Leben in der Quantentheorie

von Dorothea Marcus und Esther Slevogt

Berlin / Dortmund, 15. September 2018. Vorspann von Esther Slevogt (Berlin): Es ist ein Experiment, das auf einer These beruht: Die global vernetzte und digitalisierte Welt hat die Bedeutung konkreter Räume ebenso relativiert wie unsere Anwesenheit darin. In Sekundenschnelle können wir Nachrichten teilen oder empfangen, das Geschehen an den Börsen in New York oder Tokio simultan verfolgen. Was aber bedeutet Vernetzung, Digitalisierung und Quantenphysik für das Theater, das immer noch als Ort gilt, in dem Menschen Raum und Zeit miteinander teilen? Lässt sich dieser Raum mit Hilfe digitaler Medien erweitern, in eine andere Stadt, ein anderes Theater zum Beispiel? Wie kann man erzählen, wenn die Kontinuität von Raum und Zeit aufgehoben ist?

Parallelwelt 19 560 Birgit Hupfeld uTheater im Splitscreen: Streicheln in Dortmund; ein Schrei in Berlin © Birgit Hupfeld

Kay Voges, dessen Theater Dortmund sich seit vielen Jahren mit Möglichkeiten und Folgen der Digitalisierung für das Theater auseinandersetzt, hat das versucht: eine Geschichte, zwei Ensembles, zwei Bühnen, eine Aufführung, die simultan an zwei Orten stattfindet: im Schauspiel Dortmund und im Berliner Ensemble. Das Geschehen am einen Ort wird per angemietetem Glasfaserkabel an den anderen übertragen. Die Zeit, die die Daten brauchen, um die Distanz zu durchmessen, beträgt etwa 0,3 Millisekunden. Nicht durchs Kabel sondern mit der Deutschen Bahn pendelte Regisseur Kay Voges beinahe täglich zwischen Ensembles und Probenorten in Dortmund und Berlin.

Die Premiere in den beiden Städten verfolgten die Nachtkritikerinnen: Dorothea Marcus (in Dortmund) und Esther Slevogt (in Berlin). Es sind zwei Perspektiven auf die Inszenierung mit 420,62 km Abstand dazwischen und vorab von der Redaktion gestellten Leitfragen.

1. Welche Geschichte wird erzählt?

Esther Slevogt (Berlin): Paradebeispiel für lineares Erzählen ist ja nichts weniger als das Leben selbst: Man wird geboren, lebt und eines Tages stirbt man wieder. Dieses Kontinuum hebt die Inszenierung auf: Im Berliner Ensemble wird auf der Bühne ein Kind geboren, während man auf der Leinwand in Dortmund einen alten Mann sterben sieht. In Berlin schreit die von Stefanie Eidt gespielte Gebärende live. Der Mann auf dem Sterbebett stöhnt und stirbt nur im Video. "Ich schaffe es nicht", sagen beide und meinen das Gebären ebenso wie das Sterben. Am Ende der ersten Szene ist beides geschafft.

Auf einem Splitscreen über der Bühne verläuft das parallel und überlebensgroß: das Geborenwerden und das Sterben. Beide Male handelt es sich um einen Menschen namens Fred. Im Verlauf des Abends sieht man auf der Bühne unter der Leinwand (wo auch das jeweilige Live-Geschehen filmisch noch einmal verdoppelt wird) in kleinen Szenen (und von unterschiedlichen Spielern verkörpert) dessen Leben von der Geburt bis zum Tod sich abspulen. (In Dortmund wird vom Tod bis zur Geburt erzählt.) Erst gibt eine Szene für die Kindheit – der Junge Fred auf der Schaukel, auf der Bank die noch jungen Eltern. In der nächsten Szene bezieht Fred als junger Mann eine eigene Wohnung und kriegt Besuch von seiner Freundin. Und so geht es weiter, bis er alt im Schaukelstuhl sitzt. Eine Jalousie spielt in allen Szenen eine wichtige Rolle: Da blickt der jeweilige Fred manchmal bedeutungsvoll hindurch, der immer Ahnungen mitspielt, irgendwo könnte noch eine weitere Version seiner selbst anzutreffen sein. Wenn das Kontinuum Raum-Zeit aufgehoben ist, ist auch das Individuum nicht mehr das, was es mal war.

Parallelwelt5 560 Birgit Hupfeld uLeben in Kopien: Sina Martens, Stephanie Eidt und Annika Meier im Berliner Ensemble
© Birgit Hupfeld

Dorothea Marcus (Dortmund): In Dortmund wird Freds Leben rückwärts erzählt: Wir sehen Uwe Schmieder auf dem Totenbett, seine Frau (Friedericke Tiefenbacher) beugt sich trauernd über ihn. Eine wie aus der Zeit gefallene Krankenschwester in tailliert-gestärkter Fantasieschürze und schicken weißen Pumps wacht empathisch am Tisch. Ästhetisierung trifft auf Pseudo-Brutalrealismus: Als Fred gestorben ist, wäscht ihm seine Frau sogar den Kot vom nackten Po. Dennoch erschlägt in Dortmund zunächst der Film das Theater: Allenfalls auf der Leinwand erscheint sie wie eine Sterbeszene. Auf der Dortmunder Bühne wirkt es grotesk und pietätlos, dass zwei Kameraleute direkt ins Gesicht des Sterbenden filmen und sich neben die Trauernde drängen.

Im Filmbild dagegen wirkt der Extremmoment kitschig und pathetisch überladen. Aber ums reale Leben von Fred geht es in "Die Parallelwelt" ohnehin nicht: Der Protagonist, der völlig eigenschaftslos bleibt, bietet nur den Prototyp eines Lebensverlaufs. Je mehr sich der Abend vom Stationendrama entfernt und zur philosophischen Betrachtung über Zeit, Raum und Form wird, desto egaler wird Fred. Im zweiten Bild verweigert Andreas Beck als Fred das Essen im Altersheim, im dritten wirft er als Xenia Snagowski den Weihnachtsbaum um und schenkt seiner Frau eine tote Katze, alptraumhafte Videobilder zucken zur Ehekrise.

2. Wo liegt der Schwerpunkt der Geschichte?

Dorothea Marcus (Dortmund): Die eigentliche, berührende Erzählung wird in einem zu Beginn und am Schluss auf die Leinwand projizierten, fließenden, flimmernden Video-Wasserkreis zusammengefasst: Die "Parallelwelt" erzählt vom Kreislauf des Lebens, davon, dass Tod und Leben nur zwei Erscheinungsformen einer Sache sind und Zeit und Raum nur menschliche Konstrukte. Und deshalb kann der Apfelbaum im Altersheim von Fred eine kleine Pflanze sein, während er als riesiger, früchtetragender Stamm im Kinderzimmer aufragt: eine frühere Erscheinungsform seiner selbst. Der alte Fred und das Kind Fred schaukeln im Takt. Später guckt der verliebte Fred, während er mit der neuen Freundin (Merle Wasmuth) ein Bild aufhängt, zur gleichzeitig neben ihm stehenden Braut (Bettina Lieder): Zukunft und Gegenwart, Anfang und Ende werden eins, es spielt keine Rolle, auf welchem Punkt des Kontinuums wir stehen.

Esther Slevogt (Berlin): Mit Hilfe von Bezügen zur Schöpfungsgeschichte (und der Gestaltung der Erde aus dem formlosen Tohuwabohu) und zur Physikgeschichte – von Heraklit ("alles fließt") über Isaak Newton bis zur Quantentheorie – geht es um eine szenische Illustration der These, dass auch das Leben nicht so linear verläuft, wie wir es erleben, dass in anderen Universen andere Versionen von uns existieren könnten. Eventuell sogar schon in Dortmund, wo ja die gleichen Figuren simultan von anderen Schauspielern gespielt werden. Doch schwappt die Beweisführung im Verlauf des Abends zunehmend ins New-Age-hafte, ins medial satt orchestrierte Semireligiöse, dass ich mich manchmal fühlte wie auf der Werbeveranstaltung einer religiösen Gruppierung, die mit Weltanschauung handelt und mir hier ihren Trailer präsentiert.

3. Inwieweit ragte das parallele Geschehen am jeweils anderen Ort in die Live-Bühnenwelt hinein?

Dorothea Marcus (Dortmund): In der Mitte, in der Hochzeitsszene, passiert es endlich: die Schauspieler triumphieren über die Filmbilder und interagieren. Nachdem sie über 420 km hinweg einträchtig "Stella Maris" der Einstürzenden Neubauten gesungen haben, jenes grandios pathetische Liebes- und Trennungslied vom Verpassen der Welt des anderen. Doch dann merken nahezu identische Bräute in identischen Kleidern mit identischen Verwandten, getraut vom identischen David-Lynch-Mystery Man am einzigartigsten Tag ihres Lebens auf einmal, dass sie nur die serielle Kopie einer Art Lebens-Zwangsvorstellung sind und blicken sich entsetzt an. Die Dortmunder Braut Bettina Lieder trägt das schnell mit Fassung ("Der Doppelspalt halt"), während sich die Berliner Braut in wütende philosophische Beweisführungen ihrer einzigartigen Körperlichkeit schraubt. Sehr komisch ist es, wie die beiden Fred-Bräutigame sich eine Currywurst-Battle zwischen Berlin und dem Ruhrgebiet liefern, sich kalauernd in die Bedeutungen des Worts "Vorstellung" hineinwitzeln. Schließlich, um endgültig Einzigkartigkeit zu beweisen, rennt Frank Genser ins Dortmunder Publikum – um in der dritten Reihe auch wieder nur mit einer Zwillings-Zuschauerkopie aus Berlin konfrontiert zu sein.

Parallelwelt 560 Hupfeld 9742a uBig Identitätstrouble für Bettina Lieder, Friederike Tiefenbacher, Andreas Beck, Merle Wasmuth (Dortmund) und Oliver Kraushaar, Annika Meier, Owen Peter Read (Berlin) © Birgit Hupfeld

Esther Slevogt (Berlin): Auf Freds Hochzeit wird also dem jeweiligen Fred und seiner Familie klar, dass es von ihnen allen Kopien gibt. Und jetzt bricht ein nicht ganz plausibler schriller Streit um die eigene Echtheit aus. Denn in Wahrheit sind sie ja alle echt, jede*r an seinem Ort. In Berlin schraubt sich Braut Annika Meier in hysterische, gelegentlich polleschhafte Wortkaskaden hinein und rebelliert gegen ihre Austauschbarkeit. In Dortmund fügt sich Braut Bettina Lieder in ihr Schicksal und hofft, zumindest die Akzeptanz ihrer Austauschbarkeit könnte in diesem Streit ein Alleinstellungsmerkmal sein. Bisher war die Bühne in vier Teile geteilt: über der Szene der Splitscreen, darunter zwei Analog-Bühnen, in deren einer Hälfte sich jeweils das Live-Geschehen abspielte und deren zweite Hälfte gazeverhangen zum Auftrittsort diverser Schemen und Geister wurde. Nun öffnet sich diese Bühnenhälfte ebenfalls fürs analoge Spiel. Doch daraus entsteht kein Mehrwert. Die Akteure in Dortmund und Berlin kommunizieren ja weiter über Bildschirm. Ein Problem ist auch, dass im eher klischeehaften Bilderbogenablauf bisher keine Figuren entstanden, deren Entsetzen über die eigene Klonexistenz hier nun irgendwie glaubhaft werden könnte. So kommt diese zentrale Szene über ein schrilles Komödiengetue nicht hinaus.

4. Macht die Inszenierung Sinn, oder ist das Ganze doch eher Digitalisierungs-Kokolores?

Dorothea Marcus (Dortmund): Vieles an diesem Abend ist philosophische Digitalisierungs-Spielerei und überbordendes, enzyklopisches Kokettieren mit Zitaten. Da wird der David Lynch-Film "Lost Highway" ins Regal verräumt, da wird Schrödingers tote Katze zu Weihnachten verschenkt, da winken emsige Riesen-Menschenameisen schemenhaft aus der Blue Box im viergeteilten Split Screen der Bühne. Da kann man dem Gegenpublikum auf der Leinwand zuwinken und nach Berliner Bekannten suchen, mit denen man am liebsten ein Bier trinken würde - und es eben doch nicht kann, da Raum und Zeit zwar geistige Konstrukte sein mögen, aber real eben doch nicht zu überwinden sind. Und doch hat die "Parallelwelt" etwas zutiefst Menschliches und Persönliches, rührt an gewaltigen letzten Fragen. Und ironisiert zugleich sehr witzig das menschliche Bedürfnis, sie sich immer wieder zu stellen.

Parallelwelt 18 560 Birgit Hupfeld uWer hat die beste Currywurst? Oliver Kraushaar (BE) und Andreas Beck (Dortmund) verhandeln Grundsatzfragen. An der Kamera im BE: Miriam Kolesnyk © Birgit Hupfeld

Esther Slevogt (Berlin): Die Inszenierung macht einfach schon deshalb Sinn, weil sie sich ganz praktisch und erlebbar mit diesen Fragen auseinandersetzt. Bereits das Publikum hat die Erweiterung des Raums via Vernetzung ja zum Beispiel sichtlich genossen: Am Anfang saß das Berliner Publikum real in seinem eigenen Zuschauerraum und blickt aufs via Video eingespielte Dortmunder Publikum. Man winkte sich zu, lachte, freute sich. Ich zum Beispiel sah meine Kollegin und Koautorin dieser Kritik hier – Dorothea Marcus – wie sie mir gerade eine SMS schrieb: "Wink doch mal! Ich sitze in Reihe 7!" Neue Formen können nur durch Experimentieren, durch konkretes Machen und Erfahrungssammeln entstehen.

5. Verlegt sich das Theater hier auf Erzählweisen, die andere Medien (Film, Computerspiele) doch besser realisieren können? Oder werden mit "Die Parallelwelt" theatrale Möglichkeiten weiterentwickelt.

Dorothea Marucs (Dortmund): Vieles an diesem Abend könnte man mit weniger technischem Aufwand erzählen, einiges weglassen. Und dennoch wird durch die direkte Konfrontation mit der digitalen Gleichzeitigkeit eine philosophische Tiefe, Komplexität und Konkretheit erreicht, die im Theater selten zu sehen ist. Mit Hilfe der Form wird erlebbar gemacht, worum es an dem Abend inhaltlich letztlich geht: dass man sich selbst so wichtig nimmt und doch nur ein winziges, schnell verglühendes Staubkorn ist, dass das, was man für die größten und besondersten Imperative des eigenen Lebens hält, letztlich nur ein biologischer und serieller Plan ist. Das hat etwas Tröstliches. Und auch, dass es am Ende doch einen Unterschied macht, an welchem Ende der digitalen Leitung man zugesehen hat: während das Publikum in Dortmund jubelnd auf die Sitze steigt – ist man da in Berlin deutlich reservierter.

Parallelwelt 560 Hupfeld 0366a uDer Clash analoger und digitaler Sphären: Unbehaustes Wohnen mit Merle Wasmuth und Owen Peter Read © Birgit Hupfeld

Esther Slevogt (Berlin): Der Dialog von virtuellen und analogen Räumen, den Clash realer Körper und virtueller Sphären, die Begegnung des Einzelnen mit seinem digitalen Bild, das kann so überhaupt nur im Theater stattfinden. Damit begibt sich das Theater gleichzeitig in größtmögliche Nähe der Erfahrungen jedes einzelnen von uns mit der Digitalisierung. Das ist eine Riesenchance. – Im vorliegenden Fall gab es für meinen Geschmack zu viel Technikbarock. Und zu viel Film – die Erzählung funktionierte nur in diesem Medium. Dabei spielte es am Ende oft gar keine Rolle, ob es gerade Bilder aus Dortmund oder Berlin waren – da das analoge physische Bühnengeschehen den Filmbildern gegenüber verblasste. Mir fehlte eine Dramaturgie der Bilder, die sich auch zur Intensitätshierarchie von gefilmten und live gespielten Szenen verhalten hätte. Es passiert alles gleichzeitig, aber das Gesamtbild war mir zu wenig gestaltet und durchdacht.

6. Wie verhält sich diese Inszenierung zu anderen Arbeiten von Kay Voges?

Dorothea Marcus (Dortmund): Kay Voges will alles, und das ist manchmal zuviel. Die Filmbilder erschlagen zuweilen die Bühnenwelten, die philosophischen Verweise den Zuschauerkopf: "Parallelwelt" ist dort am besten, wo die realen Körper der realen Schauspieler im Mittelpunkt stehen. Und doch ist Kay Voges in seinem Lebensversuch, die digitale Umwälzung im Theater abzubilden – und dass, was sie mit dem menschlichen Bewusstsein – ein wegweisender Schritt gelungen.

Esther Slevogt (Berlin): Kay Voges ist ein Meister der satten Atmosphären und Szenarien. Das fehlte mir in den teilweise sehr hölzernen Spielszenen. Die Atmosphäre kam tendenziell aus der Konserve: als Musik, experimentelles Video. Oder sie wurde mit semi-religös gefärbten Texten produziert, die aber (in dieser medialen Glätte erst recht) etwas von weltflüchtigen New-Age-Ideologien hatten. Die aber können wir in Zeiten wie diesen nun wirklich nicht gebrauchen.

 

 

Die Parallelwelt
Eine Simultanaufführung zwischen Berliner Ensemble und Schauspiel Dortmund
von Alexander Kerlin, Eva Verena Müller und Kay Voges
Regie: Kay Voges, Bühne: Daniel Roskamp, Kostüme: Mona Ulrich, Bildregie und Lichtdesign: Voxi Bärenklau, Videodesign: Mario Simon, Robin Voigt, Musik: T.D. Finck von Finckenstein, Dramaturgie: Sibylle Baschung, Alexander Kerlin, Matthias Seier.
Mit (Berlin): Stephanie Eidt, Oliver Kraushaar, Sina Martens, Annika Meier, Peter Moltzen, Josefin Platt, Owen Peter Read. (Dortmund): Andreas Beck, Frank Genser, Bettina Lieder, Uwe Schmieder, Xenia Snagowski, Friederike Tiefenbacher, Merle Wasmuth. (Nur im Video): Eva Verena Müller.
Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, keine Pause

www.berliner-ensemble.de
www.theaterdo.de


Bonusmaterial

Parallelwelt Bonus 560 sle uNachtkritikerin Dorothea Marcus simst vor der Aufführung von "Die Parallelwelt" in Dortmund. Abfotografiert vom Berliner Videoscreen von Esther Slevogt


Kritikenrundschau

Für Deutschlandfunk Kultur (15.9.2018) berichten Stefan Keim (aus Dortmund) und Tobi Müller (aus Berlin). "Die Parallelwelt" ist für Keim "Quantenphysik auf dem Theater". Er sagt: "In der Mikrowelt der kleinsten Teilchen gibt es Raum und Zeit nicht wie wir sie kennen, die Verhältnisse sind anarchisch, gehorchen keinen Regeln. Das haben die Autoren Voges, Kerlin und Eva Verena Müller (...) für die Makroebene durchgespielt. Ein zutiefst menschlicher, nachdenklicher und unterhaltender Abend." Tobi Müller "überzeugt der Bilderabend dann am meisten, wenn er statt die Idee abermals zu visualisieren, zu konkreten und sehr lustigen Situationen findet". Er hebt die Currywurst-Diskussion als eine solche Situation hervor. "Am Ende stellt sich ein paradoxer Effekt ein, vielleicht rührt er von den Schauspielern: Das Höchstleistungsvideotheater hat die Grenzen des Theaterraumes erweitern wollen und sie dadurch erst sichtbar gemacht. Am Ende hat man das Gefühl, Voges und Co. halten ein Plädoyer für die analoge Bühne. Gleichzeitig."

Die "Inszenierung erfreut sich so sehr an ihrer hochprofessionellen Live-Bildregie, ihrer technischen Raffinesse, dass der Text, der Inhalt zum Nebenprodukt schrumpft“, berichtet Barbara Behrendt im rbb und im Deutschlandfunk (16.9.2018). "Die längste Zeit der zähen, durchweg vorhersehbaren zwei Stunden“ wisse Voges "die Anwesenheit realer Schauspieler kaum zu nutzen. Und verschenkt somit die vielleicht interessanteste Frage dieser Inszenierung im Zeitalter der Digitalisierung: Was hat der stoffliche, materialisierte Körper in all seiner Sinnlichkeit und Nähe, in seiner direkten Ansprache an den Zuschauer dem zweidimensionalen Videobild voraus (…)."

"Theoretisch interessant, konzeptionell verdienstvoll, technisch und logistisch beeindruckend – und inhaltspraktisch mit noch viel Luft nach oben", so fällt das "Fazit des digital-theatralen Revolutions-Zweistünders" bei Christine Wahl im Tagesspiegel (17.9.2018) aus.

Als "erfrischend großspurige Sache" zum Saisonauftakt lobt Doris Meierhenrich in der Berliner Zeitung (17.9.2018) die "Parallelwelt". Der Abend entwerfe eine "leicht surreale Mystery-Choreografie", die "perfide genau auf das produktive Chaos zusteuert, in der quantisch korrekt Theater, Spiel und Welt aus allen Angeln fliegen". Das sei "bildschön anzusehen und für die Beteiligten sicher ein Gewinn an Kommunikation und Rücksichtnahme", nur falle "nicht wirklich Neues dabei ab".

Kay Voges wird als der "Medienbeauftragte des Gegenwartstheaters" von Alexander Menden (Dortmund) und Peter Laudenbach (Berlin) in der Süddeutschen Zeitung (17.9.2018) vorgestellt. Die Autoren liefern eine Chronologie des Abends und Laudenbach schildert als Problem "dieser dank der Kameraarbeit und Bildregie von Voxi Bärenklau an tollen visuellen Reizen reichen Inszenierung: Sie kommt trotz all der Hinweise auf Quantenphysik, beziehungsweise das, was von ihr bis zur Popkultur durchgesickert ist, kaum über das Spiel mit der Wahrnehmung und ihrer Irritation hinaus."

Die Handlung sei "erwartbar", schreibt Ralf Stiftel im Westfälischen Anzeiger (17.9.2018), aber "der Einfallsreichtum, mit dem Details und Motive parallel, aber in unterschiedlichen Zusammenhängen eingesetzt werden, macht das wett (…)". Voges neige "zu barocker Überfülle, zu Überdeutlichkeit und zu Redundanzen" und das Stück sei insgesamt "auch seltsam vage, zeitlos". Aber Voges gelinge mit seiner Inszenierung "etwas Neues". Er "ringt dem digitalen Apparat einen unterhaltsamen Zauber ab. All die Entmaterialisierung, die Existenznöte, die Frivolitäten laufen zwar als Pixel über riesige Bildschirme. Aber erleben kann man es nur hier und jetzt, in Dortmund oder Berlin, an einem Ort, der wieder eine Aura erhalten hat."

"Bei allem Tiefgründigen" vergessen Voges und sein Team "nie die Komik und die Verblüffung des Zuschauers", berichtet Arnold Hohmann in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (17.9.2018). "Egal, ob man alles verstanden hat an diesem Abend, ob tatsächlich nur noch real ist, was man vermessen kann. Kay Voges und die Seinen mit ihrem Interesse am Menschen des digitalen Zeitalters, entwickeln mit ihren Stücken inzwischen einen Rausch, dem man sich schlecht entziehen kann."

"Hier ist ein Regisseur am Werk, der mit seinen Glasfaserkabeln und Kameras wirklich noch was wissen will. Vom Leben und der Kunst", resümieren Bettina Jäger (aus Dortmund) und Patrick Wildermann (aus Berlin) für die Ruhrnachrichten (17.9.2018). dieses Theater-Experiment. "Voges entfesselt den Overkill der Gleichzeitigkeiten. Stark dort, wo das Doppelgänger-Motiv zum Albtraum wird – wie in der Romantik, oder in David Lynchs 'Lost Highway' (dem als Zitat auf Berliner Seite Owen Peter Read als 'Mystery Man' entsteigt). Eher strapaziös, wo der Abend in esoterische Sphären driftet."

Der Stücktext "neigt zu Kalauern und anderen mauen Witzen, um seine kopfschwere Kost aufzulockern", findet Max Florian Kühlem in der taz (18.9.2018). "Die Parallelwelt" ist in den Augen des Kritikers "ganz großer und teurer Senf zur ungelösten Frage, was die Erkenntnisse der theoretischen Physik für unser alltägliches Leben bedeuten könnten. Es ist ein großer Mindfuck, aufgeladen mit Textschnipseln von Aristoteles, Newton, Beckett, Breton, Sebald, Heiner Müller und natürlich aus der Bibel."

"Dar­an krankt die­ser Abend: Plan und Tech­nik sind spek­ta­ku­lär, aber un­ter der Wucht der Aus­füh­rung er­stickt der Geist", so Peter Kümmel in der Zeit (20.9.2018). "In Dort­mund se­hen wir zu Be­ginn, wie ein Mann na­mens Fred stirbt; in Ber­lin wird gleich­zei­tig ein Kind na­mens Fred ge­bo­ren. Am En­de wird Fred in Dort­mund ge­bo­ren, wäh­rend er in Ber­lin stirbt. Was zau­ber­haft klingt, als bit­te Vo­ges die Zeit selbst zum Tanz, das bleibt auf der Büh­ne lei­der oft rei­ne Be­haup­tung."

"Voges drückt uns unser Unvermögen so bombastisch schnulzenuntermalt und mit bisweilen religiös verkitschtem Unterton ins wunde Bewusstsein, dass es flimmert vor den Augen", schreibt Bernd Noack in der Neuen Zürcher Zeitung (22.9.2018). "Grundsätzlich wäre zu sagen, dass dieses ganze Unternehmen ein riesiger Unfug ist." Voges treibe seit Jahren "aufwendig und digital dem Theater die erzählerische Seele aus: Muss wirklich alles gemacht werden, was machbar ist?" Der tiefere Sinn von "Parallelwelt" gehe auf der Datenautobahn verloren. "Auf den Bühnen sah man doppelte Lottchen und hat doch eigentlich von einem Dortmunder Schauspieler nur erfahren, dass es in Berlin bei 'Konnopke' die beste Currywurst gibt. Die ist, wie auch die wirkliche Schauspielkunst, zum Glück aber noch nicht übertragbar."

 

 

Kommentare  
Parallelwelt, DO / Berlin: raunend-verquaster Kitsch
Die beiden Nachtkritikerinnen haben die Schwächen dieses Abends gut benannt: den raunend-verquasten Kitsch, der an Sekten erinnert, die pietätlose Großaufnahme der Sterbeszene, die oft zu flachen Kalauer, das hölzerne Spiel blasser klischeehafter Figuren.

Spannende Fragen haben sich Kay Voges und sein Team vorgenommen: „Was ist wirklich? Alles was sich messen lässt? Welche anderen Wirklichkeitsräume gibt es und welchen Einfluss haben sie auf unser Leben? Was ist mit Traum und Fantasie? Welche Rolle spielen Gedanken und Vorstellungen? Erschaffen wir die Welt in unserer Vorstellung oder können wir uns nur vorstellen, was der Fall ist? Was aber ist der Fall? Und für wen? Und wo? Welche Wirklichkeitsräume teilen wir mit wem genau, seit die digitalisierte Welt gefühlt auf einen Punkt zusammengeschrumpft und zum globalen Dorf geworden ist, in der es keine Abstände mehr gibt?“

Hinter den von den beiden Theatern geschürten hohen Erwartungen bleibt der Abend meilenweit zurück: aufgeblasen und bei aller technischer Experimentierfreude inhaltlich erschreckend banal für zwei Häuser dieser Liga.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2018/09/15/parallelwelt-berliner-ensemble-schauspiel-dortmund-theater-kritik/
Parallelwelt, DO / Berlin: technische Frage
Ich würde gerne wissen, was "420 km Glasfaserkabel dazwischen" bedeuten soll. Wurden die verlegt? Für die spezielle Produktion?

(Lieber Yoda, die Info fiel einem etwas groben Redigat zum Opfer. Das Glasfaserkabel gibt es schon, es liegt entlang der A2, und davon wird jeweils Kapazität für die Datentransfers angemietet. "angemietet" steht jetzt wieder im Vorspann. Mit besten Grüßen aus der Redaktion, Christian Rakow)
Parallelwelt, DO / Berlin: eine Suche
Die Hochzeitspassage verändert den Ton des Abends grundlegend. Zuvor war er geprägt von expressiven, leicht surrealistisch verschobenen realistischen Bildern, taumelnd auf einer See aus dem Off eingesprochener Texte über Existenz, Wirklichkeit und Unfassbarkeit des Universums, zum Teil Abwandlungen alttestamentarischer Texte, wabernd über schwebend mystischen Klängen und kosmischen Bildern des Fließens, eine Erzählung des Kleinen im Großen und umgekehrt. Das erinnert stark an die späten Filme Terrence Malicks, an seine Meditationen über die universellen Zusammenhänge, in denen das individuelle zu winzig, verloren, hilflos erscheint. Stark das dritte Bild: die präzise gegenüber- und Gleichstellung jugendlicher Verliebtheit und der Grausamkeit, gespeist aus frustrierter Lebenshoffnung und dem Miteinander einer langen, vermutlich mit Geheimnissen gespickten Ehe. Hier triumphiert das Universelle und berührt das Einzelne. Auch und gerade, weil die Gewissheit, dass es ein Einzelne ist, längst zerstoben ist. Hier fallen Raum und Zeit in eins, ist das Ersterben der Liebe Zukunftsvision wie Alternative, letzteres die Möglichkeit enthalten, es könne alles anders kommen.

Das passiert denn auch in Bild 5, der Spiegelszene des dritten Bildes, in der die beiden Paare andere Entscheidungen treffen, bessere vielleicht. Oder auch nicht. Denn die Erzählung kippt. Die Szenen rutschen ineinander und in ein Universum literarischer Parallelwelten. Aus Malick wird Lynch: verzerrte Wirklichkeitsräume zwischen Surrealismus und Albtraum, Einbrüche alternativer Realitäten, Störfeuer in Zeit und Raum. Die Texte stammen von Heiner Müller und Samuel Beckett, von Elfriede Jelinek, W.G. Sebald und André Breton. Die konkreten Schicksale verheddern sich in der Wirrnis der Möglichkeiten. Wo alles denk-, vorstell- und lebbar ist, ist alles vielleicht auch beliebig, unwichtig, egal? Die vorsischtig optimistische, von wissenschaftlicher Neugier durchtränke Vision wird zum Albtraum, jener das Spiegelbild ersterer. Hoffnung und Schrecken, Freude und Verzweiflung – wo die Gleichzeitigkeit herrscht, wird alles ein. Und so endet der Abend als Schreckensvision und Hoffnungsschimmer, kommen die zwei Freds, eine sterbende und ein Greisenbaby zusammen in einer unbekannten Sprache. Kein Ende mit Anfang, sondern beides. Immer. Ist Die Parallelwelt ein ungetrübter Triumph? Nein. Zu geschwätzig ist sie, zu sehr wiederholt sie die immer gleichen Ideen, zu eindeutig sagt sie, was und wohin genau sie will, zu viele lose Ende bleiben, zu sehr kokettiert der Abend mit seiner Belesenheit. Und doch gehören auch die Fehler dazu, sind sie Abbiegungen im verzweigten Universum, Sackgassen, zukünftig (wenn es so etwas gibt) zu vermeidend. Der Abend ist eine Suche, verirrt sich zu weilen, will oft zu viel, über- und unterfordert zu gleicht. Und sprengt dabei den Theaterraum auf nie zuvor gesehene weise. Auf geht’s! Hinein! Lasst uns spielen!

Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2018/09/16/im-anfang-war-die-currywurst/
Parallelwelt, DO / Berlin: Respekt
Liebe Kritikerinnen,

danke, daß ihr euch des Abends annehmt als Betrachtung des Resultats einer forschenden Suche nach neuen Theatermöglichkeiten. Und dabei analyisert, wo das aus eurer Sicht funktioniert und wo nicht. Statt der nächsten Hosiannah oder Kreuziget... Variante, die von den Quartalsbloggern serviert wird.
Die Berliner und Dortmunder Teams haben sich getraut etwas neues zu tun - und ihr respektiert das - finde ich gut.
Parallelwelt, DO / Berlin: keine Ahnung vom Spielen
wer hat sich was getraut und was ist dabei wirklich neu und inovativ- geschweige denn interessant für das theater? das einzige was man gesehen hat: voges spielt gerne mit technik, kerlin baut dazu einige (vermeintlich) schlaue sätze und die spieler tun, was sie "wollen", weil der regisseur keine ahnung (und vielleicht auch kein interesse) vom spielen hat- außer von computerspielen... doof nur, dass theater vom analogen spielen lebt...
Parallelwelt DO / Berlin: über den Tellerrand!
Das ist der Stand der Debatte über Digitalisierung im Theater? Na dann guten Morgen und die Empfehlung mal über den Tellerrand zu schauen. Was da schon alles diskutiert wurde!, das Theater würde aber staunen. (Fand den Abend in Dortmund geradezu bieder, und dieser peinliche Stolz auf die Technik plus die Pseudophilosophie, herrje)
Parallelwelt, DO / Berlin: Enttäuschung
Ich bin gestern voller Neugier und positiver Erwartung ins BE gegangen, schliesslich hatte man schon viel gelesen über Kai Voges und sein bilderreiches innovatives Theater. Allerdings war ich schon recht bald von der verblüffenden Inhaltsleere des Abends ermüdet. Immer buntere Bilder konnten nicht verdecken, was für ein dünnes Brett da gebohrt wurde.
Eine Fülle von Inspirationsquellen wurden einem mehr oder weniger penetrant in die Kamera gehalten (David Lynch DVD...), ohne dass das Ganze durch sie tatsächlich inspiriert worden wäre. Ganz schnell landete der Abend auf Kalauerniveau (Quanten...)und blieb ansonsten in einer mehr als verschwommenen Sinnbehauptung hängen. Eine grosse Enttäuschung.
Parallelwelt, DO / Berlin: wozu digital?
Digitalisierung bedeutet neben anderem immer auch das Kopieren eines Originals. Das sicht-, hör-, riech- und fühlbare Original war und ist das einzige Privileg des Theaters. Wer das nicht braucht, kann ja ins Kino gehen, dort sieht er eine Kopie, und das auch schon seit längerem rein digital. Und allermeistens weniger infantil als in dieser größenwahnsinningen Technikschlacht ohne Inhalt.
Und ach ja, SChrödingers Katze ist ja eben nicht einfach tot. Da könnte sich die Kritikerin doch mal bitte schlau machen.
Parallelwelt, DO / Berlin: alte Frage
Ich fand, die Glasfaserleitung hatte an dem Abend am meisten zu tun. Der Rest war sehr dünn. Fred hat ein ganzes, mysteriöses, großes Leben zu leben, sogar parallel, Die Frauen bleiben anonyme Stellvertreter. Die Dramaturgie kompiliert dazu Texte und gilt damit auch schon gleich als Autor. Na bitte. Soviel zum gegenwärtigen Stand der Technik. Und dann unterstellt man der Regie immer gleich: sie will alles...
Parallelwelt, DO / Berlin: gelungen
Unterhaltsam ist der Abend, es macht Spass, die Rätsel zu erkennen („Fred“ vom Lost Highway), manches ist zu lang und verspielt. In Dortmund waren die Zuschauer mehr begeistert (Applaus während im BE die Zuschauer bereits hinauseilten, ja das war auch zu sehen.) Ganz neu war die „quadratische“ Teilung der Bühne und die Projektionestechnik natürlich nicht, siehe „Cavaleria rusticana“ in Salzburg. Die anfängliche Todesszene in DO hätte gerne unschärfer sein dürfen, aber wenn das einem so Nahe geht, so ist es doch ein Zeichen, dass es dem Team das Theater auch ohne den technische Teil gut gelingt.
Parallelwelt, DO / Berlin: Skype-Konferenz
Kritiker_innen, die sich staunend freuen, wenn man sich digital an unterschiedlichen Orten live beobachten kann? "Digitale Umwälzung des Theaters" und "Quantenphysik"? Leider offenbart diese Kritik nur die digitale Unbeholfenheit von Frau Marcus et al. und letztlich auch des Regisseurs - ebenso wie den Altersdurchschnitt der Zielgruppe (siehe Foto Bonusmaterial). Denn diese Inszenierung(en) sind nichts anderes, als eine theatrale Skype-Konferenz. Mit leider altbackener Form. Bitte beim nächsten Mal ein paar Digital-Natives in das Leitungsteam einbinden.
Parallelwelt, DO / Berlin: willkommen in den 90ern
"Neue Formen", gar "Experimentieren", wenn man sieht, wie die Kollegin einem eine SMS schreibt? Die Theaterblase muss wirklich sehr klein sein, wenn einem das ernsthaft als "Erweiterung des Raums via Vernetzung" verstanden wird. Willkommen in den Neunzigern.
Parallelwelt, DO / Berlin: keine Jugendbewegung
@captcha
Ich will ja nicht kleinlich sein, aber die Frage des Altersdurchsschnitts des Publikums kommt mir etwas albern vor, angesichts der Tatsache, das wesentliche Gestalter und Erfinder der digitalen Revolution wie Steve Jobs (1955-2011), Bill Gates (Jahrgang 1955) oder Jaron Lanier (Jahrgang 1959) längst Sixtysomethings sind (oder wären >>> Jobs). Ein Theater außerdem, das es schafft, auch Leute für diese Themen zu interessieren, die wenig Erfahrung mit der Digitalisierung haben, kann man doch nur beglückwünschen. Die Digitalisierung ist schließlich keine Jugendbewegung. Das sehen Sie vielleicht etwas naiv. Im Übrigen fand ich die Vernetzung der öffentlichen Sphären der beiden Theater in Dortmund und Berlin, also die Vernetzung der Zuschauerräume, fast das Interessanteste an diesem Abend. Das hätte noch weitergedacht werden können.
Parallelwelt, DO / Berlin: Fehler
@12 in den Neunzigern wäre das technisch so noch gar nicht möglich gewesen. Ahnung von der Materie haben Sie scheinbar nicht. Aber rumtönen!
Parallelwelt, DO / Berlin: Seid Ihr auch alleeee daaaa?
1. Ja, Schrödingers Katze lebt- das ist halt das Problem der Quantenphysik für das Denken.
2. Zuschauerräume haben auch die uralten Fernseh-Spielshows der 70ger vernetzt: Winkewinke wie verrrückt vom Marktplatz in Großposemuckel zum Einkaufszentrums-Vorplatz nach Großmurkelposting - wer freut sich lauterschönerbesser den andern beim Spielezuschauen zu sehen?! - Seid Ihr auch alleeee daaaa? - Jaaaaaaa!
3. Wer schon die Quantenphysik nicht analog versinnbildlichen kann, wie will der erst die Funktionsweise der Quarks vertheatralisieren, die doch nun schon wieder etwas genauer beschreibt, was die Welten im Innersten rein äußerlich zusammenhält als die Quantenphysik das vermochte? - Das hat ja schon James Joyce begriffen gehabt (weshalb die Quarks nach ihm benannt wurden, soweit mir bekannt ist - was allerdings nichts bedeuten muss) und der is schon lange tot. Jedenfalls wesentlich länger als Steve Jobs.(Nach Schrödinger allerdings könnte er auch noch lebend gelebt haben...)
Parallelwelt, DO /Berlin: Skype
Alle die schonmal via Skype chorisch gesprochen haben, heben jetzt mal bitte die Hand...
Parallelwelt, DO / Berlin: Inhalt leidet
Was wird hier, ausser digitalem Blablabla, eigentlich erzählt? Schade, dass, wenn es um (angebliches) Experimentieren mit neuen Formen des Theaters geht, der Inhalt oft darunter leiden muss. Oder kann mir kemand weiterhelfen, was hier eigentlich inhaltlich verhandelt wird? Ausser allgemeine Fragen von Geburt, Leben und Tod?
Parallelwelt, DO / Berlin: Link-Hinweis
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1100915.wer-oder-was-ist-authentischer.html
Parallelwelt, DO / Berlin: Leitung
Gibt's hier neuerdings ein Zeichen-Limit, oder habe ich bisher noch nie so lange kommentiert? Dann vielleicht so:

Eine Technologie ermöglicht die sehr schnelle Datenübertragung zwischen zwei physisch getrennten Orten. Diese Technologie hat sich in den letzten 180 Jahren weiterentwickelt und so ist heute, wenn man den entsprechenden Service bezahlen will, für jedermann eine sehr schnelle Datenverbindung mit hohem Volumen zu bekommen. Im Fall dieses Theaterabends funktioniert diese fast die gesamte Zeit über sehr gut. Anders als bei jedem anderen Videoeinsatz im Theater, den ich bisher gesehen habe, gab es meistens keine wahrnehmbare Latenz zwischen Audio und Video, was keine geringe Leistung ist: hier sind wirklich Profis mit Hochleistungstechnik am Werk. In Berlin waren Bild/Ton synchron, leider kam aus Dortmund das Bild teilweise deutlich wahrnehmbar - aber höchstens eine Sekunde - später.

Man kann diese technische Möglichkeit einer Verbindung mit niedriger Latenz in das Zentrum einer Inszenierung stellen, man kann sie auch für das Erzählen einer ganz anderen Geschichte nutzen. Aber beides allein scheint dem Team um Kay Voges zu schwach gewesen zu sein. Sie wollen die Leitung thematisieren, und da sie sich auch nicht ganz von der Welt der technologischen Wunder lösen wollten, geht's außerdem um Relativitäts- und Quantentheorie, Multiversen und Doppelgänger, und allerhand mehr. Auch das kann man machen, aber einerseits sind die Themen nicht ganz einfach verstehbar (was dann auch dazu führt, daß immer wieder kleinere Erklärbär-Phasen eingebaut wurden), andererseits finde ich nicht, daß die Verbindung zweier unterschiedlicher Orte im gleichen Universum (in dem Sie dies auch gerade lesen), die im Stück auch genau benannt und durch Koordinaten bezeichnet werden, hier einen großen Erkenntnisgewinn mit sich bringt. Ein Problem hierbei ist, daß zwangsläufig bei dieser Entfernung nur ein Ort live auf der Bühne dargestellt werden kann. Anstatt nun die Handlung parallel auf der gleichen Bühne darzustellen (was, interessante Handlung vorausgesetzt, interessant gewesen wäre), oder beide Orte ausschließlich über Video zu verbinden (was zum Schluß des Abends hin auch immer häufiger passiert, auf Dauer aber langweilig gewesen wäre), gibt es den Video-Bühnen-Hybrid, der nicht die Parallelität, sondern die absolute Unterschiedlichkeit, den Abstand betont.

Darüber hinaus führt der Video-Einsatz zu einer Reihe ärgerlicher Probleme. Es ist nicht so, daß die Kameraleute im Weg stünden. Sie stehen perfekt, denn alles ist auf die Kamera hin inszeniert. Der Theaterzuschauer hat die Wahl, den Dreharbeiten zuzusehen, oder dem Endprodukt auf der Leinwand. Ich entschied mich vor allem für Letzeres, denn es ist auch unangenehm zu sehen, wie an sich exzellente Schauspieler hier so zu Knechten dieser Idee werden. Schlimmer ist aber der Ton. Um beide Orte gleich zu gewichten (und gfs. auch zu synchronisieren?), läuft die Sprache komplett flach über Microports und die Soundanlage, was die Distanz noch verstärkt und auch dazu führt, daß in den seltenen Bühnenmomenten abseits der Kamera (die dann auch noch meistens sofort eine direkte Publikumsansprache sind), die Sprache nicht von vorne, vom Menschen kommt. Man sucht unwillkürlich wieder den Kamerablick, alles außerhalb der Videoleinwand ist unwirklich. Und darauf ist es in der Regel kitschig-pathetisch.

Zum Inhalt, Schauspiel, etc. sag ich dann mal nichts.
Parallelwelt, DO / Berlin: Angeberei
Es war sehr sehr öde.
Parallelwelt DO / Berlin: Autor benötigt
Man kann es doch eigntlich ganz einfach sagen: Herr Voges braucht eine*n Autor*in. Herr Kerlin und sein oberflächliches Text-Dj-ing sind einfach viel zu wenig für die großen Behauptungen/Ansprüche die da verhandelt werden sollen.
Parallelwelt, Dortmund / Berlin: Unwesentliches und Diffuses
Lass los, was für dein Leben nicht mehr gut ist. So oder ähnlich klingt das Dramaturgen-Deutsch an einer Stätte, wo früher Autoren tätig waren. Direkt dem Horoskop der Brigitte entsprungene Sätze eingetunkt in Fahrstuhlmusik. Irgendetwas zwischen Geburt und Tod, Kommen und Gehen, Werden und Vergehen in einem viergeteilten Diarahmen eingepresst. Nie erschien mir die Bühne des BE so kleinlich, wie gestern Abend. Spontan verstehe ich, warum der Kameramann vom "Grünen Jungen" in Köln gerne über Kai Voges lästert. Diese ausgewogenen Werbebilder mit Bildstabilisator sind gruselig und treiben dem Theater seinen Restanstand aus etwas anderes sein zu wollen als neue Medien. Nach einer knappen Stunde gebe ich mich geschlagen und verlasse diese eindimensionale Parallelwelt und begebe mich nach draußen, wo die Obdachlosen allmählich anfangen gegenüber der ständigen Vertretung am Reichstagufer festzufrieren. Ich denke an meinen Nachmittag in Hellersdorf, einer echten Parallelwelt zu diesem unwichtigen Ereignis. Ich fürchte mich, gelangweilt von dieser Ignoranz zwischen Dortmund und Berlin, die in einem eigens dafür gemieteten Glasfaserkabel Unwesentliches, Diffuses hin und her trägt.
Parallelwelt, Berlin / Dortmund: Hochzeitsszene ist besonders
#22. die schwächen mal beiseite, die mittleren 30 minuten sind besonders - in der hochzeitszene schien sich die versprechung der produktion einzulösen.in diesen dreissig minuten waren die spieler schneller als die Zuschauer, davor und danach ahnte man schon was kommt.(was man von der rückschau auch von manchen castorf inszenierungen behaupten darf)
die szene hatte auch keine sprüche oder sonstige einspielungen sondern war theater an zwei Orten in Gleichzeitigkeit. das maximale was aus der Konstruktion rauszuholen ist:Interaktion der Spieler an beiden Orten, so daß die Illusion eines (dritten) Ortes entsteht (jetzt esoterikfrei).
Ist doch gut wenn jemand etwas Neues versucht.
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