"Trigger. Mich. An."

von Gabi Hift

Berlin, 18. Mai 2018. Ein altmodischer, humanoider Roboter in einer Uniform aus Plastikfolie mit spitzen Schulterpolstern hält uns seine Handfläche entgegen. Wo sind wir hier? "Cyborg City" heißt der Ort, in den uns der Android einlädt. Es entpuppt sich als eine Ansammlung von Plastikkojen, die durch rote Leuchtlinien am Boden verbunden sind. Aber dieses Cyborg City ist in einen ganz anders gearteten Raum hineingebaut, ist überwölbt von einer düster glühenden weltlichen Kathedrale, am Kopfende öffnet sich ein Bühnenportal wie das Maul eines riesigen Wals.

In der Filmstadt Weißensee

Von außen würde man nie vermuten, was sich hinter der bröckelnden Fassade dieses Hauses am Berliner Caligariplatz verbirgt. Rostige Befestigungsschienen formen den Schriftzug "Delphi", vor langer Zeit wird an ihnen eine Leuchtschrift gehangen haben. Es war einmal in den roaring twenties ein glamouröses Stummfilmkino, hier, in der Filmstadt Weißensee, in Klein-Hollywood. Marlene Dietrich hat hier gedreht, und Fritz Lang. Dann war das Kino eine Wäscherei, ein Getränkelager. Aber immer noch hängen abgewetzte Goldtapeten in der Eingangshalle, und pompöse Art Deco Lüster. Die junge New Yorker Regisseurin Brina Stinehelfer und der Dresdner Musiker Nikolaus Schneider haben das Delphi vor fünf Jahren entdeckt und es wachgeküsst. Es gab Zuspruch, Rückschläge, Rettung durch die Gelder einer Stiftung, einen Einbruch, eine Crowdfunding Kampagne und nun, seit 2018, eine Förderung des Berliner Senats – es ist soweit: There is a new place for Theater in town!

CyborgCity 2 560 JoschaKollascheck uCyborgianer oder Trjakoniken?  ©  Joscha Kollascheck

Cyborgcity, das Theatercomputerspiel der Regisseure Kasteleiner/König ist charmant in seiner Einfachheit, mit seinem 80-er Jahre Flair, aber die Plastikkojen wirken doch deplatziert inmitten dieser Grandezza, mit der sie in keinerlei Dialog treten. Unser liebenswürdiger Gastgeber, Typus Data aus Star Trek (Florian Bilbao), will wissen, zu wem wir halten wollen: zu den Trojakoniken, die das Helena Programm gestohlen haben, oder zu den Cyborgianern, die es sich zurückholen wollen. Wer das Programm besitzt, kann sich und seine Genossen zu Überwesen upgraden, die keine Hardware mehr brauchen, sondern nur noch virtuell exististieren – als System von Algorithmen. Die Trojakoniken wollen das verhindern, denn sie wollen den menschlichen Körper behalten.

Zwangsvercyborgianerung

Obwohl wir, eine Gruppe von sechs gemeinsam eingelassenen Spielern, mehrfach für "Mensch bleiben" optieren, landen wir aus unerfindlichen Gründen trotzdem bei den Cyborgianern. Wir erhalten eine militärische Grundausbildung bestehend aus unzähligen Kampfgesten und auswendig zu lernenden Sätzen. Drüben, bei den Trojakoniken, gibt es ein etwa 10jähriges Mädchen, das sich als eine Art Wondergirl entpuppt. Sie merkt sich alles und brüllt ihr "Ha!" und "Ho!" mit bewundernswertem Spielernst, gegen die haben wir keine Chance. Beim Kampf in der Arena kommt es wie befürchtet: Wir versagen, haben alles vergessen: Wo sollten wir Hektor treffen? Wem die Trauben füttern? Welchen Satz rezitieren? Wo den Code auf Archills Arm ablesen? Es ist ein totales Debakel. Wenigstens geht's den Trojakoniken drüben auch nicht besser, sogar Wondergirl ist ratlos. Trotzdem landet das Helenaprogramm irgendwie in einem Apfel und wir werden von nun an von Algorithmen gesteuert. Wir trollen uns hinaus in die phantastische Art Déco Bar, bestellen synchron Schnäpse und versichern uns gegenseitig, dass sich kein Mensch so viel auf einmal merken kann.

Das Programm ist lernfähig

Später, als ich schon am Computer sitze, erhalte ich ein Update von einer, die noch an der Bar sitzen geblieben ist: bei der Gruppe, die nach uns kam, soll es schon viel besser funktioniert haben, beim Herauskommen sahen die so aus, als hätten sie großen Spaß gehabt. Vermutlich ist das Cyborg City Programm also lernfähig und man kann allen, die sowas mögen, nur raten, lieber zu einer der letzten Vorstellungen zu gehen.

An der herrlichen Bar lässt es sich jedenfalls gut träumen über binäre Entscheidungen, die den Gang der Dinge hätten verändern können: Was, wenn im Kampf Stummfilm gegen Tonfilm der Stummfilm gesiegt hätte? Wenn das Berlin der 20er Jahre überlebt hätte? Wenn in Etablissements wie dem Delphi kunst- und amüsierverrückte Menschen schillernd unbestimmten Geschlechts immer weiter Swing getanzt und Absinth getrunken, wenn draußen vor der Tür die Sozialisten gegen die Nazis gewonnen hätten? Zu solchen Phantasien werden Zuschauer im Delphi nun öfter Gelegenheit haben an diesem wunderbaren verwunschenen wiedererweckten Ort.

 

Cyborg-City/die-schlacht-um-troja.kon
Regie, Dramaturgie, Stückentwicklung: Kasteleiner/König, Computerspiel Consult: Inge Ling, Bühne: Kim Scharnitzky, Kostüme: Laura Burkhardt, Regieassistenz: Milen Zhelev.
Mit: Florian Bilbao, Martin Geisler, Antje Härle, Jenny Jessen, Jan-Hendrik Klein, Hans Morgeneyer, Carolin Ott, Celina Schneider, Saskia Thudium, Marius Zoschke.
Einlass in 6-er Gruppen alle 15 Minuten. Jeweils vier Gruppen für eine Vorstellung. Dauer 1 Stunde 45 Minuten für die erste Gruppe, für die anderen entsprechend kürzer.

www.ehemaliges-stummfilmkino-delphi.de

 

 

Kommentare  
Cyborg-City, Berlin: Einlasszeiten
Einlass 19:00-19:30 und 20:30-21:00 alle 7 Minuten (19.-20.05.)
Cyborg-City, Berlin: einzigartig
Ich habe am Premierenabend die 2. Vorstellung miterleben dürfen und war begeistert. Ein tolles und interessantes Konzept. Die große Nähe und Interaktion mit den Schauspielern wie in einem Computerspiel sind einzigartig. Ich hatte auf jeden Fall meinen Spaß, genauso wie die meisten anderen Anwesenden. Kann's daher nur weiterempfehlen.
Cyborg-City, Berlin: anderer Eindruck
Einen ganz anderen Eindruck von "Cyborg-City / die Schlacht um Troja.kon" vermittelt dieser Bericht: http://www.deutschlandfunk.de/performance-cyborg-city-das-absolute-verschmelzen.807.de.html?dram:article_id=418172
Vom 06.-10. Juni besteht im Rahmen des Performing Arts Festivals im Kühlhaus Berlin die Möglichkeit, sich einen eigenen Eindruck von der Arbeit zu machen.
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