Wo sich Like und Glauben Hallo sagen

von Nikolaus Merck

13. Mai 2018. Falk Richter. Elfriede Jelinek. Die eine nervt mit Suaden, mit Wortschabernack, über den ewig keiner mehr gelacht hat, dafür gilt diese Wortdrifterei als sprachkritisch, aufklärerisch. Der andere ein – in seinen Texten – Befindlichkeitsdusler, ein Hipster-Dramatiker mit starrem Blick auf seinesgleichen. Dennoch: kein böses Wort für die beiden aufrechten Kämpfer gegen den zurückkehrenden Faschismus. Kein Argument das in der Kunst? Mag sein, meine Hochachtung gehört ihnen trotzdem.

Und, beiseite: Theater ist ein Generationending. Der 60er, der schreibt, findet sich dazwischen geraten. Die Gefühlsgedanken zerrissen zwischen Pollesch und Peymann, kein Ankomm' mehr in der Gegenwart (Falk Richter), nicht überwunden die überdrüssig gewordene Vergangenheit (Jelinek). Jelinek also und Falk Richter. Theatertreffen, "Am Königsweg" vom Deutschen Schauspielhaus Hamburg. "Mööööh", sagt die Tochter, die 15-jährige, "schon wieder Theater. War doch gerade erst" (in "Besuch der alten Dame", mit der Schulklasse). Ei wei. Da schwant Übles. Dreieinhalb Stunden Ansprache. Man kann Theaterlust auch verderben.

Am Koenigsweg 9 560 ArnoDeclair u"Am Königsweg": Idil Aybar, Anne Müller, Benny Claessens, Frank Willens © Arno Declair

Doch siehe, es kommt sehr anders als gedacht. Die Bilder, blutgesättigt trunken von drohender Gewalt, rauschen bühnenhinterwärts auf dem Screen, dass die Augen übergehen, die Füße verzweifelt zucken und das Hirn in Angststarre verfällt. Heftig plattern die mäandernden Monologe.

Aber etwas ist anders.

Zuerst: die Trauer, abgrundtief. Denn die jelineksche Zeit, sagt Jelinek, ist vorbei. Noch spricht sie, noch schreibt sie, aber vor den Toren rumoren die weißen Horden und begehren die Herrschaft. Die Zeit, da Worte helfen konnten, entlarven, aufklären, verrücken, um gerade zu rücken, geht sie im Zeitalter von TrumpPutinErdogan zuende? Die alternde, kranke Dichterin am Ende ihres Weges? Ilse Ritter spricht die persönlichen Partien des Textes und sie spricht einfach groß-ar-tig. Das Material gewinnt in diesen Momenten Durchsichtigkeit. Selten erlebt bei den Stemanns et al, wie leicht sich den Gedankenströmen, den Wortdriften folgen lässt.

Ad zwei: Ein Irrtum wird ausgeräumt. Endlich. Ein zweiter Königsweg für Jelinekiaden, nach den Schleefschen Chören, tut sich auf. Was Jelinek schreibt, müssen die Schauspielerinnen singen. Es gibt wunderbesselte, seelenrauhende Nummern von Benny Claessens und Julia Wieninger, das Herz schmilzt, goldene Abendwinde säuseln, die Traurigkeit funkelt wie ein roter Wein im Glas, doch das ist Folk Rock, Soul, Anleihe bei Pop-Beseelung. Hoch oben, hoch oben wehen die Fahnen, wenn sich die sprachlichen Dauerschleifen in raren Ensemblenummern langsam vom Bühnenboden heben und in Gesang übergehen, und hier ist das Ziel erreicht. Vorher war alles falsch, "Play Jelinek" will kein Schauspiel, Jelinek braucht Schauspieloper.

Ad drei: Dramaturgie. Die Comic Relief-Auftritte von Benny Claessens als Kindkönig und PublikumsBeschimpfungsClown sowie Idil Baydars "Entwicklungshilfe" für die deutschen Brillenkartoffeln lassen uns Atem holen, wo die Jelinekschen Textschlangen drohen, die Luft abzuschnüren und wir am liebsten lautschreiend ins Freie stürzen wollten. Lachen über Claessens' schamloses Volkstheater und Baydars KanakSprak-Comedy mag weiter unten angesiedelt sein als das knarzig-vertrocknete Sauerlächeln über Elfriedes Wortkladderadatsch, aber es hilft einfach eine dreieinhalbstündige Generalanstrengung der Sinne der oberen Körperteile durchzustehen.

So ist es an diesem Abend eines Sonnentages gekommen, dass ein zurückgetretener Kritikaster traurig von Jelineks Trauer und fröhlich vom tandaradesken Frohsinn ins Freie tritt und um sich schaut und noch einmal einen Glauben ans Theater zurückgewonnen hat.

Und was sagt die Tochter? Wie ging es Dir denn? Breites Grinsen überm Gesicht der 15-jährigen: "I like!"

Nikolaus Merck ist Mitgründer von und Redakteur bei Nachtkritik.de – vom Kritikenschreiben hat er sich in den letzten Jahren peu à peu zurückgezogen.

 

Kommentare  
Am Königsweg, TT: Ziel erreicht
Elterngeneration und Kindergeneration zusammen ins Theater, jedem sein Behagen wie Unbehagen, jedem sein Lachen, seine Trauer, seine EIGENEN Gedanken, geradlinigzerissenverworrenabgeklärtodersonstwas - aber einander selbstverständlich mitgeteilt? - Ziel erreicht.
Am Königsweg, TT: nicht wirklich Außenblick
Schön den Merck wieder mal zu lesen. Aber warum halbe Ausnahme von der Theaterblase? Natürlich ist der gute Merck in der Wolle mit Theater gewaschen? Noch wunderlicher fand ich nur die Wahl von Johanna Schall, der Regisseurin und Brecht-Erbin. Die Theaterblase ist noch viel, viel kleiner, als ich immer dachte, wenn selbst Schall und Merck sie von außen sehen.
Am Königsweg, TT: eingesprungen
Liebe*r Neoblubb,
Nikolaus Merck ist als "Halbaußen"-Schreiber eingesprungen, nachdem ein Kandidat mit Außenblick so kurzfristig abgesagt hat, dass anderweitig kein Ersatz zu finden war.
Mit besten Grüßen aus der Redaktion,
Anne Peter
Am Königsweg, TT: Generation = Fiktion
Es gibt Schlimmeres. Der Notersatz bedarf keiner Entschuldigung. Zumal, wenn man die These vom Theater als Generationending bezweifelt. Hat Nikolaus Merck vergessen, dass es in der Generation Jelinek keineswegs nur Fans von Elfriede Jelinek (oder Peter Handke, oder Wolfgang Bauer) gab und dass nicht alle aus der Generation Milo Rau oder Ersan Mondtag Rau- oder Mondtag-Anhänger sind? Die lautesten Gegner von Gerhard Stadelmaier gehörten der Generation Stadelmaier an (aber wem sag ich das), und die Stammkundschaft von George Tabori war 50 Jahre jünger als er. "Generation" ist eine Fiktion oder, freundlicher formuliert, eine statistische Abstraktion. Nikolaus Mercks Entscheidung in Ehren - aber daraus ein Gesetz zu machen entspräche der Apodiktik - nun ja, der Generation Jelinek...
Am Königsweg, TT: generationenübergreifend
Lieber Thomas Rothschild - ich muss gewiss dem Nikolaus Merck argumentativ nicht beispringen, aber ich denke, das Theater zumindest der Ausdruck des Generationendings Gesellschaft ist. Wenn es stark genug ist, generationenübergreifend Interesse zu wecken und generationenübergreifenden Austausch zu provozieren über alle Differenzen hinweg, ist es genau das Theater, das die Gesellschaft liebt und braucht.
Auch der Teil der Gesellschaft, der nicht einmal ins Theater geht. Darin besteht die politische Bedeutung von Theater als solchem. Und nur idiotische Führungen von Gesellschaften werden den generationsübergreifenden Austausch über gesellschaftsinhärente Konflikte verhindern. Zum Beispiel durch inhaltliche undoder formale Gleichschaltung von Theater, Literatur oder Medien...
Mfg - d.o.
Am Königsweg, TT: Generationen
Gute Kritik, man kann das nachempfinden.
Danke!
Meine Tochter 27 und hätte lange mit mir über diesen Abend diskutiert. Ich bin 56. Merck ist 61. Seine Tochte 15. Danke Falk Richter, der 48 ist. Und Jelinek ist 71.Ilse Ritter 73. Also generationsübergreifend von 15 bis 73. So eine Aufführung muss zum Theatertreffen 2018.
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