Kuttners Hitlershow. "Am Tag, als Adolf Hitler starb" - Jürgen Kuttner tingelt mit einem glitzernden alten Hut ans Landestheater Linz
Verwurstende Verwurstungslogik
von Theresa Luise Gindlstrasser
Linz, 9. Juni 2018. Die Puppe Brecht wünscht "viele Erkenntnisse" und "viel Spaß". Black, Trommelwirbel, Spot: Die Drehbühne dreht sich, der Glitzervorhang glitzert, eine Show-Treppe steht rum – das ist der sogenannte "theatralische Teil" des Abends. Denn, "in der Show schaut das Theater zurück". Da wird sich das Publikum als gut gelauntes Show-Publikum performen sollen, damit wir nachher sagen: "Es war eine tolle Show".
Apropos "es", also "das Es", das Unbewusste und Ungewusste ist's, nach dem "Kuttners Hitlershow. Am Tag, als Adolf Hitler starb" in den untiefen Untiefen der massenmedialen Inszenierungen angelt.
"Hitler ist eine starke Marke"
Schon 2004 veranstaltete Jürgen Kuttner eine, nein, "die ultimative Show" unter dem Titel "Goodbye Adolf Hitler!". Damals an der Berliner Volksbühne, damals als Reaktion auf die Veröffentlichung des Oliver Hirschbiegel/Bernd Eichinger Films "Der Untergang". Diesmal, am Landestheater Linz, gibt's die Hitler-Show leider ohne "die wie immer ganz hinreißende Sophie Rois", wie Peter Laudenbach im Tagesspiegel damals schrieb. Aber: Mit der Puppenspielerin und Stimm-Verwursterin Suse Wächter, den Ensemble-Mitgliedern Corinna Mühle, Theresa Palfi, Robert Finster und Klaus Müller-Beck, mit Next-Topmodel-Challenge-schnellen Kostümwechseln und einer weiß-bejackten Show-Band. Conférencier Kuttners Sakko glitzert übrigens blau.
Pressetext und Conférencier bemühen eine Dringlichkeit der Themenwahl: "Seit mehreren Jahrzehnten sind die Medien von einer wahren Hitler-Inflation beherrscht". Ja eh, ließe sich einwenden, "seit mehreren Jahrzehnten", wieso jetzt und wieso hier einen Hitler-Voodoo-Exorzismus veranstalten? In Linz 2018 die Vermarktung, Verwurstung dieser medialen Figur – "Hitler ist eine starke Marke" – mit Theaterzauber austreiben? Egal. Monsieur Brecht hat "viel Spaß" gewünscht und der hält da bekanntlich was drauf und diesen Spaß, den haben wir auch. Abgesehen von ein wenig ungelenkem Deutschland-versus-Österreich-Geplänkel (der deutsche Theatermacher in der österreichischen Provinz) und den pflichtbewussten Córdoba-Verweisen (schon 40 Jahre her) gibt es schnell und viel und über zwei Stunden lang hervorragend wortgewitzte Nummern.
Gute Stimmung in der "Führerstadt"
Kuttner lobt das Publikum. Wir lachen, wann wir lachen sollen und klatschen, wie wir klatschen sollen. Gute Stimmung hier, in der "Führerstadt". Vielleicht sollten wir, das Premieren-Publikum einfach immer wieder kommen, dann wär's immer wieder eine tolle Show. So charmant, dieser Conférencier, da finden sich denn auch fünf Furchtlose und schauspielern "Der deutsche Mittagstisch", ein Kurzdrama von Thomas Bernhard aus dem Jahr 1988. Auch Auskunft über die Konstruktionsweise der Show gibt der groß gestikulierende Conférencier, er zeigt seine Wunde: Selbst "Kuttners Hitlershow. Am Tag, als Adolf Hitler starb" setzt voll auf Verwertungsmaschinerie, schlägt, wie 2004 schon einmal, Kapital aus der Popkulturalisierung einer historischen Person. Die Maschine soll heiß überlaufen, Kuttner nennt's "verwurstende Verwurstungslogik".
Eine Show in der Show, "Austrias next Stop-Model", läuft mit den Mitteln einer Show für das Ende der Show-Businessifizierung Adolf Hitlers an. Und wer ist "Austrias next Stop-Model" geworden? Die Haltung! Die Aussprache! Die Uniform! Steht eine rosa gekleidete Mini-Hitler-Puppe oben an der Show-Treppe und sagt: "Am Schönsten war das Shooting". Singt: "Da kann ma' machen was ma' will, da bin I her, da g'hör' I hin … I am from Austria". Später, und um den Voodoo-Weg-Zauber zu vervollständigen, ein Zitat der Show 2004: "Je eher, je eher du gehst, umso leichter, umso leichter wird's für mich".
Alle, alle treten sie auf: Juliane Werding, Heiner Müller, die Nachrichtensprechenden von ORF und NDR, Hitler als Baby, Sigmund Freud, Elfriede Jelinek, da wird gesungen und synchronisiert was das Zeug hergibt. Bei Udo Jürgens' "Tausend Jahre sind ein Tag" steht das Unbewusste, Ungewusste gleich im Titel. Damit komme ich zu meinem "viele Erkenntnisse": Voodoo Jürgens macht aus Udo Jürgens was Jürgen Kuttner aus Adolf Hitler macht. "Viel Spaß" und kein Ende der Geschichte.
Kuttners Hitlershow. "Am Tag, als Adolf Hitler starb"
von Jürgen Kuttner
Regie: Jürgen Kuttner, Bühne und Kostüme: Momme Röhrbein, Puppen: Suse Wächter, Musikalische Leitung: Gerald Landschützer, Dramaturgie: Wiebke Melle.
Mit: Corinna Mühle, Theresa Palfi, Suse Wächter, Robert Finster, Jürgen Kuttner, Klaus Müller-Beck.
Band: Josef Doblhofer, Wolfgang Bründlinger, Wolfgang Boukal, Gerald Landschützer, Ewald Zach.
Dauer: 2 Stunden und 15 Minuten, keine Pause
www.landestheater-linz.at
"Eine parodistische Revue quer durch den Gemüsegarten entglittener Vergangenheitsbewältigung" hat Philipp Wagenhofer für das Neue Volksblatt (11.6.2018) in Linz gesehen. Mit grandiosen Spieler*innen, Glitzervorhang, Videoeinspielungen, Sketchen, Episoden und Musiknummern. "Und immer wieder tauchen die großartigen Puppen samt Stimme von Suse Wächter auf". Das alles: "Zweieinhalb Stunden überbordende Satire."
Die Rezension in den Oberösterreichischen Nachrichten (11.6.2018) sieht sich mit dieser Revue vor die "Unterscheidung von deutscher Comedy und österreichischem Kabarett" gestellt: "Vor lauter Witz kommt der Schmäh kaum auf die Beine." Kuttner biete eine "Show, die sich anstrengt, Kult zu sein." Alles sei "unterhaltsam, chauvinistisch, manchmal wortpfiffig, aber es zieht vorbei, ohne Spuren zu hinterlassen". Die "glänzenden Momente zündet Suse Wächter". Wie sie ihre "Puppen führt, spricht und singt, offenbart eine rare Verschmelzung an diesem Abend: große Kunst und tolle Show".
Schön, dass Sie diesen Text gelesen haben
Unsere Kritiken sind für alle kostenlos. Aber Theaterkritik kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit Ihrem Beitrag, damit wir weiter für Sie schreiben können.
mehr nachtkritiken
- Kuttners Hitlershow. Linz: Bannzauber
- #1
- Oberösterreich
meldungen >
- 25. April 2024 Staatsoperette Dresden: Matthias Reichwald wird Leitender Regisseur
- 24. April 2024 Deutscher Tanzpreis 2024 für Sasha Waltz
- 24. April 2024 O.E.-Hasse-Preis 2024 an Antonia Siems
- 23. April 2024 Darmstadt: Neuer Leiter für Schauspielsparte
- 22. April 2024 Weimar: Intendanz-Trio leitet ab 2025 das Nationaltheater
- 22. April 2024 Jens Harzer wechselt 2025 nach Berlin
- 21. April 2024 Grabbe-Förderpreis an Henriette Seier
- 17. April 2024 Autor und Regisseur René Pollesch in Berlin beigesetzt
neueste kommentare >
-
My Little Antarctica, Berlin Grüße und Glückwunsch
-
Harzer nach Berlin Zunichte gemacht
-
Akins Traum, Köln Autor und sein Stoff
-
Leserkritik P*rn, Berlin
-
Staatsoperette Dresden Frage
-
My Little Antarctica, Berlin Gelungen
-
Essay Berliner Theaterlandschaft Vielen Dank!
-
Essay Berliner Theaterlandschaft Die raren absoluten Ausnahmen
-
Neue Leitung Darmstadt Lange Zusammenarbeit
-
Essay Berliner Theaterlandschaft Zwei andere Akzente
nachtkritikcharts
dertheaterpodcast
nachtkritikvorschau