Kein Luxus sondern Notwendigkeit

von Wiebke Puls

Berlin, 11. Mai 2018. Jetzt kommt hier einiges zusammen bei mir: Die Flatter, ob wir überhaupt dem Hauptstadtpublikum wohl genügt haben. Das Wunder, dass ich Lulatsch seit 20 Jahren in Lohn und Brot stehen und spielen darf. Und Scham, weil Trommeln in der Nacht ja nun mal ganz klar eine Ensembleleistung ist.

Danke 3sat für den Preis! Danke Frau Müller-Elmau! Danke Shirin für diese Laudatio!
Danke an die Jury, dass sie mich auszeichnen! Ich fühle mich geehrt und ein bisschen beschämt eben.

Sie wählen in der Begründung, die offiziell kursiert, Vokabeln, da könnte man denken, ich sei ein Edelstein. Ein Edelstein braucht zweierlei Dinge: Er braucht Licht, und er muss angestrahlt werden, damit er funkeln kann. In dieser speziellen Arbeit sind das zum Beispiel die Augen von Wiebke Mollenhauer, die mir so offen und klar ins Gesicht sehen, dass ich nicht anders kann, als reflektieren, was mir da entgegengebracht wird. Oder der Witz von Damian Rebgetz, der mich zwischendurch auf eine Weise anspricht, dass ich mir nicht mehr ganz sicher bin, ob er mich gerade veräppelt, oder ob er immer noch im Text ist. Die ganze Probenarbeit war nicht nur so, dass wir das Visier hochgeklappt haben. Wir haben – und das ist nicht so leicht in den letzten zwei, drei Jahren gewesen an den Kammerspielen – einfach die Rüstung abgelegt, und wir haben mit offenen Augen miteinander verhandelt. Das war so wunderbar, klar und transparent, dass es wirklich eine Freude war. Wir spüren das auch in jeder neuen Bemühung, diesen Abend auf die Bühne zu bringen, und das tut unendlich wohl.

trommeln in der nacht3 560 Julian Baumann uWiebke Puls in Christopher Rüpings Inszenierung "Ttrommeln in der Nacht" von und nach Bertolt Brecht © Julian Baumann

Das andere, was so ein Edelstein braucht, das sind Facetten, in denen ich angeblich funkle. Die Facetten, das ist etwas, das man sich über die Jahre erwirbt. Ich habe einfach das Glück, jetzt schon 20 unglaubliche Jahre in diesem Beruf arbeiten zu dürfen, und ich hatte tolle Intendanten, die mich immer mit neuen Menschen konfrontiert haben. Eine Weile dachte ich, vielleicht ist das ein bisschen peinlich, dass ich nicht DEN Regisseur finde, der immer nur mit mir arbeiten will, und ich kann auch gar nicht mehr anders. Aber es ist so, dass ich in den 20 Jahren vielleicht 70 Regisseure und Regisseurinnen kennengelernt habe, und jede Begegnung ist ein Schliff, ist eine Facette. So sieht dann wahrscheinlich ein Reifungsprozess aus bei einem Stein, der dann irgendwann auch reflektieren und funkeln kann.

Das zusammengefasst sind zwei Bedingungen, die ich nur finden konnte im festen Engagement in einem Ensemble, das über die Jahre wachsen konnte. Und das ist das, was mir mittlerweile heilig ist.

Chancen, zu brillieren, zu glänzen und zu scheinen

Ich wünschte mir, dass wir die Theaterkultur nicht nur als einen Luxus betrachten, sondern als eine Notwendigkeit. Das Schöne ist: Nicht nur ich habe an Facetten gewonnen, sondern unsere Theaterlandschaft hat an Facetten gewonnen. Wir müssen da einfach viel mehr Geld reinstecken.
Es kann nicht sein, dass ein so super gesundes Haus wie die Kammerspiele, natürlich dem Wunsch nachgeht, wie schon in einer Tradition von Jahrzehnten, immer neue Formen zu entdecken, aber sich mit der Kohle so begnügen muss, als müsste man ein Brötchen unter 50 Leuten aufteilen.
Wir sind natürlich finanziell gut versorgt, aber ich denke, wir müssen viel mehr in die Kultur stecken, eben auch in die freie Szene. Wir müssen neue Orte der Begegnung schaffen, und wir müssen viel mehr fördern, damit jede dieser Gruppen wirklich die Chance hat, eben zu brillieren, zu glänzen und zu scheinen.

Rueping Wiebke Puls 560 Elke Eich uRegisseur Christopher Rüping und Schauspielerin Wiebke Puls bei der 3sat-Preisverleihung in Berlin.
© Elke Eich

Es kann nicht so aussehen, dass die gesunden Stammhäuser beschnitten und die Ensembles zurechtgeschrumpft werden und man irgendwie versucht, die Eier legende Wollmilchsau  des Theaters zu sein, die wirklich jeden Geschmack bedient. So funktioniert es in meinen Augen nicht. Ich hoffe, dass das begriffen wird.

Das Theater ist eine Reflektion unserer Gesellschaft, und es ist ein Ort, an dem wir Ruhe, Konzentration, Hinwendung, Augenhöhe, das offene Visier brauchen. Und Zeit und Vertrauen. Das Vertrauen, dass wir uns in jeder einzelnen Produktion versuchen zu schenken, das brauchen wir vom Publikum, und das brauchen wir von der Politik.

So sieht's für mich aus.

 

Wiebke Puls, 1973 in Husum geboren, ist Schauspielerin und gehört zum Ensemble der Münchner Kammerspiele. Der Text ist die transkribierte Fassung der Rede, die Wiebke Puls am 10. Mai 2018 in Berlin aus Anlaß ihrer Auszeichnung mit dem 3sat Theaterpreises für eine "künstlerisch innovative" Leistung im Rahmen des Berliner Theatertreffens 2018 gehalten hat. Transkription: Elke Eich.

 

Hier geht's zur Laudatio von 3sat-Preisjurorin Shirin Sojitrawalla.

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