Trendwende oder Eintagsfliege?

von Harald Raab

Mannheim, 2. August 2018. Deutschlands reichhaltige Theaterlandschaft ist als Weltkulturerbe angemeldet. Doch ohne zahlungs- und leidensbereite Städte und ein paar Landkreise gebe es wohl keine Chance für die Bühnen, von der UNESCO überhaupt in die Weltkulturerbe-Liste aufgenommen zu werden. Die Kommunen sind es auch, die die finanzielle und logistische Hauptlast tragen. Und zwar auf beiden Verantwortungsfeldern: dem Stemmen der jährlichen Betriebskosten und der immer dringlicher werdenden Frage: Wer bringt die Millionenbeträge auf, die laufende und dringend anstehende Sanierungsmaßnahmen für die oft maroden Häuser erforderlich machen? Wenn nicht gar ein Neubau unumgänglich wird. Hier geht es bei weitem nicht nur um historische, in der Regel weit über 100 Jahre alte Gebäude. Auch unter den nach dem Zweiten Weltkrieg erbauten Theatern gibt es inzwischen viele Sanierungsfälle.

Ist es also nur eine prachtvolle Eintagsfliege oder das Signal einer Trendwende? Der Bund wird sich mit 80 Millionen Euro an der Sanierung des Mannheimer Nationaltheaters beteiligen, geplante Gesamtkosten: 240 Millionen. So viel Geld hat es vom Bund noch nie für den Erhalt eines kommunalen Theaters gegeben. Wer Glück hat, bekommt einen Bundeszuschuss für Denkmalschutzmaßnahmen allerhöchstens in der Größenordnung von wenigen 100 000 Euro.

Sanierungsrückstau in den Kommunen

Kultur ist bekanntlich Ländersache. Da lassen sich die Landesfürsten nicht reinreden. Doch zeigen sie sich selbst in aller Regel knausrig, wenn Hilferufe aus Theaterstädten an sie herangetragen werden. Kultur ist halt keine Pflichtaufgabe. Sie wird nach Kassenlage entschieden. So summiert sich der Sanierungsrückstau der deutschen Kommunen auf dem Kultursektor inzwischen auf satte fünf Milliarden Euro. Ist eine Stadt Betreiberin eines Theaters, verschlingt dieses den größten Brocken im Kulturhaushalt. Eine anstehende Sanierung wird auf die lange Bank geschoben. Dies ist der Hauptgrund für den aufgestauten Investitionsbedarf in der Kulturinfrastruktur. Um Betriebskosten zu sparen, müssten die Theater auch längst selbst besser energetisch aufgerüstet sein, als dies tatsächlich der Fall ist. Von der Bühnentechnik ganz zu schweigen. Man wurschtelt vor sich hin, bis es halt nicht mehr geht und die Betriebserlaubnis für die Theater wegen mangelnder Sicherheit in Gefahr gerät.

Mannheim Nationaltheater 2014 Fassade Christian Kleiner uNationaltheater Mannheim  © Christian KleinerAus diesem Grund ist auch in Mannheim Handlungsbedarf entstanden. Die Betriebsgenehmigung läuft aus. Der momentane Sicherheitszustand hat keine Chance, auf eine Verlängerung der Erlaubnis zum Spielbetrieb hoffen zu können. Die Decken des Theaters, erbaut im Jahr 1957, sind durchgerostet. Es regnet rein. Der Bau wurde auf einem ehemaligen Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg errichtet. Im Zuschauerraum löst sich die Holzverkleidung der Wände ab.

"Wir haben doch keinen Goldesel"

Generalsanierung oder Neubau an einer anderen Stelle? Ein Abriss verbietet sich. Das Gebäude steht unter Denkmalschutz. Zum einen käme ein neues Theater viel teurer, zum anderen müsste man den alten Bau trotzdem sanieren und für ihn eine neue Nutzung finden. Da ist Generalsanierung noch die beste Lösung. Kosten 200 Millionen Euro plus 40 Millionen für Ausweichspielstätten und ein Zwischenlager. Vier Jahre Bauzeit sollen damit überbrückt werden. Der Mannheimer Gemeinderat hat jetzt dafür grünes Licht gegeben. Und das, obwohl die Finanzierung nicht im vollen Umfang gesichert ist.

Die risikoreiche Finanzplanung Mannheims, der Stadt mit der höchsten Pro-Kopf-Schuldenbelastung in Baden-Württemberg, sieht nun eine Drittel-Lösung vor. Ein Drittel kommt vom Bund, ein Drittel von der Stadt. Die fehlenden 80 Millionen soll das Land beisteuern. Doch der grüne Ministerpräsident im fernen Stuttgart hat die Hoffnungen der kurpfälzischen Metropole ganz im Norden des Ländles bereits einen Dämpfer verpasst. "Wir haben doch keinen Goldesel", raunzte der knorrige Landesvater. Er stehe aber zu seinem Versprechen, den Mannheimern unter die Arme zu greifen. Realistisch ist es, das aus der Landeshauptstadt 40 Millionen fließen könnten, wenn es hoch kommt, 50 Millionen.

Erfolg auf der Nachschiebeliste

Trotz allem wird Mannheim von allen deutschen Städten mit Theatersorgen nun beneidet. Wie war es möglich, dass die mittelgroße Stadt an Rhein und Neckar, knapp 300 000 Einwohner hat sie, von Berlin aus so großzügig bedacht wird?

Kurz Peter 280 EU Fred GuerdinEiner der Theaterbaumeister: Mannheimer Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD)  © EU, Fred GuerdinDem äußerst kulturaffinen Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD) gelang, Arm in Arm mit dem CDU-Bundestagsabgeordneten Nikolas Löbel ein Coup kommunaler Extraklasse. Sie verhandelten auch mit der Kulturstaatsministerin Monika Grütters, um sie in ihre Pläne einzuweihen. Die Staatsministerin hat zwar einen Etat von 1,67 Milliarden Euro. Doch Theater sind tabu für sie – Länderhoheit eben. Die Hauptstoßrichtung führte deshalb über das Parlament. Hier sammelten die Mannheimer in SPD und CDU Verbündete, die im Haushaltsausschuss ein bedeutendes Wort mitzureden haben. Der Haushaltsausschuss ist nämlich berechtigt, über eine eigene "Nachschiebeliste" den Entwurf der Bundesregierung zu korrigieren. Auf diesem Umweg können auch Kulturprojekte gefördert werden, die eigentlich Ländersache sind, beziehungsweise in Hoheitsbereich der Kommunen liegen. So geschah es. Ein voller Erfolg.

Urauffuehrung Die Raeuber 1782 280Theaterzettel zu Friedrich Schillers "Räuber" am 13. Januar 1782 in Mannheim uraufgeführtIm Bundeshaushalt sind bereits in diesem Jahr 3,4 Millionen Euro für die Planung der Nationaltheater-Sanierung eingestellt. Per bindender Verpflichtungserklärung fließen die weiteren Teilbeträge im ganzen Sanierungszeitraum von 2020 bis 2024, in jährlichen Raten. Der kluge Umweg der Mannheimer zu diesem exorbitanten Bundeszuschuss wird wahrscheinlich von anderen klammen Kommunen nun auch beschritten werden.

Doch nicht jede Stadt hat so gewichtige Argumente wie die Mannheimer. Das Nationaltheater mit Oper, Schauspiel, Ballett und Jugend- und Kindertheater ist die größte kommunale Bühne und obendrein das älteste Bürgertheater Deutschlands. Nicht zuletzt wurde im 1943 kriegszerstörten Vorgängerbau 1782 Schillers Revoluzzer-Stück "Die Räuber" gegen den Willen des württembergischen Herzogs uraufgeführt.

Nachahmung zu befürchten

Von historischen Reminiszenzen abgesehen – die spannende Frage dabei lautet aktuell: Wird der Bund wie bei der Bildungsförderung weiter mitspielen und den kommunalen Theatern eine Zukunftsperspektive eröffnen? Die Länder könnten dabei ihr Gesicht wahren und müssten ihre heilige Kuh Kulturhoheit nicht geschlachtet sehen.

Badisches Staatstheater Karlsruhe By Rainer Lueck http1RL.de CC BY SA 3.0 300 Mio Euro gesucht: Staatstheater Karlsruhe
© Rainer Lück http://1RL.de/ [CC BY-SA 3.0]
Nachahmungseffekte fürchtet auch die baden-württembergische Landesregierung und damit neue Begehrlichkeiten der Kommunen. Das Land hat zudem eigene Sanierungssorgen. Das Staatliche Stuttgarter Opernhaus und das Badische Staatstheater Karlsruhe müssen auf den neuesten Stand gebracht werden. In Stuttgart schlägt das mit 500 Millionen zu Buche, in Karlsruhe werden 300 Millionen gebraucht. Auch bei den jährlichen Betriebskostenzuschüssen ist sich das Land selbst näher als den Kommunen. Staatstheater erhalten wesentlich mehr Geld als kommunale Bühnen.

In Heidelberg blickt man mit Staunen, wahrscheinlich sogat Neid auf Mannheim. Obwohl Heidelberg die Heimat der baden-württembergischen Kulturministerin Theresia Bauer ist, kam zur Sanierung des Stadttheaters zwischen 2009 und 2012 kein müder Euro aus Stuttgart. Ein Drittel der 70 Millionen für das ambitionierte Theaterprojekt kam durch ein einmaliges bürgerschaftliches Engagement zusammen.

Kosten aus dem Ruder?

Trotz großzügiger Bundesförderung und immerhin wohl 40 Millionen des Landes, steht Mannheim nun vor einem Abenteuer. Es gab in der Vergangenheit in Deutschland so ziemlich keine Theatersanierung, respektive keinen Neubau, ohne die Dramatik von Kostensteigerungen.

Stuttgart Staatstheater 3 Oper 28 Schlaier CC BY SA 3.0 from Wikimedia Commons500 Mio Euro gesucht: Staatstheater Stuttgart, Opernhaus  © Wikimedia, Schlaier [CC BY SA 3.0] Dazu erklärt der Geschäftsführende Direktor des Deutschen Bühnenvereins, Marc Grandmontagne: Aus politischen Gründen würden die Kosten zu vorsichtig, sprich zu niedrig, kalkuliert. Bei den Ausschreibungen unterbieten sich die Baufirmen, um den lukrativen Auftrag zu ergattern. Bei der Ausführung werden Nachforderungen fällig. Grandmontagne: "Bei Schwierigkeiten beim Bauvorgang können daher unvorhergesehene Probleme nicht mehr aufgefangen werden. Der reguläre Puffer von zehn Prozent der Baukosten wird meist über die Bauzeit durch normale Kostensteigerungen aufgezehrt. Oft fehlt es auch an Rückstellungen der öffentlichen Hand für erforderliche Sanierungen. Wenn dann über Jahre nichts mehr investiert wird und gesetzliche Vorschriften, etwa beim Brandschutz, teure bauliche Eingriffe nach sich ziehen, laufen die Kosten aus dem Ruder."

Plädoyer für Bund-Länder-Pakt

Wie also könnte mittelfristig den deutschen kommunalen Theatern mehr Gerechtigkeit widerfahren? Mannheims Oberbürgermeister Peter Kurz ist gleichzeitig amtierender Präsident des baden-württembergischen Städtetags. Er plädiert für einen "Pakt Bund / Länder für Kultur: "Er käme Deutschland mit seiner Theaterlandschaft, die auch der Bund als kulturelles Welterbe sieht, ausgesprochen gut zu stehen." Die jährlich 47 Millionen Euro, die Baden-Württemberg den acht kommunalen und drei Landesbühnen für den laufenden Betrieb zur Verfügung stellt, wisse der Städtetag zu würdigen. Aber "die erforderlichen Bau- und Sanierungsmaßnahmen werden vom Land noch nicht als eigenes Thema gesehen", so Kurz. Das könne bei den Dimensionen der Maßnahmen, die bei einzelnen Häusern jeweils anstehen, "nicht befriedigen". Vorerst sei jedenfalls das Bundesengagement für das Nationaltheater eine "Einzelfallentscheidung". In Mannheim sei 1777 die Nationaltheateridee zum ersten Mal realisiert worden. Damit fungiere Mannheim quasi als Überbau über die gesamte deutsche Theaterlandschaft.

 

Raab Harald Meer 100Harald Raab betreibt ein Büro für journalistische Dienste, Kunst und Kommunikation in Mannheim. Er studierte Journalismus an der FU Berlin. Arbeit bei der regionalen Wochenzeitung "die WOCHE", zuletzt Chefredakteur. Freier Journalist seit 2005. Zu seinen Spezialgebieten gehören Schauspiel- und Tanz-Kritik, aber auch Kulturpolitik und andere politische Analysen. Er ist Autor von nachtkritik.de.

 

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