Parcours durch die Geschichte

von Veronika Krenn

Wien, 13. Juli 2018. Die Theatertexte von Thomas Köck graben gerne in der Vergangenheit und suchen dabei die Zukunft, um über eine Zeit zu sinnieren, die unsere Gegenwart sein könnte, von der aber in einer zukünftigen Vergangenheitsform die Rede ist. Oder wie war das noch mal? Seine Texte sind – gespickt mit vielen Zitaten und Sprüngen zwischen Gegenwart und Historie – für viele schlicht eine Überforderung. Aber eine solche, die neugierig macht, einen im besten Fall hinter dem Ofen hervorzulocken und nachzuforschen vermag, welche Wissens-Flut einen hier gerade überwältigt. Und so lautet der Satz: "Don't get too comfortable", der einem im Erdgeschoß des Museums von den auf weiße Leinwände projizierten Zitaten in Erinnerung bleibt. Keine Gefahr!

"ghostdance" überflutet im kühlen, stylischen Ambiente des mumok-Museums, zwischen weißen Leinwandflächen, mit einer akustischen Seance des 20. Jahrhunderts. Diese hat Köck gemeinsam mit dem "Ja, Panik"- Sänger, Songwriter und Gitarristen Andreas Spechtl ausgeheckt, einem Mann, dessen Arbeit zwar musikalisch ist, aber inhaltlich in ähnlichem Terrain forscht.

Angstschreie nach dem Fliegeralarm

Spechtls bislang letztes Album "Thinking about tomorrow, and how to build it" kam im vergangenen Jahr heraus. Auch er liebt politische Texte. Wie Köck stellt er scharf auf Kapitalismuskritik und Wunden der Gegenwart. Übrigens, auch Köck kommt ursprünglich von der Musik, wiewohl er jetzt als Theaterautor Furore macht. Erst im Juni erhielt der aus Oberösterreich stammende, 32-jährige Autor für sein Stück "paradies spielen (abendland.ein abgesang)" den Mülheimer Dramatikerpreis. Die Jury lobte, wie hervorragend er große weltbewegende Themen mit konkretem menschlichen Erleben verbinde.

Im mumok steht Köck nun mit Spechtl am Soundpult, im zweiten Stock der Ausstellung "Doppelleben. Bildende Künstler_innen machen Musik". Dorthin wird das Publikum durch Fliegeralarm, gellende Schreie, die in wechselnden Nuancen zwischen Kinder-, Geburts-, Angst- und Schmerzschreien changieren, vom Erdgeschoß, wo die Aufführung mit einer Text- und Soundinstallation beginnt, nach oben gelockt.

ghostdance3 560 Emilia Milewska uIm Lichtmond: Andreas Specht und Thomas Köck am Mischpult und Mikrofon in "ghostdance" 
© Emilia Milewska

Die Leinwände der Ausstellung, auf denen zu Museumsöffnungszeiten schrille Musikvideos von Künstlern und Künstlerinnen laufen, sind oben nur noch weiße Flächen. Im Erdgeschoß, wo die Aufführung vor der Wanderung nach oben beginnt, ist im Ausstellungsbetrieb noch Yoko Onos gekreischtes "Voice Piece for Soprano" (1961) projiziert oder John Cages musikalischer "Water Walk" (1959), mit singendem Topf und Badewasser-Sound.

Propaganda-Instrument Magnetophon

Cage und andere musikalische Geister werden Köck und Spechtl auf ihrer Geisterbeschwörung und dem gleichzeitigen Ritt durch die Soundgeschichte zitieren. Auf den Leinwänden im Erdgeschoß sind Sätze projiziert wie "The future belongs to the ghost" und "Show a past – decipher a future" oder Stephen Hawkings "The laws of science do not distinguish between past & future". Nur in der hintersten Ecke des Raums läuft ein Video, das Geräte der Nasa zeigt, vom US-amerikanischen Astronomen Carl Sagan erzählt und ebenso von dem 1619 von Johannes Kepler veröffentlichten Buch "Harmonices mundi libri V" ("Fünf Bücher über die Harmonik der Welt"). Dieses Video ist ein kleiner Schlüssel zum Verständnis der Texte und Zitate, die in der Doppelconference durch Köck und Spechtl im zweiten Ausstellungsstock später aufgegriffen werden.

ghostdance4 560 Emilia Milewska uGeister- und Geschichtsbeschwörung von Thomas Köck und Andreas Spechtl © Emilia Milewska

Köck und Spechtl haben mittig im Raum ihre Soundpults bezogen, zwei Leinwände sind mit einem Lichtmond bestrahlt, in den die beiden abwechselnd treten, um ihren Kopf zu einem baumelnden Mikrophon zu recken. Eindringlich, aber über dem Sound akustisch teilweise schwer entzifferbar, sprechen sie. Sie erzählen von den "Nazi-Magnetophonen", einer Erfindung, die Soundaufzeichnungen für den Rundfunk in Deutschland revolutionierte. Diese waren nach dem Krieg auch unter den Alliierten, etwa in der US-Industrie, heiß begehrt. Der Sound der Vergangenheit war mit dieser Technologie, die in Nazi-Deutschland wichtigstes Propagandainstrument war, Zukunft geworden. "Was Musik hätte sein können, hat auch Geschichte ausgelöscht", ist eines der Zitate, die in "ghostdance" fallen.

Die Kraft des Abwesenden

Köck und Spechtl gehen mit den Gespenstern der Vergangenheit um. Jacques Derridas Werk "Marx' Gespenster" bildet dabei den Ausgangspunkt. Ein Buch, das sich auch mit "Hauntology" beschäftigt und davon erzählt, dass das Sein auch vom Abwesenden geprägt ist. Der britische Musiktheoretiker und Philosoph Mark Fisher greift den Begriff auf, um postmoderne Ästhetiken der Vintageloops zu erklären. Im Programmheft schreibt Köck: "Ohne es zu wollen, sind manche Geister schon zurückgekehrt, hässlich zombifizierte Mumien aus dem deutschen Grund und Boden".

Auf dem Weg eines musikalischen, philosophischen und historischen Parcours durch die Geschichte der Soundreproduktion verlieren Köck und Spechtl dann allerdings den ein oder anderen Zuschauer. Die Reihen lichten sich bis zum Ende der Aufführung. Das war wohl zum einen der – bei Köck zumindest schon fast pragmatisch zu nennenden – Überforderung des Publikums geschuldet. Aber das Fragmentarische passt eigentlich inhaltlich perfekt. Der Tanz der "Geister", die uns aus Vergangenheit und Gegenwart begleiten, ist nun einmal schwer greifbar. Ein wenig Anstrengung kann dabei nicht schaden. Und der Köder, den die beiden Performer auswerfen, gibt genug aus, um anzubeißen.

ghostdance
Uraufführung
Text & Musik: Andreas Spechtl & Thomas Köck.
Mit: Thomas Köck, Andreas Spechtl.
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause

www.impulstanz.com

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