Sind so kleine Blüten

von Frauke Adrians

Berlin, 12. Mai 2018. Theater besucht Gipfel, um Gipfeltheater zu machen? Warum nicht. Anfang Juli 2017 schickte Regisseur Gernot Grünewald drei Berliner Schauspieler für vier Tage zum G20-Gipfel nach Hamburg, auf dass sie vorausgewählte Beteiligte – Durchschnitts-Demonstranten, eine Attac-Aktivistin, einen Autonomen aus der Roten Flora – begleiteten und sich ein eigenes Bild machten. Das wäre eine ebenso schöne Aufgabe für Journalisten gewesen. Die Probleme, die das kleine Ensemble bei der Aus- und Verwertung des gewonnenen Materials hatte, sind denn auch erkennbar ganz ähnliche wie die des Reporters auf Sendung: Man kann zu viel wollen und zugleich zu wenig.

Zu viel wollen und zu wenig

Zu viel, weil der Beobachter dazu neigt, vom kleinen Ausschnitt des selbst Gesehenen auf das Ganze zu schließen und das ganz große Fass aufzumachen; von den Anti-Gipfel-Protesten ist es dann nur ein kleiner Schritt zur Krise des Kapitalismus und der Demokratie. Zu wenig, weil vorgefasste Meinungen immer mitspielen und aus teilnehmender Beobachtung schnell Parteinahme wird. Die Frage, mit der der kurze Abend in der Box des Deutschen Theaters schloss, war typisch für das ganze Projekt: "Was für eine Form von Protest braucht die Zeit von uns?" Das ist zu groß und zu klein zugleich. Braucht es denn überhaupt Protest – oder nicht etwas Konstruktiveres? Und was konkret soll denn mit "der Zeit" gemeint sein? Und, da wir ja immerhin vor einer Bühne sitzen: Wo bleibt bei all dem das Theater?

viertageimjuli 560 Arnodeclair hCaner Sunar kämpft im Strahl der Wasserwerfer © Arno Declair
Die "BlackBox G20" bleibt ganz ihrem Titel treu und verhält sich fröhlich unentschlossen. Was Elias Arens, Katharina Schenk und Caner Sunar am Premierenabend vorführten, war eine in Teilen unterhaltsame Materialsammlung, belebt mit sportiven Tanzeinlagen und der nicht originellen, aber wichtigen Erkenntnis, dass vieles an solchen Anti-Gipfel-Protesten schon per se Performance ist. Der "Schwarze Block": eine Truppe, deren Mitglieder sich untereinander oft nicht einmal kennen und deren düstere Aura erst durch ihren Ruf und das typische Theatermittel der Kostümierung entsteht. Der martialische Auftritt der Polizei: eben das - ein Auftritt. Das Aufeinandertreffen der Kontrahenten: erstaunlich penibel durchchoreografiert, vom rhythmisch gen Himmel gereckten Stinkefinger bis zum provozierenden Tänzchen vor den Wasserwerfern. Das Schauspielertrio tanzt minutiös zu den Videoeinblendungen auf drei Wände der Box und wirft taktgenau imaginäre Steine. Alles Theater da in Hamburg? Nicht alles, aber das Streben nach einer tollen Performance hat schon viele großkotzige Posen hervorgebracht. Die drei Autonomen machen Selfies auf den Barrikaden.

Bissel von das, bissel von dem

Der Abend mäandert zwischen hingeplauderten Reiseberichten der Schauspieler, ihrem Entsetzen angesichts der miterlebten Gewalt und dem Versuch, das Ganze theatralisch bis satirisch zu verarbeiten. Zu den stärkeren Szenen gehört der Auftritt des Demo-Info-Teams (Elias Arens und Katharina Schenk), das im Stil besonders unbeholfener Robinson-Club-Animateure Tipps zum richtigen Equipment im Angesicht von Wasserwerfern und 70 Prozent Regenwahrscheinlichkeit gibt. Beim Spötteln über das Wesen von Weltwirtschaftsgipfeln helfen klassische Zitate; Tucholsky – "Deutsche, kauft deutsche Zitronen!" – geht immer. Und in einem aus Prinzip unfertigen Stück wie diesem ist immer auch Raum für Aktualisierung: Was der G20-Gipfel zur Verhinderung eines Handelskrieges genutzt hat, erweist sich in diesen Tagen.

Was sollen wir tun?

Wenn’s politisch-utopisch wird, zeigen sich die Grenzen des theatralischen Rahmens. Wenn das Ensemble von der Demokratie per Losverfahren schwärmt, nach irischem Vorbild, ist nicht klar, wer hier spricht: ein beseelter G20-Demonstrant oder der Schauspieler in Person? Katharina Schenk plädiert für Geduld mit dem zarten Pflänzchen Utopie – sie spricht von "kleinen Blüten": Ist die mit zuckriger Musik unterlegte Naivität noch Teil der Inszenierung oder ernst gemeint? Es ist so unbefriedigend wie konsequent, dass der Abend mit einer – wegen des stickigen Kleinklimas in der Box nicht zu langen – Publikumsdiskussion endet. Aber das, mit Verlaub, ist dann wirklich kein Theater mehr.

 

Vier Tage im Juli - BlackBox G20
Ein Projekt von Gernot Grünewald und Ensemble
Uraufführung
Regie: Gernot Grünewald, Bühne und Kostüme: Michael Köpke, Video: Isabel Robson, Musik: Daniel Spier, Dramaturgie: Bendix Fesefeldt.
Mit: Elias Arens, Katharina Schenk, Caner Sunar.
Spieldauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause

www.deutschestheater.de

 

 Mehr zur Inszenierung: der Deutschlandfunk führte vor der Premiere ein Gespräch mit Regisseur Gernot Grünewald.

 

 Kritikenrundschau

Grünewald und sein Team erzählten die Ereignisse rund um den Hamburger G20-Gipfel "aus verschiedenen Perspektiven nach – unparteiisch, ungeordnet, leider auch ohne Antwort", schreibt Elisa von Hof in der Berliner Morgenpost (16.5.2018). "Vielleicht war das Projekt auch zu ambitioniert. Denn was da in Hamburg geschehen ist, das ist eben nicht einfach zu beantworten. Polizisten, Aktivisten, Demonstranten und Krawallmacher, alle haben eine andere Antwort darauf. Aber der Abend bewegt sich nicht darüber hinaus, er bleibt dokumentarisch. Das wäre auf der Kinoleinwand besser aufgehoben. Im Theater, diesem Raum der Geschichten, zerfasert dieses Konvolut an Stimmen."

 

Kommentare  
Vier Tage im Juli, Berlin: Straßenprotest
Die Szenen sind wie kleine Mosaiksteinchen aneinandergereiht, so bunt, wie die unterschiedlichen Formen des Protests. Die Stärke dieses Abends sind seine gelungenen Choreographien, die drei SpielerInnen überzeugen mit ihrer tänzerischen Revue verschiedener Protestaktionen. Das angedeutete Steinewerfen oder der Barrikadenbau des vermummten schwarzen Blocks werden zu eindrucksvollen Bildern, auf der Tonspur läuft ein Interviewschnipsel mit, in dem ein Anarchist darüber nachdenkt, wie sehr sich der Straßenprotest und Theateraktionen ähneln. Amüsant ist auch, wie Katharina Schenk die Sprechblasen des Hamburger Polizeisprechers, der ihr einige Monate nach dem Gipfel ein Interview gab, im Loop wiederholt.

Die Schwäche des Abends ist, dass das G20-Wochenende eine „Blackbox“ bleibt. Dem Doku-Theater-Stück „Vier Tage im Juli – Blackbox G20“ gelingt es nicht, so tief zu bohren wie die Vorgänger-Arbeit „Lesbos Blackbox Europa“ von Gernot Grünewald, die in der vorigen Spielzeit in der Box des Deutschen Theaters zu sehen war. Der Abend ist kurzweilig und schön anzusehen, bleibt aber an der Oberfläche. Das Publikum kam mit den Fernsehbildern im Kopf ins Theater und bekommt sie dort noch einmal auf spielerische Art vorgeführt und kommentiert.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2018/06/16/vier-tage-im-juli-blackbox-g20-theater-kritik-dt-berlin/
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