20 Tonnen Großkunst

Berlin, 1. Mai 2018. Das 55. Berliner Theatertreffen wird am 4. Mai 2018 mit einer Produktion eröffnet, die schon im Vorfeld für einigen Gesprächsstoff sorgte – und das nicht nur aus künstlerischen Gründen. Um "Faust" in der Regie von Frank Castorf (produziert in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz) als Theatertreffen-Gastspiel realisieren zu können, mussten die veranstaltenden Berliner Festspiele Zusatzmittel bei der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa und bei der LOTTO-Stiftung Berlin beantragen, insgesamt 500.000 Euro. Anlass, um bei der Leiterin des Berliner Theatertreffens Yvonne Büdenhölzer (derzeit in Elternzeit) nachzufragen:


nachtkritik.de: Was macht dieses Theatertreffen-Gastspiel von Frank Castorfs "Faust" am Haus der Berliner Festspiele eigentlich so teuer?

Yvonne Büdenhölzer: Inszenierungen in der Größenordnung von Frank Castorfs "Faust" wiederaufzunehmen ist grundsätzlich immens aufwendig, eine große logistische und organisatorische Herausforderung und damit auch für ein Festival wie das Theatertreffen viel teurer als eine reine Gastspiel-Einladung. Teuer ist die "Faust"-Nominierung also ohnehin – unabhängig vom Spielort.

Die Senatsverwaltung für Kultur und Europa und die Stiftung Deutsche Klassenlotterie stellen den Berliner Festspielen / Theatertreffen Fördermittel in Höhe von insgesamt 500.000 Euro zweckgebunden für die Wiederaufnahme von "Faust" zur Verfügung. Die folgenden Faktoren erklären, warum für die "Faust"-Realisierung im Theatertreffen ein Budget in dieser Höhe nötig ist.

1. Faktor: Bühnenbild, Kostüme, Requisiten

Im Falle der Nominierung von "Faust" zum Theatertreffen haben wir es mit einer besonderen Situation zu tun. Mit dem Ende der Intendanz Frank Castorf an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz wurde das Bühnenbild (Gewicht ca. 20 Tonnen) in einem Ausstattungslager im Gewerbegebiet Wanzlitz in Mecklenburg-Vorpommern, 160 km von Berlin entfernt, eingelagert. Dass das Bühnenbild noch existiert, ist für das Theatertreffen ein großes Glück und eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen, den "Faust" überhaupt zeigen zu können.

Faust3 560 Thomas Aurin uFreischaffende Künstler*innen der Extraklasse: Valery Tscheplanowa und Martin Wuttke in "Faust"
© Thomas Aurin

Es befindet sich in einem komplett "zerlegten" Zustand, damit es platzsparend gelagert werden kann. Zur Wiederaufnahme wird es nun in mehreren Arbeitsschritten mit einer Mannschaft der Bühnentechnik der Volksbühne und Helfer*innen vor Ort sorgfältig in Container verladen. Die Transporte zum und die Entladungen im Haus der Berliner Festspiele erfolgen in der Reihenfolge des Aufbaus des Bühnenbildes. Der Aufbau im Haus der Berliner Festspiele erfolgt durch Personal der Volksbühne und der Berliner Festspiele. Die Anzahl der insgesamt eingesetzten Techniker*innen weicht dabei kaum von der Anzahl der seinerzeit in der Volksbühne eingesetzten Techniker*innen ab.

Das Bühnenbild ist Eigentum der Volksbühne Berlin bzw. der Senatsverwaltung für Kultur und Europa und wird dem Theatertreffen kostenfrei zur Verfügung gestellt, ebenso die Kostüme und Requisiten.

2. Faktor: Personal

Die zweite Grundvoraussetzung für die Realisierung ist die Verfügbarkeit der Spieler*innen, Video- und Ton-Künstler*innen, involvierten Techniker*innen und den Mitarbeiter*innen aus den technischen Gewerken.

Im Falle von "Faust" ist nur ein einziger der Schauspieler*innen noch im Engagement der Volksbühne Berlin; bis auf Sir Henry sind alle anderen Schauspieler*innen mittlerweile freischaffend. Nach Bekanntgabe der Juryentscheidung war es daher erst einmal oberstes Gebot, alle involvierten Schauspieler*innen für den in Frage kommenden Zeitraum zu gewinnen und zu binden. Aufgrund der vielen anderweitigen Verpflichtungen der Künstler*innen im Theater- und Filmbereich war die Disposition eine hohe Herausforderung. Es konnten jedoch alle "alten" Spieler*innen eingebunden werden, nur in einem Fall kommt es aufgrund des gesetzlich einzuhaltenden Mutterschutzes zu einer Umbesetzung.

Faust1 560 Thomas Aurin uMarc Hosemann und Martin Wuttke vor dem 20-Tonnen-Bühnenbild von Aleksandar Denić
© Thomas Aurin

Wie immer bedarf es bei Arbeiten von Frank Castorf für den Einsatz von Videokameras, Tonangeln und Video-Live-Schnitt ebenso wie für das Einspielen des Live-Sounds (Musik / Geräusche) ein perfekt eingespieltes Team, das sowohl mit der Szenenfolge und den Abläufen als auch mit den Anschlusstexten und Aktionen der Schauspieler*innen im höchsten Maße vertraut ist. Die Rolle der Techniker*innen kommt der Rolle der Schauspieler*innen gleich.

Anders als mit den mittlerweile freischaffenden Spieler*innen verhält es sich mit den Ton- und Video-Künstler*innen, Bühnentechniker*innen, Requisiteur*innen, Maskenbildner*innen, die zum großen Teil noch im Engagement der Volksbühne Berlin sind und – wo die Kapazitäten der Volksbühne es zulassen – die Realisierung des "Faust" beim Theatertreffen unterstützen und umsetzen.

Wo nötig und möglich, werden Arbeiten auf das technische Personal der Berliner Festspiele übertragen beziehungsweise es wird sehr eng kooperiert. Dies trifft auch auf den Bereich der Beleuchtung und der Maske zu. Im Bereich Ton / Video ist jedoch eine Übertragung von Arbeiten auf den technischen Stab der Berliner Festspiele nur bedingt möglich.

VB BerlinFestspiele4 560Umzug aus der Volksbühne (links) ins Haus der Berliner Festspiele (rechts)  © jnm / Eike Walkenhorst

Die freischaffenden künstlerisch und technisch Beteiligten konnten ausnahmslos für die Wiederaufnahme des "Faust" gewonnen werden. Die technische Einrichtung, die Probenbetreuung, die Aufführungen und den Abbau übernehmen weitere feste Mitarbeiter*innen der Volksbühne bzw. der Berliner Festspiele.

Der Volksbühne entstehen durch das Entsenden der festen Kolleg*innen Personalkosten, die das Theatertreffen übernimmt. Das Theatertreffen hat wiederum geringere Kosten, da es dafür selbst weniger eigene Techniker*innen etc. engagieren muss.

3. Faktor: Spielort

Die dritte Voraussetzung für die Wiederaufnahme des "Faust" ist es, einen passenden Spielort zu finden. Neben der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz ist nur das Haus der Berliner Festspiele als vergleichbar großes Haus mit einer für die Inszenierung notwendigen Bühnentechnik ausgestattet.

Bei jeder Übertragung eines Stückes in ein anderes Haus fallen Bühnenbildadaptionen an. In diesem Fall muss das "Faust"-Bühnenbild für eine kleinere Drehbühne angepasst werden.

BerlinerFestspiele Zuschauerraum 560 Piero Chiussi u991 Plätze: der Zuschauerraum im Haus der Berliner Festspiele, das nach dem Mauerbau übrigens als "Freie Volksbühne" gebaut wurde, da das Volksbühnen-Stammhaus nun für Westzuschauer unerreichbar im Ostteil der Stadt lag. © Piero Chiussi

Ein Vorteil ist die größere Platzkapazität im Haus der Berliner Festspiele – 991 Plätze stehen hier pro Vorstellung zur Verfügung, das sind etwa 170 Plätze mehr als in der Volksbühne.

3. Faktor Zeit

Insgesamt wird für die technische Einrichtung, die Wiederaufnahme-Proben, fünf Vorstellungen (plus drei spielfreien Tagen dazwischen) und den Abbau ein Zeitraum von 18 Tagen benötigt. In der Volksbühne wäre derselbe zeitliche Aufwand angefallen. Dass das Haus der Berliner Festspiele im genannten Zeitraum nur dem Theatertreffen zur Verfügung steht und keinen Spielbetrieb – wie die Volksbühne – ermöglichen muss, ist glücklicherweise ein kostenneutraler Punkt.

Das Theatertreffen versucht immer sein Möglichstes, um die eingeladenen Inszenierungen im Rahmen des Festivals zeigen zu können. Wir sind sehr froh, dass uns das im Falle einer so komplexen und aufwendigen Inszenierung wie "Faust" gelungen ist.

 

YvonneBuedenhoelzer 190 Christoph Neumann uYvonne Büdenhölzer, geboren 1977 in Köln, arbeitete als Dramaturgin und Kuratorin an Stadttheatern und in der Freien Szene. Von 2005 bis 2011 war sie Künstlerische Leiterin des Stückemarkts beim Berliner Theatertreffen. 2009/10 arbeitete sie als Mit-Kuratorin und Festivalmanagerin der Theaterbiennale "Neue Stücke aus Europa" in Wiesbaden und Mainz. Seit 2012 ist sie Leiterin des Berliner Theatertreffens

(Foto: Christoph Neumann).


 

mehr porträt & reportage