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Streit um Erdogan-Statue auf Wiesbadener Biennale

Sicherheit gefährdet

Wiesbaden, 29. August 2018. Nach Auseinandersetzungen um eine vier Meter hohe, vergoldete Statue des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan hat die Stadt Wiesbaden den Abbau der temporären Statue veranlasst. Das meldet die Hessenschau. Die Statue, die Erdogan mit ausgestrecktem Arm und Zeigefinger zeigt, war im Rahmen der Wiesbadener Biennale am späten Montagabend (27.8.2018) errichtet worden, um "über Erdogan zu diskutieren", wie Staatstheater-Intendant Uwe Eric Laufenberg dem Wiesbadener Kurier erläuterte. Das vom Staatstheater veranstaltete Festival steht dieses Jahr unter dem Motto "Bad News" (Schlechte Neuigkeiten).

Wiesbaden Erdoganstatue 280 Jeva Griskjane uWiesbadener Erdogan-Statue © Jeva GriskjaneLaut Hessenschau hätten sich es nach Errichtung der rund zwei Tonnen schweren Erdogan-Statue bis zu 300 Schaulustige eingefunden. Es habe Auseinandersetzungen gegeben, Äpfel und Eier seien geflogen; die Statue sei beschmiert worden. "Einige Einheimische waren der Meinung, die Statue des umstrittenen Politikers habe in Wiesbaden nichts verloren. Viele türkischstämmige Erdogan-Anhänger sahen den Präsidenten verunglimpft. Seine Gegner, darunter viele Kurden, sahen ihn glorifiziert."

Der temporäre Aufbau der Statue war von der Stadt für maximal drei Monate genehmigt worden. Es habe sich nun aber "abgezeichnet, dass vor allem kurdische Protestierende aus dem gesamten Bundesgebiet anreisen würden", habe ein Stadtsprecher am heutigen Mittwoch erklärt. Um einem "massiven Polizeieinsatz" vorzubeugen, habe man den Abbau der Statue aufgrund von Sicherheitsbedenken angeordnet.

Die zurückhaltenden Reaktionen von Uwe-Eric Laufenberg und von Maria Magdalena Ludewig und Martin Hammer, den beiden Kurator*innen der Biennale ("viele Leute mit gegensätzlichen Meinungen haben miteinander diskutiert, wie es in der Türkei nicht möglich ist", "wir waren über den abendlichen Abbau der Statue überrascht") finden sich hier.

(hessenschau.de / wiesbadener-kurier.de / zdf.de / chr)

 

Presseschau

Der Leiter der Bundeskunsthalle Bonn Rein Wolfs findet auf Deutschlandfunk Kultur (online 29.8.2018) die Stadt "hätte anders mit den Emotionen um die Aktion umgehen" und "ein bisschen länger aushalten" müssen. Außerdem hätte sie "ein bisschen öffentlicher diskutieren müssen". Die Statue jetzt einfach abzubauen, sei "eigentlich nicht der demokratische Umgang, den wir normalerweise haben". Wenn es um ein öffentliches Projekt gehe, das mit öffentlichen Geldern finanziert worden sei, "dann sollte man auch die Diskussion öffentlich führen". Aber auch Städte, "die sehr souverän mit derartigen Problematiken umgehen konnten", gerieten zunehmend unter politischen Druck des Populismus. "Die Zeiten haben sich geändert. Der Umgang im politischen Betrieb ist härter geworden und man wird vorsichtiger.

Man brauche keine Statue des Erdogan, um über ihn zu diskutieren, schreibt Brigitte Werneburg in der taz (online 29.8.2018). Einziger Zweck der Installation sei es gewesen, "für Aufruhr zu sorgen". Von dem dann das Festival aufmerksamkeitstechnisch profitieren würde, wie von keinem einzigen Theaterstück seines Programmes. Man sei dieser "ewig gleichen Provinzpossen" so überdrüssig, endet Frau Werneburg.

Das Kalkül, mit "dieser Aktion tumultartige Aufregung" unter Menschen zu stiften, "die mit Kunst sonst eher fremdeln", sei aufgegangen, schreibt Till Briegleb in der Süddeutschen Zeitung (online 29.8.2018, 15:14 Uhr). Zwischen Kurden und Türken habe es "heiße Debatten" bis hin zu "Handgreiflichkeiten" gegeben. Doch habe Kunst wie diese nur "Sinn", wenn die "jetzt aufkeimende Diskussion weitergeführt" werde. Andernfalls bleibe der "goldene Erdoğan" ein "weiteres goldenes Kalb einer feixenden Kunstgemeinde", die "Lust an Provokationsshows" habe.

"Der Wiesbadener Intendant dürfte gewusst haben, welche "Sprengkraft das Aufstellen einer vergoldeten Statue Erdogans nahe einem Viertel mit vielen Bewohnern türkischer und kurdischer Herkunft haben würde, kommentiert holl. in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (30.8.2018). Doch die Kunstaktion sei "vorhersehbar" nach hinten losgegangen. Die "Aufregungskultur" in Deutschland berge auch in Wiesbaden "Gewaltpotential". Messer seien "vor dem Standbild gesichtet" worden. Man solle in Zukunft besser nachdenken.

Die FAZ beschäftigt die Erdogan-Statue offenbar nachhaltig. Matthias Alexander, Ressortleiter des Regionalteils, schreibt (online 30.8.2018, 13:14 Uhr), die Frage des Wiebadener OB, was diese Statue solle, sei völlig richtig gewesen. Nur seine Antwort ("Unfug") sei falsch. Weil es sich nämlich um "eine originelle sozialpsychologische Performance" gehandelt habe, die "die Verhältnisse zum Tanzen brachte". Wenn Erdogan-Anhänger und -Gegner vor diesem "deutungsoffenen" Kunstwerk die Fassung verloren hätten, habe dies nicht nur die innere Verfassung der Türkei treffend zum Ausdruck gebracht, "zumindest für das kunstgewohnte und ironieversessene Publikum der hiesigen Mehrheitsgesellschaft", sondern auch gezeigt, "wie fragil die innere Einheit in einer multikulturellen Gesellschaft längst geworden" sei. . Das Image der Kulturstadt Wiesbaden sei jedenfalls von der Aktion positiv beeinflusst worden.

 

 

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Kommentare  
Erdogan-Statue Wiesbaden: Schulterklopfen
Klar, hier können sich der Leiter einer Biennale und 2 Kuratorinnen auf die Schulter klopfen, weil sie das Ziel der Aktion, dass „über Erdogan diskutiert wird“, übererfüllt haben. Und sie haben damit sogar erfolgreich den Theatertempel verlassen und sind auf die Plätze und zu den Menschen gegangen.
Nur wenn die „Diskussion“ das einzige Ziel des Kunstwerks ist, würde ja die künstlerisch moderierte, sinnhafte Steuerung derselbigen auch Teil der zu leistenden Arbeit sein, oder? Aber man macht man es ähnlich wie das ZpS oder andere künstlerische Interventionisten im öffentlichen Raum: diese eher mühsame Arbeit, das unbedacht aber absichtsvoll Losgetretene zu kanalisieren, soll die Polizei oder Politik übernehmen. Und außerdem können sie ja wohl nichts dafür, wenn die sich versammelnde Masse das ganze nicht auf der meta-reflexiven Ebene diskutiert, sondern 1:1 auf den Diktator reagiert, ja? Das Publikum zu blöd für die Kunst? Würde sagen, die Menschen die dort leben, und die eine Nachhilfestunde in „Diskussion“ bekommen sollten, haben sich den öffentlichen Platz erfolgreich zurückerobert. Das entfernte Werk und die Festivalleitung zeugen hingegen mehr von Ignoranz und Arroganz als von Dialogfähigkeit und –bereitschaft.
Erdogan-Statue Wiesbaden: ZpS?
@ karin: Warum eine Statue? Wegen einer Statue? Beim ZpS hat sich meines Erachtens noch niemand wegen einer Statue versammelt.
Erdogan-Statue Wiesbaden: wie steuern?
@ karin: Meines Wissens stellen sich die Festivalmacher jeden Tag der Diskussion. Mangelnde Dialogbereitschaft kann man ihnen kaum vorwerfen. Kann trotzdem sein, dass man die ganze Aktion hätte besser moderieren können.
Wie würden Sie sich denn eine 'sinnhafte Steuerung' einer solchen Diskussion vorstellen?
Täte mich echt interessieren, schöne Grüße aus Wi
Erdogan-Statue Wiesbaden: die Falschen provoziert
Meine Frage: Wer wird mit der Aktion eigentlich provoziert ? - zum "Dialog" provoziert ? Ich denke die Falschen. Das sind wir, die wir durch unsere persönlichen Roots wirklich mit Erdogan was zu tun haben. Egal wie positioniert.
Im Kern ist das eine überhebliche Aktion, weil sie die bloßstellt und aufeinander loslässt, die bei diesem Thema sowieso schon stark emotionalisiert sind.
Erdogan-Statue in Wiesbaden: Gedanken
Was schreiben also die gängigen Medien? Es fallen Stichworte wie "Gewaltpotential", und "gesichtete Messer". Was ich mich frage, ist folgendes: Wenn diese Biennale schon Themen wie "German Angst", "Parallelgeselschaften" und "Hinterland" in ihr Programm setzt, warum wird diese Erdogan-Statue dann von den Medien nicht mit diesen Themen in einen Zusammenhang gebracht? Ist doch nicht schwer, das zu assoziieren. Diese Statue ist nicht echt, aber die Menschen sind echt. Warum dann diese vorgreifende Angst vor dem "Populismusdruck" von Seiten der Politik und der Medien? Auch irgendwie seltsam, dass ich anhand von ein paar Stichworten Heiner Müllers "Hamletmaschine" assoziiere. Die Stichworte dazu wären: "Aufstand", "Spaziergänge", "Denkmal" oder eben "Statue". Ja, warum wird diese Statue eigentlich nicht gestürzt? Weil sie eine Kunstaktion ist. Und ich würde auch nicht sagen, dass Menschen zu blöd sind, etwas als Kunst zu erkennen. Oder gab/gibt es am Standort in Wiesbaden keinen Hinweis darauf, dass es sich hier nicht um das "Sowjetische Ehrenmal" von Berlin handelt? Man muss ja nicht gleich dem sowjetischen Kommunismus huldigen, um sich zu fragen, warum dieser Erdogan auf dem Platz der deutschen Einheit in Wiesbaden steht.
Erdogan-Statue in Wiesbaden: bequemer
Der eigentliche Skandal ist doch, dass friedliche Kunst möglicherweise gewalttätigen Diskutanten weichen muss. Auf die Idee, dass die Kunst nichts dafür kann, wenn die Leute nicht vernünftig darüber reden können, kommt keiner. Potenziell aggressive Menschen kann man ja auch des Platzes verweisen. Stattdessen muss die Kunst weg, ist ja auch bequemer. Zensur findet eben doch statt.
Erdogan-Statue in Wiesbaden: feiger Künstler?
Kann man dem Künstler mal klarmachen, dass er sich ja zumindest mal dazu äussern könnte. Verstecken ist feige!
Erdogan-Statue in Wiesbaden: im Grabe
@#5: Dann müsste vielleicht jemand bei der Statue stehen und den Medien und Menschen allen ein Programmheft in die Hand drücken -> "Hier bitte nur zu 'German Angst'. 'Parallelgesellschaften' und 'Hinterland' assoziieren/sich provoziert fühlen!" ;)

Ob mit oder ohne Gebrauchsanweisung: Da würde sich Heiner Müller aber im Grabe umdrehen.
Erdogan-Statue Wiesbaden: spießig
Wiesbaden? War das nicht die Stadt, die sich 2012 noch stolz auf die Brust geschlagen hatte, als GEBURTSORT DES FLUXUS? Pünktlich zum 50.Jubiläum einer radikalen Kunstbewegung? Und jetzt kann da nicht mal mehr ne Erdogan-Statue aufm Platz rumstehen, ohne das die Stadtverwaltung "kalte Füsse" kriegt? Wie erbärmlich!! - Ich würde mal aus dem fernen Berlin sagen. Nicht "arm, aber sexy", sondern nur "reich, aber spießig". Vielleicht zur Wiedergutmachung einen kackenden Erdogan in Frank-Zappa-Pose auf der Toilette. Zu jeder halben Stunde die Klospülung, zu jeder vollen Stunde eine zerplatzende Stinkbombe. Natürlich als Dauerinstallation. Nur mal so als Tip. Die Gewerke von Laufenbergs Wiesbadener Staatstheater haben bestimmt noch Kapazitäten frei, damit das Ding dann auch keine zusätzlichen Steuergelder kostet.
Erdogan-Statue Wiesbaden: unsympathisch
@ #8: Nein, darauf kann man auch selbst kommen. Keine Kunst liefert ihre Erklärung gleich mit. Und ja, das ist möglich, wahrscheinlich hatte der Künstler nicht Heiner Müller im Sinn. Da gingen meine Assoziationen vielleicht zu weit.
Ich empfinde diese Statue als irgendwie unsympathisch, nur mal so, denn wer mir so patriarchal den Weg weist, den kann ich nicht ernst nehmen. Ich mag's lieber auf Augenhöhe.
Erdogan-Statue Wiesbaden: Treffsicherheit
@ #10 - Das mit dem Programmheft war ironisch gemeint. Ich wollte eigentlich sagen, dass die Kunst hier bestimmte Erklärungen will, aber viele andere losgetreten hat, die die ursprünglich intendierten marginalisieren.
Ich schreibe auch aus Berlin, sehe unsere "geliebte Hauptstadt" aber nicht als ästhetischen Nabel der deutschen Kunst-Szene ;9 -> insofern ist da der etwas überhebliche Ratschlag von #9 nicht passend. Von mir aus hätte man die Statue auch stehen lassen können. Die Frage ist doch inhaltlich: Diese Kunstaktion war einfach nicht gut. Die Metaphorik hat ein falsches Gravitationszentrum. Da wurde nicht nachgedacht. Da kann ich den Vorwurf von #04 sehr gut verstehen. Man könnte in Berlin Chemnitz auch gewisse Statuen (da kommt mir eine Menge in den Sinn) aufstellen, da würde auch einiges losgetreten werden - und wenn die dann wegmüssen, dann ist das auch keine Zensur. Ein Beispiel für mehr inhaltliche Treffsicherheit war in meinen Augen die Aleppo-Bus-Skultur in Dresden (später dann Berlin).
Erdogan-Statue Wiesbaden: Kessel Buntes
Viel "Theater"! Doch was für eines? Das Wort ist seit altesher dehnbar und bezeichnet damit auch den Rummel um den Abbau der kitschigen "Erdogan-Statue". Doch deckt der Begriff "Theater" auch noch die Errichtung dieses Bauwerks? Als "Performance"? Kaum, und jedenfalls nicht in der Art und Weise wie in Wiesbaden.
Die Biennale Wiesbaden brachte der frühere Intendant Manfred Beilharz nach seinem Wechsel von Bonn nach Wiesbaden 2004 als "Neue zeitgenössische Stücke aus Europa" dorthin. Inzwischen scheint daraus ein Kessel Buntes geworden zu sein. Man kann Herrn Laufenberg c.s. nur zurufen: "Schuster bleibt bei Eueren Leisten"!
Paul Tostorf
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