Hört, hört! Die Bauhaus-Protokolle. Der große Streit von Weimar - Suse Wächter gibt beim Kunstfest Weimar eine Kunst-Geschichtsstunde mit Puppenpolitikern und Sigmund Freud
Blockföten im Pappparlament
von Tobias Prüwer
Weimar, 28. August 2018. Alkoholausschank im Varieté hat einen verdammt guten Grund. Dadurch wird das Publikum gelassen-ausgelassen. Man will schließlich bespaßen und animieren, da ist Alkohol ein guter Katalysator. Auch um die Grenze des Erträglichen zu erhöhen. Im E-Werk Weimar verzichtet Regisseurin Suse Wächter auf dieses Mittel. Und gestaltet ihre Uraufführung von "Hört, hört!" im Rahmen des Kunstfestes Weimar rund um die Bauhaus-Landtagsdebatte von anno dazumal als nüchterne und ernüchternde Mitmach-Revue.
Politik mit Zipfelmütze
Drei Klappmaul-Gartenzwergenpuppen mit Zipfelmüze sprechen die Reden von 1923 im Landtag in verteilten Politikerrollen nach. Es wird im Thüringer Parlament um das Schicksal des Bauhauses in Weimar gestritten. Weil sich diese Grundkonzeption trotz viel Lokalkolorit ein bisschen dürftig ansieht, soll die Inszenierung zugleich eine "Hommage an die legendären Bauhaus-Abende sein". Diese nennt das Programmheft "verrückt-entrückt". Also nimmt das Publikum in einer Art Salon auf zumeist unbequemer Stoffhockerbestuhlung in Leopard- und Säule-Antik-Optik Platz. Man gehöre jetzt zu den Bauhausschülern, ist zu erfahren. Auf zwei gegenüberliegenden Podien spielen zwei Darsteller und drei Figurenführerinnen und laufen immer wieder auch hin und her.
Timing und Dramaturgie fehlen, falsche Einsätze und ein zwischenzeitlich "Ähs" stammelnder Conferencier (Pascal Lalo) bestimmen den Abend. Zuerst wird die Bedeutung des Bauhauses verdeutlicht, was merkwürdig ist, da man doch zu den Schülern zählen soll. Schrullige Auftritte einer Else Lasker-Schüler mit Blockflöte und Teezeremonie, Goethe-Aufsagereien und die Foto-Idylle vor des Geheimrats Gartenhaus ziehen die Revue in die Länge. Immerhin stören die kurzen gesungenen Choreinlagen nicht.
Der eigentlichen Landtagsdebatte über die Zukunft des Bauhauses – es muss 1925 tatsächlich Weimar verlassen – kann man kaum folgen. Denn es ist vor allem eine Haushaltsdebatte mit Diskussionen von Zahlen und Rechtsformen. Das Publikum wird mit Pappschildern zu Einwürfen, Applaus und Buhs animiert. Kann man machen. Aber die Regie muss sich die Frage gefallen lassen, ob das reicht angesichts der Tatsache, dass in deutschen Parlamenten heute wieder ein Kulturkampf tobt und Politiker in die Kunstfreiheit eingreifen wollen.
Punkt für Dessau
Nach zwei Stunden scheint das Ende nahe, doch es ist nur die Pause. Danach ändert sich am Konzept nichts. Bruchlos geht es mit der Scharadedarstellung von Paul Klees Lieblingsrezept weiter, werden in noch einmal 45 Minuten Szenen lose aneinandergefädelt. Etwas Kurzweil schaffen lediglich die zahlreichen Figurentheatereinlagen. Die Spielerinnen Suse Wächter, Ulrike Langenbein und Veronika Thieme führen die Gliederpuppen sehr exakt und holen manche Schrulle aus Henry Ford, den Politikern und Sigmund Freund heraus. Wenn sich der Bauhaushasser Emil Herfurth in Rage steigert und auf dem Pult herumhampelt wie auf einem Fitnesslaufband, ist das großes Figurentheater.
Ausgerechnet die kleine Form reißt es in dieser Inszenierung heraus, auch weil die Figurentheaterszenen in sich ernst genommen werden. Das ist im Sprechtheater ja häufig nicht der Fall, wenn Puppen als Staffage herhalten. Doch auch hier zeigt sich ein Wermutstropfen: In der Raummitte schwebt den ganzen Abend über eine verheißungsvolle Marionette aus Oskar Schlemmers Bauhausfigurentheater "Die Abenteuer des kleinen Buckligen". Das Stückfragment führte man am Theater Dessau vor drei Jahren versuchsweise auf. In Weimar bleibt die Marionette unberührt. Auch an dieser Stelle in der Bauhausdebatte: Punkt für Dessau.
Am lustigsten sind die Szenen mit der Sigmund-Freud-Puppe, auch wenn man nicht versteht, was seine Couch in Weimar macht. Aber er darf über Architektur und moderne Kunst plaudern und auch mal das Bein seiner Spielerin streicheln. Klar ist es dankbar, wenn er über Häuser, Löcher und ihre Analogien zu Frauenkörpern plappert und anderes Pseudo-Psycho-Gebrabbel von sich gibt. Mit solchem, zumal als akademisch kaschiertem Nonsens kann man nichts falsch machen. Aber immerhin erzeugt der analysierende Couchsurfer ehrliche Lacher. Und er bezeugt eine Wahrheit, als es ihn ob all der Kunst nach Alkohol verlangt.
Hört, hört! Die Bauhaus-Protokolle – der große Streit von Weimar
von Suse Wächter
Uraufführung
Konzeption: Suse Wächter & Janek Müller, Regie & Puppenbau: Suse Wächter, Bühne: Constanze Kümmel, Musik: Vincent Hammel, Dramaturgie: Janek Müller, Peter Schütz, Thomas Martin.
Mit: Bauhauskapelle "Vincent Hammel", Foxy Chor, Pascal Lalo, Sachiko Hara, Ulrike Langenbein, Veronika Thieme und Suse Wächter.
Dauer: 2 Stunden 45 Minuten, eine Pause
Im Rahmen des Kunstfest Weimar
www.kunstfest-weimar.de
"Im Kern glänzend angelegt sowie von Suse Wächter, Veronika Thieme und Ulrike Langenbein gespielt und geführt" falle der "dramaturgisch überfrachtete und ungeschickt gebaute Abend" aber dann auseinander, schreibt Michael Helbing in der Thüringer Allgemeinen (30.8.2018) – "zumal er zur Premiere sicht- und hörbar nicht aufführungsreif war".
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Dr. Emil Herfurth schäumte vor Wut. Der Gymnasiallehrer aus Weimar stemmte sich vehement gegen den Aufbruch in die Moderne. Vom Rednerpult des Thüringischen Landtags wetterte der DNVP-Abgeordnete, der sich später auch in der NSDAP engagierte und nach 1945 aus dem Schuldienst entlassen wurde, gegen Impressionismus, Expressionismus und alle weiteren Stilrichtungen, die in seinen Augen nichts weiter als Verirrungen und untragbare Abweichungen vom Edlen, Schönen, Wahren und Guten waren, das er als Stadtrat und Abgeordneter der Klassikerstadt Weimar pflegen wollte.
Sein Lieblingsfeind war Walter GropiusWir Zuhörer müssen uns ernsthaft Sorgen um Blutdruck und Wohlbefinden von Dr. Herfurth machen: ein ums andere Mal steigt er zum Rednerpult und prangert – sattelfest in Fakten und Zahlenkolonnen – die Verschwendung von Steuergeldern am Bauhaus Weimar an. Seine größte Schmach: er konnte 1922 nicht verhindern, dass die Mehrheit des Landtags eine große Bauhaus-Ausstellung rund um das Musterhaus Am Horn unterstützte.
Leider beließen es Suse Wächter und ihre Mitstreiter nicht bei diesem Plot. Statt der ursprünglich angekündigten 1h45 Minuten blähten sie den Abend auf 2h45 Minuten inklusive Pause auf. Das revuehafte Beiwerk ist fade, da muss ich Tobias Prüwer leider zustimmen.
Insgesamt fand ich den Abend aber durchaus unterhaltsam und nicht so nüchtern/ernüchternd, wie in der Nachtkritik beschrieben.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2018/08/30/hoert-hoert-die-bauhausprotokolle-kunstfest-weimar-kritik/