Presseschau vom 25. April 2018 - In der taz bricht Astrid Kaminski eine Lanze für Berlins Tanzszene und ihre Einbindung in die Volksbühne

Tanz als Trumpf

Tanz als Trumpf

Berlin, 25. April 2018. "Berlin ist derzeit ein Mekka zeitgenössischen Tanzes. Der ist jedoch, auch aufgrund fehlender Präsentationsorte, heterogen und dezentral organisiert. Die Potenziale der Szene zu filtern und eine Einbindung zu suchen wäre so spannend wie anspruchsvoll." Mit diesen Worten bricht Astrid Kaminski in der taz (20.4.2018) eine Lanze für den Versuch, die Berliner Tanzszene institutionell aufzuwerten. Sie wendet sich damit vor allem gegen die Ansicht, Tanz sei "Synonym für den Niedergang der Volksbühne unter Chris Dercon". Die Dercon-Volksbühne hatte die Einbindung des Tanzes in das Theater programmatisch betrieben.

"Angst vor der Unlesbarkeit"

"Während sich die Institutionen der bildenden Künste in den letzten Jahren auf der Suche nach immateriellen Werk- und Kunstbegriffen längst intensiv dem Tanz zuwenden, verbarrikadieren sich gerade die Institutionen der darstellenden Künste aus Angst vor Unlesbarkeit hinter dem Sprechakt", beschreibt Kaminski den Status Quo und wendet sich implizit, so scheint es, gegen Anwürfe wie etwa in der Jungen Welt, die im Zuge der Volksbühnen-Debatte Tanz als unterkomplexe Kunstform diskreditierte.

Die Fehler der Volksbühne

Mit Blick auf die Stellung des Tanzes an der Volksbühne von Chris Dercon und Marietta Piekenbrock betreibt Kaminski Fehleranalyse: Die Orientierung an Berliner Festivalformaten verbunden mit dem Versuch, die Produktionen mehrfach in der Spielzeit anzusetzen, schätzt die Tanzkritikerin als problematisch ein. So schaffe man keinen "keinen Identifikationswert, sondern eher einen Erlebnisverlust: Der Einmaligkeitscharakter einer Festivalproduktion verfliegt."

Keine Bindung an die Szene vor Ort

Die Auswahl an namhaften Choreograph*innen wie Boris Charmatz, Mette Ingvartsen oder Anne Teresa De Keersmaeker sei "nachvollziehbar“ und "kompatibel". Jedoch: "Was bei all diesen durchaus teuren Unternehmungen fehlt, ist einerseits die Überraschung, andererseits die Bindung an die Vor-Ort-Szene." Nichtsdestotrotz plädiert die Tanzkritikerin für das Weiterverfolgen des Tanzprogramms an der Volksbühne: "Piekenbrocks Vertrag läuft noch, und wenn es Interimsintendant Klaus Dörr mit seinen Kollektivgedanken ernst meint, dann wäre die an Selbstorganisation geschulte Tanzszene mehr als ein guter Ansprechpartner: ein Trumpf."

(taz.de / chr)


Die Berliner Volksbühne aus Sicht der Tanzkritik analysierten Astrid Kaminski und Elena Phlipp im Mai 2017 für nachtkritik.de.

Kommentare  
Tanz an der Volksbühne: Schnee von Gestern
Bitte, das ist doch Schnee von Gestern: als hätte es an der Volksbühne nicht immer schon Tanz gegeben: Kresnik, Stuart, Macras. Dercon hat doch nicht den Tanz an die Volksbühne gebracht - und ist daran auch nicht gescheitert. Vielleicht kann man aufhören, diesen Unsinn gebetsmühlenartig weiterzuverbreiten.
Tanz an der Volksbühne: Macras
Wenn überhaupt, verbarrikadiert sich das Stadt- und Staatstheater hierzulande nicht hinter dem Sprechakt aus Angst vor Unlesbarkeit des Tanzes, sondern aus Angst vor Unlesbarkeit von Poesie jeglicher Art, die nicht mit technischen Hilfsmitteln (Licht, Musik, Nebel, Cinema, VR-Budenzauber) zu erreichen wäre.
Ansonsten ist #1 zuzustimmen. Macras mit ihrer besonderen Art der Einbeziehung von auch Nicht-Tänzern in ihre Arbeiten, wäre in der Tat Klaus Dörr für einen geplanten Übergang vom Interim zum längerfristigen Festbestandteil zu empfehlen mit dem ein Nachfolgeintendanz bestimmt sehr gut leben und planen könnte. Und von der auch die zukünftigen Schauspielproduktionen, wo angebracht, profitieren könnten ohne diese zu dominieren und aus der VB ein Tanzhaus machen zu wollensollenmüssen...
Tanz an der Volksbühne: Ernst-Reuter-Platz
Wir hätten noch was am Ernst-Reuter-Platz. Ein Tanzhaus wär toll. Jetzt, wo Berlin international eine größere Rolle spielt, kann man sich vielleicht auch wieder ein Haus mehr leisten?
Tanz an der Volksbühne: Namen richtig schreiben
Die Choreografin heisst Mette Ingvartsen (mit "t"). Soviel zur Sachkenntnis...

(Danke für den Hinweis. Der Fehler ist korrigiert. d. Red.)
Tanz an der Volksbühne: welche Company?
Ja, bereits in den Zwanziger Jahren hat es Tanz an der Volksbühne gegeben. Dies war jedoch zu einer Zeit, als noch Literaten wie Frank Wedekind, Karl Vollmoeller und Bela Balazs Szenarios für Tanzkompanien entwickelten. Also Leute, die gar nicht erst in den Verdacht kamen, mit Tanzproduktionen eine Entpolitisierung des Theaters voranzutreiben. Jetzt, wo es endlich wieder Konsens in der Stadt zu sein scheint, dass die VB ein Ensembletheater bleiben soll,geht es aber wohl doch zuerst um Schauspieler und nicht um Tänzer. Die Frage, die sich die Leitung und Dramaturgie der VB bis auf weiteres zu stellen hat, lautet also: Welche Company erhält eine Spielortbescheinigung, die daran interessierte Choreographen in die Lage versetzt, Fördermittel für Auftritte in der Volksbühne einzuwerben? Meine Hoffnung lautet: Diesen Job macht hoffentlich nicht Chris-Dercon-Überbleibsel Marietta Piekenbrock.
Tanz an der Volksbühne: auch vorher Tanz
Bitte Schluss mit dem unerträglichen Geschwurbel. Die Volksbühne war unter Castorf - bis zur Zerstörung durch Müller, Renner, Dercon und Piekenbrock - ein weltweit anerkanntes Stadttheater in dem auch andere Kunstformen als "Sprechtheater" aufgeführt oder in Inszenierungen eingebunden wurden.
Marietta Pieckenbrock hat zusammen mit Chris Dercon ihre Unfähigkeit unter Beweis gestellt und sollte nichts mehr beeinflussen dürfen.
Die taz war im Übrigen die ganze Zeit in der Auseinandersetzung um die Volksbühne unkritisch ohne eigene Positionen und sollte nun besser nicht noch unpassende Vorschläge (...) machen.
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