Frankies Disko-Fieber

von Simone Kaempf

26. September 2018. Frankie ermittelt sorgfältig. Und dafür wandern viele Bacardi Cola über den Tresen: erst in München im "Jet Dancing" nahe der Sendlinger Straße, dem "Jackie O" und dem "Aquarius".

Dann in der "Palette" und dem "Monokel" in Stuttgart, im "Candy" und "Downtown" in Frankfurt, in das Frankie, wie er hoch und heilig schwört, bald keinen Fuß mehr setzen will. Weiter ins "Be-Bop" und "Alpha" nach Bonn, das sich sein Gehilfe mal so richtig vorknöpfen soll. Der durstige Privatdetektiv klappert die halbe Bundesrepublik ab auf der Suche nach einem Club, der am Samstagabend des 9. Juli 1988 Madonnas Song "White Heat" gespielt hat. Die 2000 Mark Vorschuss im Handschuhfach finanzieren Diskotheken-Eintritt, Marlboro-Menthols und Mix-Getränke für Ex-Freundinnen, die er auf seinem Roadtrip reaktiviert.

Fassade der Achtziger

Wo Bacardi-Abstürze, ausufernde Disko-Besuche und wechselnde Freundinnen zusammenkommen, steigert sich nicht unbedingt die detektivische Erfolgsquote. Zumal Frankie sich am nächsten Morgen oft nur mühsam erinnert, wie er dorthin kam, wo er gerade aufwacht. Mal verschläft er das Hotelfrühstück um Stunden oder steuert ohne Hosen durchs nächtliche Frankfurt – Ergebnis einer überstürzten Flucht, die ihn weiter Richtung Norden und in katerbedingte Vernebelung treibt. Jeden Abend Disko und man wird auch noch bezahlt, das klingt wie ein Traumjob, entwickelt sich dann aber zum Alptraum. Der Fall scheint immer verwirrender und unlösbarer, die besuchten Diskotheken werden zunehmend ähnlicher, und je länger Frankies Trip dauert, desto verwischter ist die Spur zu dem vermeintlichen Erpresser, den er sucht.

Decar Tausend DiscothekenObwohl Michel Decars Debütroman als Krimi präsentiert wird, mit einem jugendlich-coolen Privatdetektiv als Ich-Erzähler, der bei seinen Ermittlungen auf die wirtschaftliche Korruption der späten BRD stößt, ist "Tausend deutsche Diskotheken" alles andere als ein Genre-Roman. Der Ermittlungsplot dient als Anlass für ein phänomenologisches Auflisten der Diskotheken der späten Achtziger Jahre zwischen Augsburg und Hamburg: "Koralle", "Cadillac", "Calypso", "Sound", "Sugar Shack", "After Shave" und wie die Clubs nicht alle heißen, die Frankie ansteuert in seinen Opel Admiral, und zwar "zucchinigrün".

Sprachlich brennt Decar (Jahrgang 1987), der an der Berliner UdK Szenisches Schreiben studierte und als Theater- und Hörspielautor u.a. mit dem Kleist-Förderpreis ausgezeichnet worden ist, die Zeit in sein Buch, und das mit einer wahrhaft detektivischen Lust an kleinen Beobachtungen. Madonnas Album "Like a Virgin" wird bei WOM auf Kassette gekauft, das Autofenster noch heruntergekurbelt. Eine der Ex-Freundinnen trägt Flauschepullover mit Fledermausärmeln, sieht einfach "grande" aus.

Überhaupt geht Decar bei den Frauenfiguren auf Ganze, lässt seinen Frankie mit einer Mischung aus Charme, Bewunderung und Genervtheit an die Frauen geraten: Conny Breule mit dem Flauschepullover, die nach fünf Minuten Gespräch sofort bei Krise landet, "Energiekrise, Umweltkrise, Beziehungskrise, Hauptsache Krise, ich konnte machen, was ich wollte". Die unfassbar norddeutsche Alice, oder die diskussionsfreudige Marlene Mintrop, die "total auf Themen steht. Dabei sind Themen wirklich das Allerletzte. So weit ich denken kann, habe ich versucht, Themen zu vermeiden."

Anti-Krimi

Decar wirft einen ironischen Blick auf die Zeit, die Moden der Frauen, das Mackertum der Männer, die damals noch ausgeprägte Bereitschaft, die Dinge auszudiskutieren – und schafft es dabei doch, völlig ernsthaft zu bleiben. Wie in vielen seiner Theaterstücke setzt eine Mischung aus Figurentypen, Zeitkolorit und federleichter Erzählweise ihre eigene Kraft frei.

Und Decar erweist sich auch in "Tausend deutsche Diskotheken" als Freund der Zufälligkeit. Man denke an Theaterstücke wie "Das Tierreich" (das Decar zusammen mit Jakob Nolte schrieb), in dem ein Kampfpanzer vom Himmel fällt, mitten in die schönste Sommerferienstimmung. Hier ist es der Erpresser-Anruf, während im Hintergrund Madonna läuft, der die Handlung antreibt, und der Privatdetektiv ahnt doch nur vage, welche Verkettungen im Hintergrund noch eine Rolle spielen, während er über die Autobahn rauscht und in lichten Momenten erkennt: "Egal, was ich unternahm, um den Fall aufzuklären, es verschlimmerte sich dadurch alles."

So mündet "Tausend deutsche Diskotheken" am Ende in einem unterhaltsamen Anti-Krimi, der die Frage, ob man der Wirklichkeit mit Logik beikommen kann, lässig wie nebenbei streift und keinen Hehl daraus macht, sich längst verzettelt zu haben. Als leichte, spritzige Lektüre zur Verlängerung des Sommers bestens geeignet.

Tausend deutsche Diskotheken
von Michel Decar
Ullstein Verlag, 240 Seiten, 20 Euro

 

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