Die Perser - Bei den Salzburger Festspielen künden Ulrich Rasches Menschenchöre von der antiken Menschenschlacht bei Salamis
In der Kriegsmaschinerie
von Andrea Heinz
Salzburg, 18. August 2018. Natürlich verlassen wieder zahlreiche Zuschauer*innen die Vorstellung, das hat sich schon so eingebürgert bei den Festspielen. Mit Respekt vor den Künstler*innen ist es ja oft nicht so weit her. Dabei hätten die Spielerinnen und Spieler, die in Ulrich Rasches Inszenierung von Aischylos' "Die Perser" vier Stunden lang auf der Bühne des Salzburger Landestheaters standen, sich den mehr als verdient.
Und es ist ja auch nicht so, dass man nicht hätte wissen können, was einen hier erwartet. "Maschinentheater", das ist das Wort, das im Zusammenhang mit Rasche und seinem ganz speziellen Inszenierungs-Stil gerne gebraucht wird. Laut sind diese Inszenierungen, herausfordernd, anstrengend: im Gleichschritt, streng choreographiert, höchst formal. Aber was soll's – wer die Vorstellung vorzeitig verlassen hat, dem ist halt was entgangen.
Kriegsheere auf Drehscheiben
Das antike Drama erzählt von der Seeschlacht bei Salamis, in der das Heer der Perser 480 v. Chr. von den Griechen vernichtend geschlagen wurde. Das riesige Heer völlig zerrieben, weil sein Führer Xerxes es aus purer Selbstüberschätzung in einen unnötigen Krieg führte. Rasche, der auch für das Bühnenbild verantwortlich ist, hat zwei Drehbühnen ins Salzburger Landestheater gepflanzt. Man muss das so sagen. Es sieht fast aus, als wären zwei Ufos in dem neubarocken Haus gelandet.
Die eine der riesigen Scheiben zwängt sich in den Zuschauerraum, auf ihr warten der Chor des persischen Ältestenrates (Katja Bürkle und Valery Tscheplanowa) sowie Xerxes' Mutter Atossa (Patrycia Ziolkowska) auf Nachricht aus dem Feld. Eine weitere Scheibe befindet sich im hinteren Teil, auch sie dreht sich, aber sie rotiert auch noch Hydraulik-getrieben in alle Richtungen, stellt sich mal frontal wie ein Schild in Richtung Publikum auf, liegt dann wieder flach auf derselben Ebene wie die vordere Scheibe.
Während dort die Frauen und die Gegenwart herrschen, bevölkert die hintere Scheibe eine Horde junger Männer in knapper Kriegskluft, die wahlweise die Boten oder die Armee von Xerxes geben. Hier regieren die Geister der Vergangenheit und der Toten. Der Toten, die Xerxes auf dem Gewissen hat. Denn darauf läuft es hinaus: Aus Machtgier und Arroganz, wegen der "Bodenschätze" (die Textfassung von Durs Grünbein wird da deutlich) hat er Wohlstand, Sicherheit und Ordnung des Perserreiches mutwillig aufs Spiel gesetzt. Das wirft ihm der Ältestenrat vor, der zuvor natürlich auch selbst nicht vor Kriegstreiberei zurückschreckte.
Der Rhythmus des Daseins
Alles auf dieser Bühne ist in Bewegung. Das muss so sein, denn um der unaufhörlichen Drehung der Bodenscheiben zu trotzen und an einem Platz zu verbleiben, müssen die Spieler*innen stetig vorwärtsdrängen. Gäbe es ein besseres Bild für das Leben des Menschen auf der Erde und in einer Gesellschaft? Man muss mitmachen, man muss leben, auch wenn man mit den Bedingungen vielleicht nicht ganz einverstanden ist, und wer einfach stehenbleibt, der stolpert. Percussionistin Špela Mastnak gibt den Rhythmus vor, zu dem alles stampft, und die an- und abschwellende Klangkulisse der Live-Musiker*innen (am Eingang werden wegen der Lautstärke Ohrstöpsel verteilt), die exakt choreographierten Bewegungen auf der Bühne, alles vermischt sich zu einer einzigen sinnlichen Überwältigung.
Der Mensch als kleines Rädchen in der Maschine des Lebens, so in etwa könnte man das vielleicht zusammenfassen. Ein kleines Menschlein in der großen Masse, ausgesetzt den Parolen, Stimmungen und Emotionen, dem Sog der Menge. Natürlich ist das politisch. Sorgsam wird hier gesprochen, die (sensationellen!) Schauspieler*innen wägen jedes Wort, sprechen es achtsam aus, so dass wieder zu erkennen ist, was für eine Wucht so ein gesprochenes Wort haben kann, was für eine Macht. Aber eben auch, was für eine Gefahr in so einem gesprochenen Wort steckt.
Es fallen einem da die Menschen ein, denen man dieser Tage etwa im Biergarten begegnet, Menschen, die jene Phrasen dreschen, die tags zuvor bestimmte Politiker im Fernsehen vorgesagt haben, irgendwas mit Heimat und Grenzen. Ohne Sinn und Verstand lässt sich das nachplappern, auch das liegt in der Macht von Sprache und Gemeinschaft. Man ist bei einem solchen Stück natürlich ganz schnell in der Gegenwart, auch im 21. Jahrhundert lassen sich Menschen ja noch von Stimmungen, Machtgier und Hochmut dazu hinreißen, mühsam Erkämpftes, Kostbares aufs Spiel zu setzen. Demokratie zum Beispiel.
Eindringliche Momente gibt es viele an diesem Abend, aber ein paar prägen sich besonders ein: Da sind jene, in denen die Figuren einander an der Hand fassen, wo es sonst kaum Berührung oder Interaktion gibt in dieser Inszenierung. In diesen Berührungen, genau wie in den Gesichtern der Spieler*innen, erkennt man, dass hinter all dem Gleichschritt Menschen stecken. Und dass ein Ausbrechen aus der Ordnung der Gleichförmigkeit möglich ist. Dass es Pflicht ist, daran erinnert der Schluss: In endloser Wiederholung mahnen die Toten die Lebenden, dafür zu sorgen, dass ihr Schicksal sich nicht wiederholt.
Die Perser
von Aischylos
Übersetzung von Durs Grünbein
Regie und Bühne: Ulrich Rasche, Chorleitung und Mitarbeit Regie: Toni Jessen, Jürgen Lehmann, Mitarbeit Bühne: Sabine Mäder, Komposition: Ari Benjamin Meyers, Mitarbeit Komposition und musikalische Leitung: Nico van Wersch, Kostüme: Sara Schwartz, Licht: Johan Delaere, Ton: Bernhard Klein, Video: Philip Bußmann, Dramaturgie: Marion Tiedtke.
Mit: Katja Bürkle, Valery Tscheplanowa, Patrycia Ziolkowska, Max Bretschneider, David Campling, Torsten Flassig, Pascal Groß, Harald Horváth, Toni Jessen, Max Koch, Julian Benedikt Melcher, Sam Michelson, Johannes Nussbaum, Justus Pfankuch, Samuel Simon, Yannik Stöbener, Alexander Vaassen, Andreas Vögler und andere.
Sänger: Guillaume François, Arturas Miknaitis, Marimba und Vibraphon: Katelyn King, Bass: Thomsen Merkel, Percussion: Špela Mastnak, Bratsche: Maria del Mar Mendivil Colom, Elektronik: Nico van Wersch.
Dauer: 4 Stunden, eine Pause
www.salzburgerfestspiele.at
www.schauspielfrankfurt.de
Ulrich Rasche setze auf Emotion, nicht auf Intellekt in seinem "monströsen Räderwerk des Krieges" als das er das Stück inszeniere, so Egbert Tholl in der Süddeutschen Zeitung (20.8.2018). "Vielleicht hat er deshalb momentan diesen Erfolg, weil viele Theatergänger das (postdramatische) Denken satt haben und wegen großer Gefühle und Pathos ins Theater gehen wollen." Rasches Theater bewege sich dabei auf einem schmalen Grat, so Tholl. "Wenn der Schock wirkt, dann kann man dem Regisseur seine desillusionierte Sicht auf die Welt glauben (...) Lässt man sich nicht überrumpeln, überwältigen, dann bleibt nichts." Wenn man das perfekte Sprachmedium für Rasches Theater suche, dann wird man bei Tscheplanowa fündig, "den beiden anderen scheint Rasches Tempo, die schier unendliche, bedeutungsschwangere Verlangsamung, eher fremd." Physisch sei man zur Pause durchgenudelt, "dann folgt die beste Szene von Aischylos, der Auftritt des Geists des Dareios." Danach aber rollen die Worte von Durs Grünbeins toller Übersetzung nur noch fahl über die Drehscheiben." Fazit: "Die im Publikum, die aushielten, und das sind die meisten, sind danach begeistert. Rasche-Theater wirkt zuverlässig."
Zur Schlachtbeschreibung marschieren die Brüder auf, mit schweißnackten Oberkörpern wie Galeerensklaven, holt Simon Strauss in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (20.8.208) aus. "Masse und Macht eskalierend in Szene gesetzt. Gegenüber dem verzögerten, jede Silbe auskostenden chorischen Sprechen verliert das Wort des Einzelnen dann jedoch deutlich an Wert." Bei aller Hochachtung vorm Drang zum Gesamtkunstwerk, bei aller Erleichterung auch, dass hier endlich einmal jemand wieder das ästhetische Argument auf die Bühne zurückhole, will man doch fragen, so Strauss, was wäre, wenn sich die Solisten im entscheidenden Moment vom Chor emanzipieren würden? Der Kritiker ist dem Regisseur aber bestens gesonnen: "Seine Inszenierungen zeichnen sich durch Kompromisslosigkeit aus, streng choreographierte Körperbewegungen, andauernde musikalische Untermalung und genauer Textvortrag werden so aufeinander bezogen, dass ein archaischer Sog entsteht." Keine Frage, Rasche fülle eine Lücke; er sei das Gegenteil eines Vermittlers, denn er hole seine Zuschauer nicht dort ab, wo sie stehen, sondern zeigt ihnen, wie weit sie laufen müssen, um dort anzukommen, wo sein Stück spiele.
Ulrich Rasche inszeniere diese Ur-Tragödie des Aischylos meisterhaft, mit viel Sinn für Text, Choreografie und Musik“, schreibt Norbert Mayer in der Presse (20.8.2018). In dem "Mahlwerk der Geschichte brillieren die drei Frauen als Chorführer, Königin und Geist des Dareios". Ganz nah kommen der deutsche Regisseur und sein Team dem überwältigenden Text, "fast jeder dieser sorgfältig auf den strengen Rhythmus abgestimmten, eindringlich langsam, mit heiligem Ernst artikulierten Sätze sitzt". Man sehe erbarmungswürdigen Gestalten schwanken über die ewig sich drehende Scheibe, schließlich wie Schatten im Gegenlicht. "Sprechtheater? Ein Gesamtkunstwerk!"
Jede Silbe werde gedehnt und gestreckt, gezischt und gebrüllt. In einem an- und abschwillenden Rhythmus, der sich mit Wucht in Mark und Bein bohrt, schreibt Stephan Hilpold im Standard (20.8.2018). Rasches originärer Stil stehe für sich selbst und setze dem ironiesatten Ton der heutigen Bühnen einen Kontrapunkt entgegensetzt. Und Schluss gebe es dann noch "ein großartiges Ende für einen richtig großen Abend".
Jede Silbe wird gedehnt und gestreckt, gezischt und gebrüllt. In einem Rhythmus, der an- und abschwillt und der sich mit solcher Wucht in Mark und Bein bohrt, als säße man nicht in einem Theater sondern bewege sich zu den Beats eines Raves. - derstandard.at/2000085615804/Triumph-in-Salzburg-Die-Perser
Einen "unheimlichen Sog" verspürte Christoph Leibold von Deutschlandfunk Kultur (18.8.2018) in Rasches Inszenierung. Rasche deute "Die Perser" als "eine Art Menetekel" für die Bedrohung der Demokratie. Vor dem Hintergrund heutiger autokratischer Machtergreifung erscheine die Inszenierung wie ein "Exorzismus", der die "Ungeister hervorbeschwört, um sie gleichzeitig zu bannen". Viel Lob fällt auf die Chorarbeit und die "tollen" Darsteller*innen Bürkle, Tscheplanowa und Ziolkowska für ihren "Mut zum Pathos, zur Emphase, ohne dass das Pathos trieft".
Bernd Noack schreibt in der Neuen Zürcher Zeitung (online 20.8.2018): Rasche dehne die wenigen Seiten des Textes auf vier Stunden, "in denen er seine Schauspieler und das Publikum nach altbekannter Art drillt". Seine Masche: "Theater, das in seiner martialischen Art durchaus gefangen nehmen kann, das gleichzeitig aber auch überrumpelt mit Maschinen-Brimborium und in dem die Sprache nicht mehr ernst, nur noch als Sound-Grundlage genommen und strapaziert wird". Die Sprache gehe letztlich im "permanent rumorenden, vibrierenden, wummernden Klangbrei" unter. Katja Bürkle, Valery Tscheplanowa und Patrycia Ziolkowska, müssten im Rhythmus der rotierenden Scheibe ihren schlichten Text "in Silben nervig dehnen und geräuschvoll überbetonen", als deklamierten sie konkrete Lyrik, die vor lauter Wehklang des Sinnes verlustig gegangen ist. Diese "aufgepfropfte Ästhetik des melodischen Leidens" schwappe schwer "ins Düster-Erhabene, in den schwülen Kitsch hinein".
Uwe Mattheis schreibt in der taz (22.8.2018): Hier bänden "Rotation und Hydraulik" das Theater an die "Relikte des Maschinenzeitalters". Theater sei "ein Arbeitsprozess", der "Licht, die Abwärme der Körper und die Schallwellen des Sprechens und der Musik" absondere. Das Theater selbst sei Musik. Statt "innere und äußere Bilder" zu evozieren, nehme dieses "Wortmühlentheater" die "von ihm geriebenen Partikel" in ihren "musikalischen Qualitäten" wahr, das treibe die Sinnsuche weiter, als "Hermeneutik mit dem Wiederfinden des eigenen Vorurteils in der Textvorlage" es je vermocht habe. "Wie reagieren Körper, wenn Sätze sie durchdringen, die weit über Alltagserfahrungen hinausführen?" Pathos werde im musikalischen Kontext "wieder sprechbar, vielleicht sogar, ohne es zu affirmieren". Doch berge Rasches "Wiedergeburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik" auch Gefahren. Sie neige dazu, "die Ungeheuerlichkeit, die sie hinter den Buchstaben gerade entdeckt hat, im Gesamtsound der begleitenden Minimal-Music-Combo wieder zu ersäufen".
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(Vielen Dank, lieber Johann Engelbert! Der Fehler ist korrigiert. Mit freundlichen Grüßen, Christian Rakow / Redaktion)
Hinterher sehe ich es zwiespältig: einerseits war es tatächlich überältigend, andererseits jedoch genau daraufhin ausgelegt. Die Überwältigung war kein Ergebnis der Aufführung, sondern das Mittel, das eingesetzt wurde. Event-Theater, sozusagen. Ich bin mir teilweise vorgekommen wie im Musical, wo man ähnlich vorgeht.
Davor habe ich die "Salomé" in der Felsenreitschule gesehen. Kein Vergleich! An Grigorians Performance und viele Bilder von Castellucci werde ich noch denken, wenn ich die "Perser" schon vergessen haben werde.
Ulrich Rasche polarisiert. Bei der Nennung seines Namens winken viele ab und verdrehen die Augen. Nach zwei Theatertreffen-Einladungen in Folge mit den bereits erwähnten „Räubern“ (2016) und „Woyzeck“ aus Basel werfen ihm seine Kritiker*innen vor, dass er dieselbe erfolgreiche Idee immer wieder durchexerziert: schwer atmende, schweißtriefende, halbnackte, an Drehscheiben festgekettete junge Männer keuchen und brüllen sich durch Textwüsten, während die Trommelfelle der Besucher*innen einem Dauertremolo ausgesetzt sind.
Dieses bekannte Prinzip erleben wir auch in „Die Perser“, dem ältesten erhaltenen Drama der Literaturgeschichte von Aischylos aus dem Jahr 472 v. Christus. Rasches Regiestil passt jedoch perfekt zu dieser Vorlage. Das Stück ist eine auch heute höchstrelevante Anklage gegen „toxische Männlichkeit“, die ohne Rücksicht auf Verluste zu Gewalt aufstachelt und wie eine Dampfwalze über alles hinwegpflügt, was sich ihr in den Weg stellt.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2018/09/30/die-perser-ulrich-rasche-salzburg-frankfurt-theater-kritik/