Marx reloaded

von Tilman Strasser

Köln, 4. Mai 2018. Marx hat Geburtstag, und er kriegt einen Kuchen. Keinen großen allerdings: Oleg Zhukov, mit weißer Wirrschopfperücke und Rauschebartbügeln, muss sich mit ziemlich mickrigem Gebäck zufriedengeben. Zwar wird der Philosoph, Gesellschaftstheoretiker, Staatswissenschaftler, Religionskritiker und Protagonist der Arbeiterbewegung 200 Jahre alt – aber das lässt ihn eben auch ganz schön angestaubt wirken. Dann allerdings kommandiert Ines Marie Westernströer in Richtung Technik: "Micha, mach mal Licht aus!" Und in der folgenden Dunkelheit leuchtet über den Geburtstagskerzen einzig das ikonische Antlitz des Jubilars.

"Wir sind die Affen eines kalten Gottes." zeigt viele Bilder, die zwischen Symbolkraft und Groteske schwanken. Die Theatergruppe subbotnik hat sich, verstärkt von Mitgliedern des Schauspiel Köln (in dessen Außenspielstätte am Offenbachplatz der Abend stattfindet), des großen Denkers angenommen – und macht erst einmal keinen Hehl daraus, dass dessen Hauptwerk keine leichte Lektüre darstellt. "Das Kapital besteht aus drei Bänden und hat insgesamt eine Seitenzahl von circa 2875 Seiten, deswegen haben wir den Abend auf den ersten Band des Kapitals reduziert, welcher nur 800 Seiten umfasst", erklärt Ines Marie Westernströer in goldener Glitzerbluse gleich zu Beginn, und: "Wir hoffen, dass sie mit dem Werk vertraut sind."

WirsindAffeneineskaltenGottes2 560 Ana Lukenda u Johannes Benecke und Martin Kloepfer beim Kapitalkurs I  © Ana Lukenda

Das ist ernst gemeint: Wer geglaubt hat, die berühmte Schrift noch einmal erkenntnisfördernd vorgekaut zu bekommen, wird enttäuscht. Zwar zitieren Darstellerin und Darsteller zunächst in epischer Länge aus der Abhandlung, während ein Overheadprojektor Schlagworte wie "Das Geld" oder "Die Ware" projiziert. Doch das war's mit dem Seminarcharakter: Die Textfragmente werden proklamiert und geleiert, chorisch zerdehnt, gesungen – und immer wieder ob ihrer Komplexität und Pedanterie geschmäht: Da stanzt Johannes Benecke die Aufzählung wie die vom "Rohwerkmacher, Uhrfedermacher, Zifferblattmacher, Spiralfedermacher, Steinloch- und Rubinhebelmacher" ins Mikrophon und schlägt sich dabei, industrielle Monotonie verdeutlichend, stetig auf ein Tamburin, das er sich über den Kopf gestülpt hat.

"Versteh ich dich da richtig, Karl?"

Überhaupt ist der Rezitationsorgie das Bemühen um Kurzweil anzumerken: Mit Schlagzeug, Klavier und Blechbläsern setzt die Gruppe Stimmungen und Rhythmen, steigert sich zunehmend in Entsetzen ob der unbezwingbar grausamen Logik der Produktion ("Überall tote Arbeiter") und hadert mit dem Analysten: "Versteh ich dich da richtig, Karl?" Trotzdem oder deswegen balanciert dieser Teil des Stücks an der Grenze zum Klamauk – nicht zuletzt wegen erwähnter Marx-Perücke und -Bart und den dazu passenden Albernheiten. Wenn der Theoretiker-Wiedergänger Oleg Zhukov im Gehrock über die Bühne schlappen und dabei Marx'sche Zeilen grummelig korrigieren oder vervollständigen muss, während darum herum allerhand Getöse anschwillt, persifliert die Aufführung ihre zentrale Frage. Die auch das Programmheft stellt: "Wie viel kann Marx uns heute noch sagen?"

WirsindAffeneineskaltenGottes1 560 Ana Lukenda u 2Oleg Zhukov, Ines Marie Westernströer und Henning Nierstenhöfer erklären das Geld: "Das Geld ist nicht eine Sache, sondern ein gesellschaftliches Verhältnis."  © Ana Lukenda

Eine Antwort liefert der zweite Teil des Abends. Der nämlich ergeht sich nicht mehr in stupender Wiedergabe des Originals, sondern setzt persönliche und fraktale Geschichten der Jetztzeit dagegen. Kornelius Heidebrecht erzählt, einigermaßen unvermittelt, wie er an das E-Piano, seine "Orla", gekommen ist – und verstört mit diesem Bericht die eine Hälfte der Besetzung, die künstliche Beats und Streicherklänge seelenlos findet, fasziniert indes die andere, die mehrere Instrumente (und Arbeitskräfte) in einem unwiderstehlich wähnt. Assoziativ und nicht immer ganz organisch reihen sich weitere Anekdoten ein, gibt Oleg Zhukov ein Gespräch mit zwei Containerschifffahrts-Veteranen wider, fasst Johannes Benecke launig die Erkenntnisse eines Waldspaziergangs zusammen. Und immer finden diese Storys verblüffenden Anschluss an das Gedankengut des Kommunismus-Mitbegründers; ohne erklärend oder gar belehrend zu wirken, schafft die vergleichsweise zurückhaltende Inszenierung, die hier mit sparsamen musikalischen Akzenten auskommt, einen Kontrapunkt zum eifernden Deklamieren der ersten Hälfte.

Verwirrter Gorilla

Am Ende kommt endlich einer der titelgebenden Affen. Die Überschrift des Stücks ist einem Marx-Gedicht entlehnt, bleibt aber die längste Zeit der Veranstaltung ohne Anbindung zum Gebotenen. Im Schlussbild jedoch stapft ein verwirrter Gorilla durch einen rasch aus dem Boden gehobenen Wald und spielt ratlos mit dem Overheadprojektor herum, der einsam und alleine immer noch die Graphik einer Produktionskette an die Wand wirft. Damit endet ein Abend, der nicht immer mit bezwingender Schlüssigkeit glänzt – aber mit Ideenreichtum und skurrilem Charme.

 

Wir sind Affen eines kalten Gottes.
Zum 200. Geburtstag von Karl Marx
Von und mit: Johannes Benecke, Tsimafei Birokou, Kornelius Heidebrecht, Martin Kloepfer, Henning Nierstenhöfer, Ines Marie Westernströer, Oleg Zhukov.
Regie, Bühne und Musik:  subbotnik (Kornelius Heidebrecht, Martin Klopfer, Oleg Zhukov), Kostüm: Nathalie Himpel, Licht: Michael Frank, Dramaturgie: Julia Fischer.
Dauer: 1 Stunde, 30 Minuten, keine Pause

www.schauspiel.koeln.de

 

Kritikenrundschau

„Das Kapital“ als Teil eines emanzipatorischen, im Kern romantischen Projekts? Das ist keine allzu steile These. – Quelle: https://www.ksta.de/30128906 ©2018

"'Das Kapital' als Teil eines emanzipatorischen, im Kern romantischen Projekts? Das ist keine allzu steile These", so Christian Bos im Kölner Stadtanzeiger (7.5.2018). Der erste Teil halte sich viel zu sklavisch an die übermächtige Schrift. Johannes Beneckes Improvisation sei dann der heimliche Höhepunkt, "töricht und profund zugleich, das hochkomische Gegenstück zum titelgebenden 'Oulanem'-Monolog des jungen Marx." Fazit: "Schade nur, dass der Anlauf bis dahin so lang ausgefallen ist."

Im ersten Teil habe man das Gefühl, in einer Vorlesung zu sitzen, so Gerrit Stratmann auf WDR1 (5.5.2018). Denn der Schwerpunkt liege auf Marx' Theorie und Terminologie, wenn auch auf humorvolle Art und Weise vorgetragen. Zentrales Requisit ist ein Overheadprojektor. Die Konzentration werde erstmal auf die Prebe gestellt.  Im zweiten Teil werde es freier, unangestrengter.

 

 

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