Ich has jetzt checkt

von Valeria Heintges

Zürich, 5. Mai 2018. War man im Kino oder im Theater? Eigentlich ist es kein Kriterium für einen guten Theaterabend, wenn man sich das hinterher fragt. Es ist auch kein Kriterium, dass man kaum weiß, ob das, was gezeigt wurde, live gespielt war oder von der Konserve kam. Es ist auch kein Kriterium, dass Leute, die nicht gut hören, langen Passagen des Abends kaum folgen können. Aber es stört trotzdem.

Es ist auch kein Kriterium, ob am Ende Zuschauer auf die Bühne klettern, um sich über die Ungerechtigkeiten der globalen Modeindustrie zu informieren. Aber es freut trotzdem. Und in dem Sinne muss man das Projekt "Sweatshop – Deadly Fashion" als geglückt bezeichnen, das als Koproduktion des jungen theater basel, der Kaserne Basel und des Schauspielhauses Zürich im Rahmen der Zürcher Festspiele über die Bühne des Pfauen ging. Auch wenn man sich zwischendurch ziemlich gelangweilt hat.

In der erbarmungswürdigen Welt der Näherinnen

Die Sache ist also kompliziert. "Sweatshop – Deadly Fashion" will ein interessanter Theaterabend sein, den Zwang junger Leute thematisieren, immer und überall hip zu sein, zeigen, wie ungerecht die globale Modeindustrie ist und die Zuschauer zum Handeln bringen. Viererlei ist ziemlich viel auf einmal. Regisseur Sebastian Nübling, Texter Güzin Kar, Lucien Haug und das Ensemble nutzen dafür Titel und Motive einer Dokumentarserie, die die norwegische Zeitung "Aftenposten" erstellt hat. Die Redaktion schickte drei junge, naive Modeblogger – zwei Frauen, einen Mann – nach Kambodscha und ließ sie dort in die Welt der Näherinnen eintauchen. Bestürzt merken die drei, dass ihre teure, in Norwegen gekaufte Kleidung den Näherinnen nur knapp das Überleben sichert, dass diese hart an der Grenze zur Sklavenarbeit leben. Der Film zeigt bedrückend und sehr nah dran an den Menschen vor Ort, unter welchen erbärmlichen Umständen die Kleidung entsteht, die in Europa billigst verkauft wird.

Sweatshop1 560 Tanja Dorendorf TTFotografie u"Like or dislike?" Drei Modesüchtige erlaufen sich ihren Fame © Tanja Dorendorf / T+T Fotografie

Bruchstücke der harten Fakten spricht auf der Zürcher Bühne ein Kind (M. Brunet). Meist quittieren die Blogger das mit einem "ich has im Fall jetzt checkt" oder "Scheiß drauf". Ann (Ann Mayer), Lee-Ann (Lee-Ann Aerni) und Lukas (Lukas Stämpfli) haben andere Alltagssorgen: Was muss man tragen, um "in" zu sein, welche Marken kaufen – und wie das Ganze so auf Instagram posten, dass man möglichst viele Follower hat? Gehetzt, wie auf Koks tauchen die drei als weiße Gestalten vor dem Modepavillon auf der Bühne auf und laufen über den in den Zuschauerraum gebauten Catwalk (Bühne: Dominic Huber), posieren – "So? Oder so? Oder so?" – und sprechen Social-Media-Slang: "Like or dislike, like or dislike?".

Begegnung mit dem Homo Zalando

Dieses Leben ist Stress, das versteht jeder, der ihnen beim Herumhektiken zuschaut. Es wird noch stressiger, als Lukas’ Lieblingsjacke verschwindet und er sie in der Unterwelt – hinter den Kulissen des Theaters, i.e. der Krake namens Modeindustrie – suchen muss. Per Aufzug in den Hades, per Video übertragen auf den jetzt geschlossenen Pavillon. Die drei treffen unter anderem den mephistophelischen Ladenbesitzer ("Willkommen in meinem Sweatshop – hier wird 365 Tage im Jahr geschwitzt"), den alternden Kaufsüchtigen («Nicht an Kleider denken, nicht an Kleider denken»), den Homo Zalando (Vera Flück im großartigen Wisch-und-Kauf-Rausch) und die zu mechanischen Alten mutierten Marlboro-Cowboys, die vom Untergang der Welt im Jahr 2018 erzählen, mit den Gelenken quietschen und bedenklich die behüteten Köpfe wiegen.

Sweatshop3 560 Tanja Dorendorf TTFotografie uWimmelbild des Wirtschaftstadels © Tanja Dorendorf / T+T Fotografie

Szenen wie diese, mit konzentriert geschriebenen Texten, von Markus Scheumann und Matthias Neukirch phänomenal gesprochen und gespielt, lassen kurzzeitig vergessen, dass man jetzt über weite Strecken einem Kinofilm beiwohnt, in dem Argumente und Fakten, die sattsam bekannt sind (oder sein sollten), eher drastisch als dramatisch ausgetauscht und einander vor die Füße gespuckt werden.

Keine Frage, die drei jungen Akteure vom jungen theater basel spielen mit Herzblut, Verve und Energie. Ihr Gerede im Banne der Popkultur ist authentisch, ermüdet aber auf Dauer, weil es eins zu eins abgebildet in den Dauerloop geschickt statt theatralisch verdichtet wird. Und überhaupt kommt die Welt in den Produktionsländern lange nur sehr am Rande vor. Bis Mio Itschner ihren Auftritt hat. Sie berichtet von Jasmin, die in Vietnam geboren, aber in die Schweiz adoptiert wurde. Kürzlich erfuhr sie von einer Schwester in Vietnam und besuchte sie: Seit ihrem zwölften Lebensjahr arbeitet diese als Näherin, für weit weniger als den Mindestlohn, würde aber sofort gefeuert, wenn sie sich wehren würde. Jasmins Auftritt ist nur kurz, die meiste Zeit davon arbeitet sie stur den Haufen Nähstücke neben sich ab, nur das Rattern der Nähmaschine ist zu hören. Manchmal braucht Theater so wenig, um sehr zu berühren.

 

Sweatshop – Deadly Fashion
Ein Projekt mit Texten von Güzin Kar, Lucien Haug & Ensemble
Regie: Sebastian Nübling, Bühne: Dominic Huber, Kostüme: Pascale Martin, Musik: Lars Wittershagen, Licht: Gerhard Patzelt, Dramaturgie: Uwe Heinrich, Dramaturgie: Andreas Karlaganis
Mit: Lee-Ann Aerni, Vera Flück, Ann Mayer, Matthias Neukirch, Robin Nidecker (Videokamera), Markus Scheumann, Lukas Stäuble, Morgane Brunet / Mia Brunet, Mio Itschner
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause

www.festspiele-zuerich.ch
www.schauspielhaus.ch
www.jungestheaterbasel.ch
www.kaserne-basel.ch

 

Kritikenrundschau

Auf dem Catwalk werde hier mit der Anti-Sweatshop-Bewegung mitgehopst, schreibt Alexandra Kedves im Tages-Anzeiger aus Zürich (7.5.2018). Wir erfahren hier alles: "Die hohe Wegwerfquote, die kurze Tragedauer und die 24 Kollektionen, mit denen Ketten wie Zara oder H & M jährlich den Markt fluten." Verzweiflung darüber spüre man im ganzen Text. Ab und an länge sich Nüblings Gutmenschen-Soiree, gerieten ob all des Infotainments "der Spass und auch das Spüren etwas ins Hintertreffen. Trotz trickreicher (Film-)Technik, affengeiler Running Gags mit Yeti, vertrackter Philosophastereien übers Ich und sein Imitat. Vielleicht auch w e g e n." Fazit: "Sweatshop" hänge couragiert einen Haufen Handlungsaufrufe, Flyer, Unterschriftensammlungen an, "so lässt man es sich doch glatt gefallen, das Theater als moralische Anstalt".

Die Truppe um Sebastian Nübling und Güzin Kar zeigt bei dieser Veranstaltung der Festspiele Zürich im Schauspielhaus Zürich, die eine Koproduktion mit dem jungen theater basel und der Kaserne Basel ist, wie man die komplexe Sache aufrüttelnd und witzig zugleich auf die Bühne bringt, so Katja Baigger in der Neuen Zürcher Zeitung (7.5.2018). "Das Publikum ist schnell drin im Strom der Online-Fragmente und der abgehackten Jugendsprache. Ein Mode-Hashtag dort, ein Laufsteg-Video da, ein Seelenzustand-Piktogramm zum eigenen Aussehen hier." Alle eine "ironisch gebrochene Feier des streitbaren Zeitgeists, der von dem Streben nach Sexiness geprägt ist". Nübling verstehe es, den Sound der Jugend mit Verve in die Bühnensprache zu übersetzen, und "Güzin Kar ist Meisterin darin, den Slangs der Generationen ein Denkmal zu setzen".

 

Kommentare  
Sweat Shop, Zürich: Songs of the T-Shirt
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