Presseschau vom 23. April 2018 – Frank Castorf blickt im Spiegel-Interview zurück auf den Streit um die Berliner Volksbühne

Im Meer der Feindseligkeit

Im Meer der Feindseligkeit

23. April 2018. Im aktuellen Spiegel (Nr. 17/2018) stellt sich Ex-Volksbühnen-Intendant Frank Castorf zum Interview mit dem Theaterkritiker Wolfgang Höbel und also zum Rückblick auf den Volksbühnen-Streit um seine Person und die seines gescheiterten Nachfolgers Chris Dercon.

"West-Berlin hat unser Theater gehasst", stellt Castorf klar. "Ich fand diese Art von Bösartigkeit immer okay". Jetzt reüssierten an der Volksbühne die Springer-Medien mit ihrer Verleihung des "B.Z.-Kulturpreises", oder auch "der in West-Berlin berühmte Professor Peter Raue mit seiner schönen weißen Haartolle“. Castorf: "Es ist nur schade, dass man das Haus nicht 365 Tage mit der Verleihung von Springer-Preisen bespielen kann."

Der Theater-Abstinenzler Michael Müller

Vom Regierenden Bürgermeister Michael Müller, der als damaliger Kultursenator die Installation von Chris Dercon mitbetrieben hat, weiß Castorf aus ihrem ersten Zusammentreffen ein Geständnis zu berichten: "Herr Castorf, ich muss Ihnen sagen, ich war noch nie im Theater." Das sei "ein mutiges Geständnis" für den "Bürgermeister und Kultursenator einer mittelgroßen deutschen Stadt", so Castorf damals zu Müller.

Zur vermeintlichen oder tatsächlichen Provinzialität Berlins, nach der der Spiegel-Interviewer bohrt, sagt Castorf: "West-Berlin war die Stadt der Wehrdienstverweigerer, der Leistungsverweigerer, der Geflüchteten. Das prägt die Stadt kulturell und intellektuell bis heute." Dann führt er aus, dass die Verbindung der Künste, die mit Dercon erklärtermaßen in der Volksbühne realisiert werden sollte, ebendort längst passiert war: von Zusammenarbeiten mit Christoph Schlingensief, Jonathan Meese bis zu Paul McCarthy. Darüber habe es Obachlosentheater, Tanztheater, "hungerstreikende PDS-Politiker und "einen Piratensender im Haus" gegeben.

Keine Rückkehr an die Volksbühne

Warum konnte Castorf seinem Nachfolger nicht großzügig ein paar Repertoirestücke überlassen (etwa seinen eigenen "Faust"), will der Interviewer wissen. "Er kam nach Berlin und hat gesagt: Ich mache alles völlig neu. Also habe ich gesagt: Mach es! Alles andere wäre ja gewesen, als würde ich einem Schwerversehrten über die Straße helfen." Der Streit um die Volksbühne sei im übrigen "beste Werbung für die Einmaligkeit dieser Kunst" des Theaters gewesen. "Aber nicht mal damit konnte sich das, was man aus der Volksbühne gemacht hat, verkaufen."

Eine Rückkehr an die Volksbühne schließt Castorf in dem Gespräch aus. "Ich habe mit dem Ganzen nichts mehr zu tun, das ist doch völlig Mumpe." Einen Versprecher aus einem Bericht des Deutschlandfunks ("Sie wollten in Berlin den Castro loswerden…nee, den Castorf") nimmt Castorf zum Anlass für eine seiner berühmt lakonischen Pointen: "Da habe ich, finde ich, alles erreicht. Ein Revolutionär, umgeben von einem Meer von Feindseligkeit."

(Der Spiegel / chr)

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