Besinnungsloses Grundeinkommen

von Simone Kaempf

Berlin, 28. September 2018. Der Aufwand, das Material für diesen Theaterabend zusammenzutragen, ist schon mal rekordverdächtig. Vor einem Jahr trafen Wissenschaftler und Bürger im Deutschen Theater erstmals zusammen, um ein Zukunfts-Szenario für die nächsten zehn Jahren zu entwickeln inklusive eines spekulativen Super-Crashs im Jahr 2026. Weitere Workshoptage folgten, dokumentiert auf der Projektwebsite welchezukunft.org. Auf dieser Basis entstand der Text für "Let them eat money". Und für die Abschlusskonferenz im Jahr 2020, dann im fertig gestellten Humboldtforum, sind konkrete Überlegungen angekündigt, wie man eine drohende Katastrophe aufhalten könnte.

Beim Sichten der Trümmer

Regisseur Andres Veiel und die Filmautorin Jutta Doberstein haben dieses Labor-Format angestoßen, irgendwo zwischen interdisziplinärem Dialog, Bürger-Mitgestaltung à la Harald Welzers offene-Gesellschaft-Initiative und künstlerischer Interpretation. Viel Material ist da fraglos zusammengekommen. Etliches fließt nun auf halber Strecke in den zugehörigen Theaterabend ein, dem eine fast schon einfache Setzung zugrunde liegt: ziemlich durcheinander sind die Verhältnisse im Jahr 2028. Zwei Politaktivisten der Gruppierung "Let them eat money" arbeiten auf eigene Faust die große Krise auf, da der Staat und seine Exekutive längst zur Bedeutungslosigkeit geschrumpft sind. Gewaltbereit und radikalisiert nehmen sie eine ehemalige EU-Kommissarin in Verhör-Haft, die mit Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens die Krise noch verschärfte. Ganz oben auf der Liste der Aktivisten steht auch noch der verantwortliche EZB-Präsident oder der findige Gründer der Inselkolonie Ocean City, die erst iranische Dürre-Flüchtlinge aufnahm und nun vielen Nordeuropäern als Fluchtziel gilt. Was natürlich mit Gewalt verhindert wird.

Ist so ein Schreckens-Szenario nun logische Konsequenz der Gegenwart, repräsentatives Ergebnis einer ängstlichen Agora oder doch hyper-pessimistische Spekulation? Von allem etwas, heißt es im Programmheft. Klar für Science-Fiction entscheidet sich Bühnenbildnerin Julia Kaschlinski: ein neonbeleuchtetes Gestänge ist umgeben von großen Videoleinwänden, immer wieder laufen interstellar animierte Videos, oder eine sprechende Mensch-Maschine wird gezeigt, die zwar immer noch gerasteter Roboter ist, aber doch wesentlich intelligenter reagiert als Siri oder Alexa. Wer Andres Veiel eher als Regisseur schlichter, sachlicher Bühnenästhetik im Kopf hat, blickt hier auf ein hybrides Setting aus medialer Oberfläche und Katastrophen-Welt. Auch Salz wie aus einem vertrockneten See bedeckt weiß den Boden und von der Decke baumeln Stricke wie in einer Folterkammer.

LetThemEatMoney 1 560 ArnoDeclair uHallo Welt: Kathleen Morgeneyer, Luise Hart, Thorsten Hierse © Arno Declair

Die Science-Fiction-Aura tut dem Text gut, der übervoll und Detail-lastig alle Krisenthemen der Gegenwart versammelt: Big Data, Überwachung, Bankensystem, Politik-Versagen auf allen Ebenen, übermächtige Unternehmens-Interessen, Klimakatastrophe. In diesem fiktiven 2028 hat die flächendeckende Kamera- und Mikrofon-Überwachung aber zumindest etwas Gutes: die Ereignisse lassen sich lückenlos rekonstruieren aus Gesprächsprotokollen, die digitale Archive automatisch speichern. Also müsste die Frage nach der Verantwortung zu klären sein.

Urteil per Online-Voting

Und mit Aufklärung ist es den beiden Aktivisten ernst. "Nur wenn wir herausfinden, was wirklich passiert ist, können wir neu anfangen", sagt Onz (Thorsten Hierse), zusammen mit Kathleen Morgeneyer als Yldune das role model der Aktivisten der frühen 20er Jahren, wohlgemerkt 2020er. Schmal, blass, ein bisschen gruftig, aber auch wie angeknipst gut gelaunt, wenn sie zu ihren Followern in die Kamera sprechen und um Spenden bitten. Die Marktgesetze durchdringen 2028 jeden Winkel, im Gegenzug dürfen die User das Urteil über die verantwortliche EU-Kommissarin per online-Voting bestimmen. In ihrer Verteidigungsrede versichert sie, dass nur der Staat die Willkür der Starken einschränken könne und dass gute Ideen sich durchsetzen. Jedoch, das von ihr durchgesetzte Grundeinkommen, zunächst allgemein als Revolution gefeiert, verschärft die Krise noch. Italien tritt aus der EU aus, Zahlungsfähigkeit überall, undsoweiterundsofort. Wahrscheinlich muss man heillos naiv und romantisch sein, um es anders zu denken.

LetThemEatMoney 2 560 ArnoDeclair uLost in speculation © Arno Declair

Die dystopische Verkettung ist nicht neu, aber Veiel schenkt den Zusammenhängen einen neuen spekulativen Rahmen. Und vor allem rücken die Figuren und ihre Prägungen in den Vordergrund. Die ersten Seiten des Stücks bestehen aus Beschreibungen ihrer Biografie. Täter sind nicht mehr auszumachen, sondern Ideenträger und unterschiedliche Denkweisen. Ein Kniff, mit dessen Hilfe die prototypischen Widersprüchlichkeiten aufleben und einem das Science-Fiction-Szenario näher kommt. Jörg Pose als ehemaliger EZB-Banker im goldgelben Anzug, der mit abgeklärten Gesten die Sachzwänge verteidigt, Argumente abwehrt und am Ende sogar old-school-mäßig mehr Privatsphäre einfordert. Oder Frank Seppeler als Tech-Investor, der glaubt, dass alle Probleme durch technischen Fortschritt lösbar sind und sich durch sein Milliarden-Einkommen auch noch bestätigt fühlt. Susanne-Marie Wrage wiederum spielt die EU-Kommissarin, die noch an Ideen glaubt und sie rhetorisch verteidigt. Veiel lässt sie zwischendurch als Akrobatin auch in den Seilen baumeln. Symbolträchtige Bilder erfindet er, die die monologische Situationen aufbrechen.

Das Recherche-Material für sich sprechen zu lassen, funktioniert nicht, dafür steckt zuviel dystopische Phantasie darin, zum Beispiel leiden fast alle an sogenanten Nano-Tremor, mit Parkinson-ähnlichen Schüttel-Syndrom muss dann Wrage dastehen. Und doch entwickelt "Let them eat money" mehrschichtige Charaktere und Denkweisen, die erschreckend naheliegend sind. Und wenn etwa Jürgen Huth den altverdienten Paketzusteller spielt, der im großen Stil als Überzeugungstäter Zustell-Drohnen abschießt oder ironisch erzählt, wie Spanien mit Peseten zum Schuldenausgleich anrückt, da rückt das Drama erlösend sogar an die komische Überzeichnung. Auch eine Strategie. Und wenn nirgends Lösungen gegen den Crash in Sicht sind, nicht mal die schlechteste.

 

Let them eat money
Regie: Andres Veiel, Bühne: Julia Kaschlinski, Kostüm: Michaela Barth, Video: Daniel Hengst, Musik: Fabian Kalker, Luftakrobatik: Sasha Krohn, Dramaturgie: Ulrich Beck.
Mit: Kathleen Morgeneyer, Thorsten Hierse, Susanne-Marie Wrage, Paul Grill, Frank Seppeler, Jörg Pose, Celia Bähr / Luise Hart, Jürgen Huth.
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.deutschestheater.de

www.welchezukunft.org

 

Kritikenrundschau

Andres Veiel setze mit seiner Co-Autorin Jutta Doberstein "ein hoch spannendes Gedankenexperiment an, eine klug durchdachte Dystopie, die sich nie mit einfachen Fragen oder simplen Lösungen begnügt und sich oft nah an den Problemen der Wirklichkeit bewegt", so Barbara Behrendt auf Deutschlandfunk Kultur (28.9.2018). "Doch es ist und bleibt ein Gedankenkonstrukt, eine Kopfgeburt."

"Es gab schon sinnlichere Theaterabende", formuliert es Nadine Kreuzahler im RBB Inforadio (29.9.2018). "Aber Veiel schafft es, eine Fülle der dringenden Fragen und Debatten unserer Zeit zu verdichten und das Publikum mit einem Denkauftrag zu entlassen."

Andres Veiel versuche als Regisseur des eigenen Textes den Abend aufzulockern, so Christine Wahl im Tagesspiegel (30.9.2018). Aber trotz futuristischer Details bleibe der Abend papieren. "Hinzu kommt, dass die Schauspieler auf der Suche nach Rollenfutter zur Vereindeutigung neigen, was der Absicht, keine Figur vorschnell zu denunzieren und jede mit mindestens einem plausiblen Argument auszustatten, nicht zuträglich ist."

"Andres Veiel und Jutta Doberstein siedeln ihre Zukunftsvision nah am Heute an. Diese Zukunft ist erwartbar finster, aber ausreichend verwirrend", so Stefan Reinecke in der taz (1.10.2018) und findet: „Die Szenarien haben eine funkelnde Intelligenz. Sie verwirbeln allzu schlichte Einteilungen in gut (Grundeinkommen) und böse (Neoliberalismus)." Doch was als Zukunftsentwurf geistreich strahlt, wirke auf der Bühne stumpf, "das Ensemble hetzt durch ein atemloses Stakkato von Szenarien. Die Problemdichte ist einfach zu hoch, um elegant spielbar zu sein." Fazit: Das Paradox eines Theaters der Aufklärung sei zu besichtigen: "Wer diese komplexen, gedrängten Szenerien in eindreiviertel Stunden begreift, wusste der es nicht irgendwie schon vorher?"

"Statt der Krise selbst zeigt Veiel den Rückblick auf die Genese ihrer Projektion", kritisiert Jörg Häntzschel in der Süddeutschen Zeitung (1.10.2018). Es werde hauptsächlich übers Reden geredet, im Konjunktiv, in einer Performance, die eine Performance darstellt. "Bald verliert man den Überblick, auf der wievielten Metaebene man sich gerade befindet." Das dramaturgische Problem sei vom inhaltlichen nicht zu trennen, denn Veiel reduziere die heutigen Krisen zu bloßen Vorspielen für den kommenden richtig großen Crash, "der wiederum interessiert ihn aber weniger als das Reden darüber, doch auch das entlarvt er als zwecklos." Fazit: "Am Ende, wenn man endlich die Lehre dieses Lehrstücks erwartet, ist Veiel schon weg, geflohen in die Aporie."

Zukunftsdystopien wollen auf der Bühne nicht bloß skizziert, sondern bunt ausgemalt werden, so Janis El-Bira in der Berliner Zeitung (1.10.2018). "Dabei aber brennen bei dieser Uraufführung einige phantasmatische Sicherungen." Wenn Jürgen Huth als entbehrlich gewordener Paketzusteller berlinert, wie er mit seinem alten NVA-Gewehr die Drohnen vom Himmel holt, "ist das der radikalste und konkreteste Gedanke dieser übersortierten Inszenierung: Dass nur eine Kugel aus sozialistischem Lauf den Gang der Dinge unterbrechen kann."

"Was ist das? Der Untergang des Abendlandes? Science-Fiction zum Greifen nah? Dystopie als Kompensation verpasster Gelegenheiten?" fragt Hannah Bethke in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (2.10.2018) "Am Ende bleibt das ungute Gefühl, dass man in einer solchen Welt nicht leben möchte. Es bleibt die Beklommenheit, dass man dieser Zukunft ausgeliefert ist und nichts dagegen tun kann. Statt Widerstand regt sich Resignation, weil alle nur noch über Krisen reden."

Kommentare  
Let them eat money, Berlin: Reißbrett
Das Gesamtprojekt ist sehr ambitioniert und auch der Theaterabend gibt einige interessante Denkanstöße. Die Figuren verhandeln z.B. die spannende Frage, ob das Grundeinkommen, für das Linke wie Katja Kipping im realen Leben und das fiktive Duo Roloeg/Rosser im Stück werben, ein emanzipatorisches Projekt ist, das zu einer sozialeren, selbstbestimmteren Gesellschaft führt? Oder ob es sich um ein Trojanisches Pferd handelt, das von Arbeitgeber-Seite genutzt wird, um im nächsten Schritt die Sozialversicherungssysteme abzureißen und den Sozialstaat auf eine Mindestsicherung zu schrumpfen?

Das Problem des Theaterabends ist jedoch, dass die Figuren am Reißbrett entwickelt wurden und durch einen kolportage-artigen Plot hetzen, an dessen Ende Yidunes Tochter Sina (Luise Hart) vor der Entscheidung steht, ob sie die aus dem Ruder gelaufenen Aktionen ihrer Mutter und ihres Ziehvaters weiter mitträgt.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2018/09/29/let-them-eat-money-deutsches-theater-kritik/
Let them eat money, Berlin: Baukasten
Julia Kaschlinskis Bühne bietet Sci-Fi aus dem Anfänger-Baukasten. Eine leere Welt mit ein paar kalten Metallplattformen, eine angedeutete Folterkammer, dazu Matrixgrafiken, Kommentargewitter und KI-Roboter in 80er-Jahre-Grafik, eine Mischung aus Computer-Retro und Zukunftsvision Marke VHS-Kurs, der Boden salzbedeckt, Symbol für die vollständige Zerstörung der natürlichen Ressourcen. Dystopische Versatzstücke überall: die Angst vor der Social-Media-Diktatur (der Schauprozess ist ein Live-Stream mit anschließendem Follower-Urteil), Fremdbestimmung durch totale Überwachung, der Rückzug auf künstliche Habitate nach Zerstörung der Erde. Nichts funktioniert: Der Staat ist zu schwach oder zu ambitioniert, zu pragmatisch oder zu radikal. Der Markt als Heilsbringer sorgt nur für sich und die Revolution hat auch keine antworten. Es soll um Verantwortung gehen an diesem Abend: Wer trägt sie, wer über nimmt sie? Die plumpe Antwort: alle. Der Markt, der Staat, der Aktivismus. Alle sind engstirnig, selbstbezogen und, Kardinalsünde Nummer eins, ängstlich.

Das soll Grundlage für einen komplexen Diskurs sein, einer, der sagt: Jeder hat Schuld, doch keiner ist nur schuldig, niemand nur böse, gute Absichten pflastern den Weg in die Katastrophe. Das Ergebnis ist ein gegenteiliges: Ein platter Nihilismus, der alles Seiten die Möglichkeit zu Antworten abspricht, alle Intentionen und Ansätze gleichermaßen verwirft in einer Ansammlung, abgehalfterter Figuren, die alle vage Schatten von Bösewichtern sind. Keine Held*innen nirgends. am Ende soll die Tochter ausbrechen, einen Ausweg andeuten, einen neuen Pfad beistreten. Doch Doberstein und Veiel finden keinen für sie, nur ein billig plattes Voran. Wohin ist längst egal. Lange vorher lag Jürgen Huth einmal auf dem Rücken und sang mit brüchiger stimme Brechts „Lob des Kommunismus“. Ein sachter Erinnerungshauch aus einer zeit, in der sich Utopien noch denken ließen. Jetzt ist – so erzählt dieser Abend – alles düster, jeder Versuch zu retten unzulänglich und daher zum Scheitern verurteilt, die Frage „Welche Zukunft?!“ beantwortet mit: „Keine.“ Um hierhin zu kommen muss der Zuschauer 105 Minuten Frontalunterricht erdulden, fiktives Dokumentartheater, das seine Trockenheit mit Blut- und Inhaltsleere auffüllt und so aufregend daher kommt wie eine Tagesordnungsdebatte im Stadtrat. Doberstein und Veiel kommt an diesem Abend nicht nur die Zukunft abhanden, sondern auch das Theater. In zwei Jahren endet das Projekt mit einer Abschlusskonferenz. Vielleicht findet auch das keine Antworten, aber womöglich tauchen bis dahin die Fragen wieder auf?

Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2018/09/29/no-future/
Let them eat ..., Berlin: finsternis, lächerliche
ich war vor einem jahr bei diesem monsterworkshop. dort wurden die ZuschauerFreiwilligenAutoren einzelnen "Workshopleitern" zugeordnet, darunter einige chefdistopiker/innen, deren klagen groß und deren lösungsideen für gesellschaftliche grossprobleme sehr gering sind. so typ welzer. dann gabs einen chronologischen graph - an dem man die kommenden katastrophen ablesen konnte - ganz entsprechend den workhopleiter/innen.
seit diesem tag scheint sich an der richtung des ganzen (inhalltlich) wenig bis nichts geändert zu haben - ausser ein bisschen peinliches scifi dekogetue, das auf dem level von raumschiff orion bleibt.
die idee, das publikum zum autoren zu machen finde ich gut, als experiment, und ist wert getestet zu werden. aber bitte nächstesmal ohne manipulative meinungsbildnerinnen, die sich schon in der sammlungsrunde nicht mehr um die idee scheren, und - ganz politisch gehandelt - erstmal versuchen ihre eigne lieblingsystopie unterzubringen.
warum muss theater immer dystopie erzählen? diesen abend gestern sehe ich doch sowieso jeden abend im fernsehen - und dort technisch besser, genauer. oder ich lese ein gutes buch drüber.
bitte bitte - ich will im theater wieder utopien sehen - ich möchte inspiriert werden für eine bessere welt. das alles echt beschissen ist und noch schlimmer wird, dafür muss ich nicht 11.- € bezahlen, dass weiss ich schon. schade, aber ich freue mich auf einen zweiten versuch. dann aber, bitte, liebes deutsches theater - wirklich mit ganz normalem publikum - und einer dramaturgie die aus diesem wissen und fühlen der crowd mehr herausholen kann als nur einen strich.
Let them eat money, Berlin: zu wenig
Dieser Abend ist ja nur ein Teil eines ganzen, ungeheuer aufwändigen, ungeheuer teuren und ambitionierten Projekts. Nachdem ich den ersten Workshop im letzten Jahr sehr enttäuscht verlassen habe, bin ich sehr skeptisch zu "Let them eat money" gegangen. Und wurde dann doch positiv überrascht. Aus meiner Sicht ist es gelungen, einige Prognosestämme plausibel und klug aufzuarbeiten und miteinander in eine gemeinsame Geschichte zu verknüpfen. Die Themen bleiben dabei nicht trocken, und haben immer noch eine gewisse Uneindeutigkeit und Luft zu atmen. Den Versuch zu wagen, komplexe und dynamische Zusammenhänge als gemeinsames und neugieriges Projekt zu einer neuen Geschichte aufzubereiten, sich nicht auf herkömmliche Literatur zu stützen (was würde Sophokles sagen?), nicht die eine Basis einer SciFi-Autorin / eines Autors zu nehmen, ist anerkennenswert.

Diesen Versuch auf eine Theaterbühne bringen zu wollen, mit funktionalem Bühnenbild, mit digitalen Mitteln auf der Höhe der Zeit (Video: Daniel Hengst) eine Idee der Zukunft zu vermitteln, auf Schauspielerinnen und Schauspiel zu setzen: all' das ist eine gute Idee. Einen kleinen Seitenhieb auf die "Parallelwelt" kann ich mir nicht verkneifen: denn hier steht kein Kamerateam im Weg, hier passiert was passiert auf der Bühne, hier gibt es keinen weihevollen Vortrag von Platitüden, hier dient die Technik der Geschichte.

Aber trotzdem funktioniert der Abend dann doch nicht: eine verworrene, gleichsam überfrachtete und detailarme Geschichte, alles seltsam unlebendig, die Charaktere bleiben Abziehbilder. Als habe man sich erst sehr kurz vor dieser Premiere entschieden, worum es eigentlich gehen soll, als würden im Grunde jetzt erst die Schauspieler anfangen, sich die Geschichte zu greifen. Um dann mit allerhand Spirenzchen die magere Kost anzureichern.

Vor dem Hintergrund des eingangs erwähnten Aufwands und der damit verbundenen Kosten ist das leider zu wenig. Da hilft dann der Verweis auf weitere Projektschritte nicht viel, weil am Ende ist es doch ein Theaterprojekt und kein Forschungsvorhaben.
Let them eat money, Gastspiel Dresden: Akkustik
Habe gestern das Gastspiel in Dresden im höchstens halb gefüllten Schauspielhaus gesehen. Zum Inhalt ist oben schon viel gesagt, ich fand es sehr anregend.
Negativ überrascht war ich allerdings von der akustischen Textverständlichkeit - trotz guter Plätze (Reihe 3 Mitte) und Mikros der Schauspieler waren nur 2 von ihnen klar und deutlich zu verstehen - das hätte ich vom DT nicht erwartet und habe es auch noch nicht so erlebt. Für mich lebt Theater aber immer noch vom gesprochenen Wort, dann lieber nicht an den Füßen aufgehängt pendeln lassen.
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