Luft zum Angucken

von Andreas Klaeui

Zürich, 17. Mai 2018. Den einen wabert es manchmal dann doch ein bisschen sehr, die andern finden darin gerade das Signum seiner Arbeit: Bühnennebel, Trockeneis, Nebelmaschinen haben in Thom Luz einen treuen Adepten. Immer wieder verschafft der Regisseur dem Propylenglykol prominenten Auftritt in seinen Abenden – sei es der regenverhangene Tessiner Nebel, in dem sich Herr Geiser verfängt in Der Mensch erscheint im Holozän, sei es der sanfte, dennoch undurchdringliche Dämmervorhang, hinter dem im Basler Inferno die Persönlichkeiten verschwanden, aus der Welt und aus den Erinnerungen: Weißes Fluidum füllt die Bühne.

Aber nicht nur als Metapher braucht Thom Luz den Nebel in seinen Abenden, sondern manchmal auch ganz umweglos, naturwissenschaftlich trocken, melancholisch erheitert, in der Erforschung und Auflistung meteorologischer Seltsamkeiten beim Unusual Weather Phenomena Project oder im Backstage-Trickblick der Traurigen Zauberer. Und nun wagt er sich mit "Girl From The Fog Machine Factory" in der Gessnerallee Zürich also sozusagen in die Höhle seines Löwen, und geht direkt in die Nebelmaschinenfabrik. Was er vorfindet, ist eine ganze Welt von Diesseits und Jenseits.

ThegirlFogMachine2 560 SandraThen uÜber den Nebelwolken © Sandra Then

Das Personal der titelgebenden Werkstätte ist von der Sorte, die eine Besucherin – wenn denn einmal eine vorbeikommt – mit einem vierstimmigen Madrigal von Orlando di Lasso begrüsst, Bonjour mon cœur: nicht übertrieben welttüchtig. Und nichts kann sie glücklicher machen, als wenn die Besucherin sich dann das ganze Arsenal an Firmenartikeln vorführen lässt, von der zigarettenschachtelgroßen Handnebelmaschine bis zur vielstimmigen Nebelpfeifenorgel. Da haben sie einiges zu präsentieren, und sie tun es mit kindlichem Stolz und nicht viel erwachsener anmutender Freude an der Erfindung, am Ausprobieren, am möglichen Gelingen. Und im Maß, in dem die Besucherin sich in diese absurde Fabrik integriert, fiebert der Zuschauer mit, wenn die Nebelringe ins Publikum schweben, sich wirkungsvoll auflösen, aneinander vorbei segeln oder sich endlich zum Kuss treffen (es gibt Szenenapplaus) – und natürlich sofort verpuffen.

Die Beiläufigkeit des Schönen

Am Ende sind sie schon gar nicht mehr von dieser Welt. Samuel Streiff ist der Patron dieses Instituts am Rand einer Stadt, überhaupt am Rand der Industriegesellschaft, ein innerlich leuchtender, äußerlich bröseliger Versager in den Augen der Tüchtigen. Er ist es, der immer wieder zum Telefon gehen muss, wenn offensichtlich die Gläubiger anrufen, es lässt sich unschwer erschließen aus seinen bedrückten Einsilbenantworten, "ja, nein, wie denn?" Die Nebelmaschinenfabrik hat bessere Tage hinter sich, sie sieht ihrem Niedergang entgegen, aber noch ist das Personal nicht so weit – so kann man, wenn man denn eine braucht, die Handlung wohl fassen. Aber darum geht es nicht.

Worum es geht an diesem verzaubernden Abend, ist der Nebel an sich. Die Beiläufigkeit des Schönen, das Festhalten am Aufschein. "Le passage d'un nuage", wie ihn das Lied von Francis Poulenc beschreibt, dem französischen Komponisten zwischen Spätromantik und Maschinenmoderne, zwischen Salon- und Wahnmusik, der überhaupt an diesem Abend maßgebend vertreten ist. Denn auch "Girl From the Fog Machine Factory" zeichnet sich wieder durch eine exquisite Musik-Spur aus: einen klugen musikalischen Kommentar, möchte man sagen – wenn nicht der Abend überhaupt, in seiner ganzen szenischen Dramaturgie wie ein Musikstück komponiert wäre. Mathias Weibel, der versierte Komponist und Allround-Wegbegleiter von Thom Luz seit seinen Anfängen, spannt einen Bogen vom sentimentalen Schlager zum Schubertlied, vom Madrigal zum Blues. Und es ist alles andere als selbstverständlich, wie ausnehmend schön die fünf Schauspieler*innen das intonieren.

ThegirlFogMachine3 560 SandraThen uFeuerwerksnebel? Pulverdunst? Spur eines wichtigen Ereignisses? © Sandra Then

Man kann jetzt natürlich an Christoph Marthaler denken. Thom Luz bringt auch mindestens ein klares Marthaler-Zitat (aus "Das Weiße vom Ei / Une Île flottante") – wenn ein Ladenschild an die vierte Wand gehängt werden soll und einfach nicht halten will. Aber er macht doch auch über Marthaler, der ihn unzweifelhaft geprägt hat, hinaus sein eigenes Ding. Sein Musikding. Sein Nebelding. Und das ist schön.

Girl From The Fog Machine Factory
von Thom Luz
Raum, Lichtdesign, Inszenierung: Thom Luz, Musikalische Leitung: Mathias Weibel, Kostüm: Tina Bleuler, Katharina Baldauf, Sounddesign: Martin Hofstetter.
Mit: Mathias Weibel, Mara Miribung, Samuel Streiff, Sigurður Arent Jónsson, Fhunyue Gao.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.gessnerallee.ch

 

Kritikenrundschau

"Verglichen mit seinen letzten Arbeiten wie 'Unusual weather phenomena' in der Gessnerallee oder 'Leonce und Lena' in Basel, ist Luz hier eine leichtere, weniger hermetische Arbeit gelungen", schreibt Tobias Gerosa in der Neuen Zürcher Zeitung (19.5.2018). "Nach anderthalb Stunden scheinen die Möglichkeiten des Theaternebels auserzählt. Bis dahin schaut man aber gerne zu und lässt sich in eine zauberhaft verschrobene Welt entführen."

Kritikenrundschau zum Gastspiel beim Berliner Theatertreffen 2019

Der höchst wunderliche, gestaltreiche Nebelabend, "der Physik, Musik, Alchemie, Nonsens und soziale wie künstlerische Fantasie vereint, umkreist, aufstachelt" habe dem Regisseur Thom Luz sehr nachvollziebar die Einladung zum diesjährigen Theatertreffen gebracht, schreibt Doris Meierhenrich in der Berliner Zeitung (8.5.2019). Die Nebelmaschinen spielen die Hauptrolle "in dieser fast wortlosen und doch viel erzählenden Schau", wozu sich noch andere Gegenstände gesellen, auch klassische Streichinstrumente. "Gerade sie sind wichtig, denn hier wird nach mehreren Partituren eine multidimensionale Nebelsinfonie gespielt, die wirklich in die unbeschreibbaren Zwischenbereiche zwischen Physik, Trick und Kunst, Materie und ihre Auflösung dringt." "Es ist, als machten Luz und seine wunderbar selbstlosen Arbeiterspieler nicht nur das Gedachte in jedem Bild mit sichtbar, sondern den physikalisch-materiellen Gang des Denkens und Kommunizierens selbst."

"Es marthalert so gut 70 Minuten dahin. Musik, Slow Motion, gepflegte Tristesse und ein bisschen Dada", schreibt eher gelangweilt Peter von Becker im Tagesspiegel (8.5.2019). Am komischsten sei der Einfall, zur Feier des Abends auch Nebelsekt zu servieren, "eine Spielerin füllt den anderen in ihre Kelche einfach genau dosierte weiße Luft." Irgendwie ist das alles eine Art Molekulartheater, nichts als Schall und Rauch. "So aber gerät man ins Grübeln, denkt beispielsweise nach über die mögliche Feinstaubbelastung durch derart viel Trockeneisverpuffung. Oder überlegt, wie diese weißschwarze Luftnummer überhaupt in ein Theater(besten)treffen geraten ist."

 

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