The end of the world as we know it - Corinne Maiers Jacob-Burckhardt-Jubiläumsprojekt in der Kaserne Basel
Gefangen im Performer-Iglu
von Elisabeth Maier
Basel, 2. Juni 2018. Sein schmales Profil mit dem eindringlichen Blick ziert die 1000-Franken-Note in der Schweiz. Aber wer hat schon so hohe Summen im Geldbeutel? Der Basler Jacob Burckhardt, Wegbereiter der Kulturgeschichte und wegen seiner demokratiefeindlichen Gesinnung umstrittener Geisteswissenschaftler, wäre am 25. Mai 200 Jahre alt. Mit spektakulären Projekten rückt die Universität Basel ihren berühmten Vordenker, der als viertes von sieben Kindern des Münsterpfarrers in der schweizerischen Grenzstadt aufwuchs, ins öffentliche Bewusstsein. Schüler wurden mit Burckhardts Zitaten konfrontiert, die sie auf Plakaten zu kommentieren hatten. Im Foyer des Kulturzentrums Kaserne bringt ein Audiostück mit Kopfhörer diesen Hintergrund des schwierigen Junggesellen zum Klingen. Auf der Bühne nimmt sich die Basler Regisseurin und Performerin Corinne Maier der widersprüchlichen Persönlichkeit an. "the end of the world as we know it" (Das Ende der Welt, wie wir sie kennen) heißt ihre kritische Auseinandersetzung mit dem rechtsextremen Schöngeist, dessen Werk oft undifferenziert rezipiert wird.
Bewährt und langweilig: die Selbstreflexion der Claqueure
Mit der gequälten Nabelschau eines Künstlerquartetts beginnt die Spurensuche. Für das Jubiläumsprojekt sind Fördergelder geflossen, und deshalb beschäftige man sich nun mit Jacob Burckhardt, "wie man das eben so im Stadttheater macht", wird Katharina Bill nicht müde zu betonen. Anne Haug sucht den Sinn in dem Auftragswerk, das für einen gewissen Zeitraum die Existenz der Gruppe sichert.
Wie also befreit man die komplexe Persönlichkeit dieses "alten, weißen Mannes" in Zeiten von Gender- und Diversity-Debatten aus dem Zitatenschatz? Das wissen die Spielerinnen und Spieler zunächst auch nicht so genau. Unglaublich eloquent und gewitzt sind die Performer. Sie bringen das Publikum herzhaft zum Lachen. Allerdings entgleitet der Abend dabei schnell in eine Selbstbespiegelung, die nun wahrlich nichts Neues bietet. Querverweise auf Martin Luther, "der doch auch mal vor 200 Jahren oder so…", mögen den einen oder anderen Lacher ernten. Das Niveau des Abends gewinnt dadurch nicht.
"Angstvolle Notexistenzen"
Aber nach dem schwachen Vorspiel gelingt den vier "Claqueuren", wie sie sich nennen, ein sehr gegenwärtiger Blick auf den verbiesterten Junggesellen und Vordenker Burckhardt gelingt. Seine menschenverachtenden, kriegstreiberischen Thesen schmerzen: "Der lange Friede bringt nicht nur Entnervung hervor, sondern er lässt das Entstehen einer Menge jämmerlicher, angstvoller Notexistenzen zu, welche ohne ihn nicht entständen und sich dann doch mit lautem Geschrei um 'Recht' irgendwie an das Dasein klammern, den wahren Kräften den Platz vorwegnehmen und die Luft verdicken, im Ganzen auch das Geblüt der Nation verunedeln. Der Krieg bringt wieder die wahren Kräfte zu Ehren." Dass solches derselbe Ästhet sagte, dessen Forschung über die Renaissance in der Kunstgeschichte bis heute viel gilt, arbeitet Lajos Talamonti mit einer Schärfe heraus, die überzeugt. Die ironischen Kommentare des Performers sitzen.
Eine tiefer gehende Beschäftigung mit Jacob Burckhardt bleibt Corinne Maiers Projekt trotzdem schuldig. An inhaltlichen Defiziten krankt ihr Ansatz. Zauberische Bilder machen diese Leere dennoch wett. Auf einer gigantischen Luftblase, die langsam vollgepumpt wird, verlieren sich die Spieler so lange, bis sie im Universum zu gleiten scheinen. Szenografin Martina Ehleiter führt aus Plastikfolie und grün-blauem Licht eine Welt auf, in der die Spieler ihren eigenen Zugang zu dem umstrittenen Wissenschaftler finden. Zu Bernhard la Dous' sphärischer Musik treiben und taumeln sie in der universellen Cloud. In Zeiten der Digitalisierung sind selbst Burckhardts komplexe Thesen als Facebook-Posts freigegeben.
Berit Jentzsch lässt die Spieler wie Puppen tanzen. Ihre Choreografie öffnet Horizonte. Einstudiert und rhythmisch bewegen sie sich in einem Kosmos, in dem alles Wissen seine Substanz verliert. Katharina Bills Erkenntnis, dass der europäische Mensch mit seinen hoch gehaltenen Bildungsansprüchen in der krisengeschüttelten Gegenwart zerfällt, trifft den Kern des Problems. Weil das Regieteam diese zentralen Fragen nicht zu Ende denkt, ist die Luft am Ende aber nicht nur aus dem aufblasbar-transparenten Performer-Iglu raus.
the end of the world as we know it
von Corinne Maier, Katharina Bill, Anne Haug, Oriana Schrage, Lajos Talamonti
Konzept und Regie: Corinne Maier, Konzept und Dramaturgie: Kris Merken, Konzeptmitarbeit: Valerie Hess, Szenografie: Martina Ehleiter, Sounddesign und Komposition: Bernhard la Dous, Choreografie: Berit Jentzsch.
Mit: Katharina Bill, Anne Haug, Oriana Schrage, Lajos Talamonti.
Spieldauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause
www.kaserne-basel.ch
Schön, dass Sie diesen Text gelesen haben
Unsere Kritiken sind für alle kostenlos. Aber Theaterkritik kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit Ihrem Beitrag, damit wir weiter für Sie schreiben können.
mehr nachtkritiken
meldungen >
- 28. März 2024 Berliner Theatertreffen: 3sat-Preis für Jenaer Arbeit
- 28. März 2024 Berlin/Bremen: Geschäftsführer Michael Helmbold verstorben
- 28. März 2024 Neues Präsidium für Deutsche Akademie der Darstellenden Künste
- 26. März 2024 Günther-Rühle-Preise vergeben
- 26. März 2024 Mülheimer Theatertage: Preisjurys berufen
- 26. März 2024 Theatertreffen der Jugend 2024: Auswahl steht fest
- 26. März 2024 Schauspieldirektor Maik Priebe verlässt Neustrelitz
- 25. März 2024 Dramatikerpreis für Correctiv-Autor:innen L. Lax und J. Peters
neueste kommentare >