denken Sie gerade jetzt über ein Mitbestimmungsrecht nach, in Ihrer neunten Spielzeit am Thalia?

Wir haben im Grunde eine gute Spiel- und Konfliktkultur im Haus. Es gibt einen gewissen besonderen Geist, er ist über die Jahre gewachsen, und man sollte ihn nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Und doch ist vieles oft unbefriedigend, nicht hinreichend transparent, nicht aus bösem Willen, sondern wegen zwangsläufig oft unterkomplexer Kommunikation komplexer Prozesse. Als es darum ging, ob ich als Thalia-Intendant verlängere oder nicht, war klar, dass ich nicht einfach weitermachen will. Neben bestimmten programmatischen Erweiterungen hatte ich mir vorgenommen, die kreativen Möglichkeiten des klassischen Stadttheaters als Ensemble- und Repertoire-Theater für die Zukunft zu entwickeln. Interne Gespräche dazu gibt es schon länger. Parallel dazu gibt es seit einiger Zeit öffentliche Debatten über das Stadttheater, und auch die Schauspieler haben angefangen, sich zu organisieren. Ich glaube nicht an Änderungen mit der Brechstange, dazu ist so ein Theater ein zu sensibles Konstrukt. Andererseits aber muss endlich etwas passieren. In der kommenden Spielzeit feiern wir den 175. Geburtstag des Thalia. Ein guter Anlass, sich etwas zu wünschen und sich um die Zukunft zu kümmern. Momentan dreht sich der Wind ja aufgrund von bestimmten Ereignissen wieder etwas zugunsten des Stadttheaters. Es wäre aber fatal und fahrlässig, dies nur als Bestätigung der bestehenden Strukturen zu lesen. Die Frage "Wie wollen wir leben?" hat sehr viel mit der Frage "Wie wollen wir arbeiten?" zu tun.

LuxPK 560 ThaliaJoachim Lux bei der Pressekonferenz zur Spielzeit 2018/19 im Thalia Theater
© Thalia Theater (via Twitter)

In der Spielzeit-Pressekonferenz sprachen Sie von einer "Arbeitsverdichtung, deren Zumutbarkeit an eine Grenze gekommen" ist. Was meinen Sie damit?

Ich möchte mehr Luft zum Atmen für die Kunst. Am Theater geht jeder für die gemeinsame Sache an Grenzen oder sogar über sie hinaus – das ist für niemanden ein Problem. Und dennoch muss man versuchen, Grenzen besser zu beschreiben. Ein Beispiel: Das Thalia macht traditionell 12 Bühnenproben pro Produktion, das ist konfliktträchtig und nicht viel – in Hannover sind es 17, um ein Beispiel zu nennen. Ich frage mich schon lange, ob es intelligente – und das heißt ökonomisch darstellbare – Lösungen gibt. Aber es geht auch noch um etwas anderes. Es stellt sich die Frage, wie ich die Schauspieler an den künstlerischen Prozessen beteiligen kann: Wer soll hier arbeiten? Wie ergänzt sich ein Ensemble? Was interessiert uns denn inhaltlich?

Die Mitbestimmungsmodelle an der Berliner Schaubühne unter Peter Stein, aber später auch bei Thomas Ostermeier sind u.a. daran gescheitert, dass die Schauspieler es neben ihrem Arbeitspensum einfach nicht mehr geschafft haben, sich zu engagieren.

Natürlich, es gibt den gelebten Arbeitsalltag. An einem Abend nimmt man sich vor, dass sich jetzt alles ändert, und dann bleibt alles, wie es ist, weil der Alltag das wegfrisst. Deswegen muss man halbwegs realistisch bleiben und darf sich nicht selbst überfordern. Ich habe vorgeschlagen, ein kleines Gremium, das eine gewisse Schlagkraft hat, zu gründen, das etwa ein Mal im Monat zusammenkommt und das dann wirklich nur den künstlerischen Bereich umfasst, ein Teil der Dramaturgie, zwei, drei Schauspieler und ich. Und dann kann diese Gruppe sagen: Zu unserem nächsten Treffen laden wir zwei Regisseure ein, oder die Disponentin oder den kaufmännischen Geschäftsführer etc. Wir suchen derzeit nach einem lebbaren Modell. Eine Garantie gibt es nicht, es ist ein Versuch, eine enorme Herausforderung. Denn die Frage ist ja im Kern, wie man Theater als sozialen und gleichzeitig künstlerischen Organismus leiten und lenken kann. Schließlich: Wir müssen uns nicht vormachen, dass wir alle Herausforderungen über formalisierte Mitbestimmungsmodelle klären können. Ein Theater lebt von der Balance zwischen puren und übrigens in einem bestimmten Rahmen völlig legitimen Egointeressen und dem gemeinsamen Bewusstsein, dass das Theater als Ganzes nur als Gruppenkunstwerk aller funktioniert. Und auch das äußerst sensible Binnenverhältnis zwischen Regisseuren und Schauspielern lässt sich nur in Grenzen formalisieren. Vielleicht holen wir uns auch ein blaues Auge – keine Ahnung, wir werden sehen.

Joachim Lux studierte Germanistik und Geschichte in Münster und Tübingen. Er war Dramaturg, Chefdramaturg und Regisseur in Köln, Düsseldorf und Bremen und von 1999 bis 2009 Mitglied der künstlerischen Direktion des Wiener Burgtheaters. Seit Herbst 2009 ist Joachim Lux als Nachfolger von Jürgen Flimm und Ulrich Khuon Intendant des Thalia Theaters in Hamburg.

 

 

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