Züri pennt

von Thomas Rothschild

27. Mai 2018. Begeisterter Applaus dringt auf den Sechseläutenplatz. Er kommt aus dem Zirkus Knie, der sein Zelt vor dem Bernhard Theater aufgeschlagen hat. Drinnen, im Theater, hat die Theatergruppe KNPV ihren Auftritt. "Auftritt" ist wohl das falsche Wort. In "5 Gründe warum Delfine böse Tiere sind", einer Koproduktion von KNPV mit dem Kellertheater Winterthur und dem Schlachthaus Theater Bern, tauchen die Schauspieler Philippe Nauer und Priska Praxmarer mit Puppen, denen sie ihre Hände und ihre Stimmen leihen, vielmehr hinter einer schmalen halbhohen Wand auf.

Ernüchternder Beginn

Nun gehört das Zusammenspiel von realen Menschen und Puppen schon seit langem zum Alltag des Figurentheaters. Nicht immer freilich kommt es so putzig daher wie in dieser sehr freien Adaption des dänischen Films In China essen sie Hunde über die Verwicklungen einer Bankangestellten in einen glücklosen Überfall. Das ist Theater für Gutwillige, die über "Sesame Street" nicht hinausgekommen sind. Es erscheint wie eine Kombination aus Bauchredner und, nachdem Perücken und Puppen abgelegt wurden, frontaler Publikumsansprache im Stil des Düsseldorfer Kabaretts Kom(m)ödchens der fünfziger Jahre. Dazwischen unterhält eine Imitation von Interviewfilmen, mit Puppen eben. Das ist so innovativ, wie es ein Gastspiel der Schola Cantorum Basiliensis beim Montreux Jazz Festival wäre. Das kann man natürlich machen, aber als Eröffnung eines Treffens, das die Höhepunkte des Schweizer Theaters präsentieren will, wirkt es doch einigermaßen ernüchternd.

Delfine2 560 Ingo Hoehn u Die Gruppe KPNV mit "5 Gründe warum Delfine böse Tiere sind" © Ingo Hoehn

Zum fünften Mal fand das Schweizer Theatertreffen statt, erstmals in Zürich. Ausgewählt waren, neben "5 Gründe warum Delfine böse Tiere sind", Grimmige Märchen und Beute Frauen Krieg aus Zürich (beide Inszenierungen wurden auch für das Berliner Theatertreffen vorgeschlagen, letztere sogar ausgewählt), "Transumanze" aus Lugano, "Quitter la terre" aus Lausanne, White Out - Begegnungen am Ende der Welt aus Luzern und "Les Luttes intestines" aus Genf. Ebenfalls eingeladen waren die beiden Shakespeare-Interpretationen "Mesure pour mesure" ("Maß für Maß") des Think Tank Théâtre sowie "La bisbetica domata" ("Der Widerspenstigen Zähmung") von LuganoInScena, die aber aus "technischen oder dispositionellen Gründen" nicht gezeigt werden konnten.

Ein umstrittenes Festival

"Technische Gründe" beziehungsweise das Fehlen geeigneter Räume wurden auch schon vor zwei Jahren genannt, als Jan Bosses Zürcher Hexenjagd und Basels "Engel in Amerika" zwar ausgewählt, im damaligen Festspielort Genf aber nicht gezeigt wurden. Mit der gleichen Begründung wurden Simon Stones Drei Schwestern 2017 zwar ins Tessin eingeladen, aber nicht aufgeführt. Diesmal taucht Basel auf der Liste der Eingeladenen gar nicht erst auf. Das mutet verwunderlich an. Immerhin reiste das unter der Leitung von Andreas Beck erfolgreiche Theater mit Ulrich Rasches Woyzeck zum Berliner Theatertreffen. Kann es sein, dass, was gegenüber allen deutschsprachigen Theatern reüssiert hat, für die Schweiz nicht gut genug ist? Sollte es zutreffen, dass das Auswahlkuratorium Basel diesmal von vornherein wegen des Mangels an einer geeigneten Zürcher Bühne übergangen habe, würde das die Aussagekraft des Theatertreffens und die Qualität seiner Öffentlichkeitsarbeit, die dazu schweigt, mehr als nur in Frage stellen.

In der Schweiz selbst ist das Theatertreffen – nun ja, sagen wir es freundlich: umstritten. Unter dem Titel "Schafft das Schweizer Theatertreffen ab!" ätzte im März der Zürcher Tages-Anzeiger, der sich bislang nicht dem Verdacht ausgesetzt hat, den Vorwurf des Reaktionären leichtfertig zu erheben: "Das Schweizer Theatertreffen ist also kunst- und weltfremd. Aber auch reaktionär in einer Zeit, in der sich Macherinnen sehr ernsthaft die Frage stellen, wie Theater eine Vielfalt ermöglicht (es ist immer noch eine Welt der weißen Männer)." Einschätzungen wie diese verlieren freilich an Seriosität, wenn man weiß, dass ihr Autor derselbe ist, der das aus der Luft gegriffene Gerücht in die Welt gesetzt hat, Zürichs scheidende Intendantin Barbara Frey sei für die Leitung des Theater Basel vorgesehen.

Transumanze6 560 Martina Tritten u "Transumanze" in der Regie von Cristina Castrillo © Martina Tritten

Schon für das Berliner Theatertreffen gilt, dass es nicht die besten oder, euphemistisch formuliert, die bemerkenswertesten Inszenierungen des Jahres versammelt, sondern allenfalls jene, die die Jurorinnen und Juroren 1. kennen und 2. mehrheitlich für die besten und die ihre eifersüchtigen nicht in die Jury bestellten Kollegen für eine Fehlentscheidung halten. In der Schweiz kommt gegenüber dem deutschen Vorbild erschwerend hinzu, dass die verschiedenen Sprachregionen des Landes repräsentiert werden sollen, wobei man beim Rätoromanischen (dem Rumantsch) die sprichwörtliche Ausnahme von der Regel zu- und sein Theater Giovanni Netzers Origen Festival Cultural im graubündener Riom überlässt. Der polyglotte Anspruch hat seinen Preis. Quoten dienen der Gerechtigkeit, nicht der Qualität. Wenn im Ergebnis dennoch Qualität herauskommt, erweist sich das als ein Glücksfall, nicht als eine Folge der Quote (man kann sie auch Proporz nennen). Ist das Bessere der Feind der Guten, so ist das mehr oder weniger Gute zugleich der Feind des Besseren.

Und dann: wie schweizerisch ist das Schweizer Theatertreffen? Vieles spricht für die Wahl von Fritsch und Henkel. Aber nichts unterscheidet deren Zürcher Arbeiten von jenen in Hamburg, Berlin, Wien oder Salzburg. Und auf der Bühne? Die zurzeit interessanteste Schweizer Schauspielerin, Ursina Lardi, trifft man in Berlin an der Schaubühne oder bei Thorsten Lensing, nicht in der Schweiz. Wie Österreich mit seinem "Nestroy"-Theaterpreis, so will sich auch die kleine Schweiz mit dem Theatertreffen gegenüber dem großen deutschen Nachbarn profilieren. Aber die Konstruktion ist eine halbe Sache. Entsprechend schwächelnd ist ihre Ausstrahlung in der Schweiz und erst recht über die Grenzen hinaus.

Wo ist das Publikum?

Die Raison d'être für das Schweizer Theatertreffen, dass da unterschiedliche Sprachen und Traditionen einander begegnen, erwies sich auch in der fünften Ausgabe als frommer Wunsch. Bei der einzigen Aufführung in italienischer Sprache blieben die Theaterleute und die Festivalmitarbeiter unter sich. Dabei berührt "Transumanze" ein wichtiges aktuelles Thema. Mit einfachen Mitteln – Pantomime, Projektionen, Musik, poetischem Text – handelt die Bilderfolge von Flucht, Verfolgung und Erinnerung. Das scheint nicht zu interessieren. Jedenfalls nicht in der deutschsprachigen Schweiz.

Bei den Westschweizern konnte man die Zuschauer schon einzeln grüßen. Man kannte sich mittlerweile. Am letzten Abend gastierte das Genfer Théâtre du Loup mit einer Petitesse namens "Les Luttes intestines" ("Die inneren Kämpfe"). Es handelt sich um eine nur wenig übertriebene Podiumsdiskussion über die Darmflora und ihre Folgen. Das ist nicht viel mehr als ein auf 90 Minuten aufgeblasener Loriot-Sketch. Er geht in die Verlängerung mit einer zwanzigminütigen Plauderei über die Diskriminierung von Dickleibigen. Die Schauspieler simulieren, was man als Realsatire auffassen könnte, zwar lebensecht, aber wenn das zum Besten im Schweizer Theater gehört, waren die Befürchtungen vom ersten Abend mehr als berechtigt.

 

5 Gründe warum Delfine böse Tiere sind
Idee/Realisation: Philippe Nauer, Priska Praxmarer, Dirk Vittinghoff
Regie: Dirk Vittinghoff; Video: Moritz Praxmarer; Bühnenbau: Beni Küng; Kostüme und Requisiten: Sibylla Walpen; Graphik: Theres von Goumoëns; Produktionsleitung: Annette von Goumoëns: Produktion: KNPV; Koproduktion: Kellertheater Winterhur, Schlachthaus Theater Bern.
Mit: Philippe Nauer, Priska Praxmarer.

www.knpv.ch

 

Transumanze
von Cristina Castrillo
Text, Regie: Cristina Castrillo; Video: Cristina Castrillo, Mario Conforti; Mitarbeit: Giona Beltrametti, Raffaella Ferloni, Manuel Mainieri; Fotografie Martina Tritten; Regieassistenz: Camilla Parini.
Mit: Bruna Gusberti, Massimo Palo, Nunzia Tirelli, Carlo Verre, Irene Zucchinelli.

www.teatrodelleradici.net

 

Les Luttes intestines
von Adrien Barazzone
Konzept und Regie: Adrien Barazzone; Bühne: Gregory Brunisholz, Anaïde Davoudlarian; Kostüme: Maria Muscalu; Ton: Jérémie Conne; Lumières: Benoît Théron; Produktionsleitung: Christèle Fürbringer; Regieassistenz: Barbara Schlittler; Produktion: L’Homme de dos; Koproduktion: Théâtre du Loup.
Mit: Mélanie Foulon, David Gobet, Esperanza López, Safi Martin Yé, Marius Schaffter.

www.theatreduloup.ch

 

Nachtkritiken über weitere eingeladene Inszenierungen:

- Herbert Fritschs Grimmige Märchen (Schauspielhaus Zürich)
- Karin Henkels Beute Frauen Krieg (Schauspielhaus Zürich)
- Alexander Giesches White Out - Begegnungen am Ende der Welt (Luzerner Theater)

 

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