Sommer der vereisten Herzen

von Andrea Heinz

Wien, 29. September 2018. In diesen Zeiten einen Horváth zu machen, das ist, wie man im Süddeutschen sagen würde, aufgelegt. Eine gemähte Wiese. Eine sichere Sache, die sich geradezu aufdrängt. Denn in den Horváthschen Stücken, gerade jenen großen wie "Geschichten aus dem Wiener Wald" oder "Glaube Liebe Hoffnung", in denen eigenwillige, aufrechte Frauen von einer kalten Gesellschaft auf herzloseste Weise gebrochen werden, ist ja alles schon da: Der Sexismus, der die Frauen zur Ware macht, bei Horváth am liebsten zu einer gänzlich leblosen, einer "lieben Toten". Die soziale Ungleichheit, die Ungerechtigkeit, die die Menschen nicht etwa solidarisch macht, sondern zu faschistoiden Einzelkämpfern mit autoritärem Charakter. Fürchten muss man sich vor diesen Figuren.

Wo sind die Menschen hinter dem deformierten Sprechen?

Aber, soviel sei gleich vorweg gesagt: Vor den Knallchargen, die Michael Thalheimer in seiner Inszenierung von "Glaube Liebe Hoffnung" auf die Bühne des Burgtheaters stellt, braucht sich niemand zu fürchten. Thalheimer hat aus dem Stück, das ja eigentlich ein Totentanz ist (und den etwa Christoph Marthaler in seiner exemplarischen Inszenierung bei den Wiener Festwochen auch als solchen gezeigt hat), eine grelle Karikatur gemacht. Die Bühne ist finster und schlicht, ein monströser schwarzer Trichter wölbt sich über ihr wie eine umgedrehte Kuppel, nur aus der Öffnung des Trichters kommt Licht. In diesem Lichtkegel steht Andrea Wenzl als Elisabeth: Eine zarte (und wie sich herausstellen wird auch recht zähe) Gestalt im Blümchenkleid. Um sie herum tauchen die anderen Figuren auf, die Präparatoren (Branko Samarovski, Falk Rockstroh, Marcus Kiepe), an die Elisabeth ihre zukünftige Leiche verkaufen will, die Dessous-Verkäuferin (Christiane von Poelnitz als vulgäre Puff-Mutter), der Schupo (bei Merlin Sandmeyer ein kleines Würstel oder, wie man in Bayern sagen würde, ein Grischperl), all die Menschen, die genau wie Elisabeth an dieser Gesellschaft leiden und die sie dennoch zugrunde gehen lassen wie einen Hund.

Glaube Liebe Hoffnung29 560 Reinhard Werner uUnterm Trichter: Andrea Wenzls Elisabeth und die böse, böse Gesellschaft © Reinhard Werner

Nur, und das erweist sich zunehmend als das große Problem dieser Inszenierung, es sind genau genommen keine Menschen. Es sind groteske Comicfiguren, die allesamt einem Gemälde von George Grosz oder Otto Dix entsprungen zu sein scheinen. Sie humpeln wie Kriegversehrte, verrenken sich, lachen schrill und unpassend, sie gestikulieren unmäßig herum und können ihre mahnend auf- und abwedelnden Zeigefinger oft selber nicht mehr abstellen. Das ergibt auf den ersten Blick durchaus Sinn, schließlich spielt das Stück in einer Zeit, in der ein Weltkrieg die Menschen innerlich wie äußerlich deformiert hat. Bei Thalheimer jedoch geht das so weit, dass man diese schablonenhaften Figuren einfach nicht mehr ernst nehmen kann. Man glaubt ihnen nichts, sie sind einem eigentlich egal. Was die Horváthschen Texte aber so groß, wahr und schmerzhaft macht, ist ja genau, dass hinter dem deformierten Sprechen und Fühlen Menschen stecken, die Herzen haben – und seien sie noch so vereist. Zeigt man sie nicht als solche, sondern als Typen, als Funktionsträger einer Gesellschaftstheorie, höhlt man diese Texte aus.

Hard Rock und Summer of Love

Hier führt das dazu, dass Andrea Wenzls Elisabeth als einziges lebendiges, blutwarmes Wesen auf der Bühne zurückbleibt. Das scheint auch so intendiert. In Form eines Großaufgebotes an Statisten, gewandet mal in Polizeiuniform, mal in den blutbefleckten Kitteln der Präparatoren, schickt Thalheimer "die Gesellschaft" über die Bühne, die "das Individuum" Elisabeth bildgewaltig überrollt. Aber diese Gegenüberstellung von ent-individualisierter Gesellschaft und dem einzelnen Opfer ist eine Abstraktion, eine theoretische Versuchsanordnung. Der Schmerz, das Dringliche gehen dabei verloren. Da hilft auch der (rätselhaft bleibende) Einfall nichts, Elisabeth in einer Art Zwischenspiel ihr Leiden zu Led Zeppelin (Kashmir) oder Janis Joplin (Summertime) körperlich ausagieren zu lassen. Zu Deep Purples Child in Time kommen sie und ihr Schupo sich näher. Was jetzt Hard Rock und Summer of Love mit Horváth zu tun haben? Man weiß es nicht so genau.

Glaube Liebe Hoffnung53 560 Reinhard Werner uDa hilft auch keine Berührung mehr: Christoph Radakovits als ein zweiter Schupo, Andrea Wenzl als Elisabeth © Reinhard Werner

Es ist am Ende Andrea Wenzl, die diesen Abend trägt und sehenswert macht. Und lediglich das Schlussbild zeigt ansatzweise, welche Kraft die Inszenierung hätte entwickeln können. Da liegt Elisabeth, halbnackt und elend vor den anderen, ihren Mördern, auf dem Boden. Sie stopft sich eine Semmel hinein, die man ihr gönnerhaft zugesteckt hat, und speit sie gleich wieder aus. Die anderen schauen ihr beim Sterben zu und man ahnt, hinter diesen grotesk überzeichneten Oberflächen läge noch eine ganze Welt. Aber eine Ahnung ist zu wenig für einen Abend.

 

Glaube Liebe Hoffnung
von Ödön von Horváth unter Mitarbeit von Lukas Kristl
Regie: Michael Thalheimer, Bühne: Olaf Altmann, Kostüme: Katrin Lea Tag, Musik: Bert Wrede, Licht: Friedrich Rom, Dramaturgie: Klaus Missbach.
Mit: Andrea Wenzl, Merlin Sandmeyer, Branko Samarovski, Falk Rockstroh, Marcus Kiepe, Robert Reinagl, Daniel Jesch, Christiane von Poelnitz, Alexandra Henkel, Peter Matić, Hermann Scheidleder, Irina Sulaver, Michael Masula, Christoph Radakovits, Stefan Wieland, Tino Hillebrand und viele andere.
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.burgtheater.at

 

Kritikenrundschau

"Ein toller Horváth, von Thalheimer aus der Distanz inszeniert", schreibt Ronald Pohl in Der Standard (1.10.2018). Michael Thalheimer, "der Pocket-Tragöde des deutschsprachigen Theaters", schneide die Horváth-Figuren von aller sozialen Blutzufuhr ab und mache sie zu "Rufzeichen". "Das ist lange Zeit ästhetisch atemberaubend." Und kaum beginne Thalheimers Bescheidwisserei zu nerven, reiße Andrea Wenzl die Aufführung an sich "und verbürgt ihr vorzügliches Gelingen".

Thalheimer habe "eine zügige, fast expressionistische Version geschaffen, mit durchaus starken Momenten. Auf eines hat er nicht vertraut. Auf Horváths leise Lakonie", schreibt Norbert Mayer in Die Presse (1.10.2018). Damit die Wahrheit in Horváths Texten richtig wirke, brauche es auch Kunstpausen. "Auf die hat diese Inszenierung großteils verzichtet. 'Glaube Liebe Hoffnung' ist hier ein atemloser Horrortrip geworden, ein rockiger Totentanz aus postmodernen Zeiten, zurechtgeschnitten auf einen alles überstrahlenden Star", so Mayer: Thalheimer stelle fast nur Elisabeth (Andrea Wenzl) ins Licht. "Zum Nebenbei wird in dieser kargen Konstellation leider auch das übrige Ensemble – zumeist als bloße Karikaturen angelegt und nicht viel mehr als Chargen."

Michael Thalheimer habe Andrea Wenzl offenkundig davon überzeugt, dass ihre Elisabeth ein insgesamt eher zur Hysterie neigendes Persönchen sei, "denn sie gestikuliert auch wild und tobt, selbst wenn Ruhe angebracht wäre", bemerkt Martin Lhotzky in der FAZ (4.10.2018). Auch die anderen Personen der Handlung würden "grotesk, geradezu grell" überzeichnet. Das letzte Bild rette den Abend nicht ganz, "berührt aber zu guter Letzt dennoch“.

Zu interpretieren gebe es in "Glaube Liebe Hoffnung" nicht viel, die Botschaft des Stücks ist ziemlich unmissverständlich, so Wolfgang Kralicek in der Süddeutschen Zeitung (12.10.2018). "Ein Aspekt aber scheint Thalheimer besonders wichtig zu sein: Elisabeth ist kein Einzelfall, dieses Fräuleindrama hat System." Für Andrea Wenzl dürfte die Hauptrolle "in dieser sehr eigensinnigen, kraftvollen Performance" der Durchbruch sein.

Kommentare  
Glaube Liebe Hoffnung, Wien: Verharmlosung
Eine äusserst treffende Analys von Thalheimers Regie.
Wenn sich nicht Menschen gegenseitig verletzten, sondern Ideen von solchen, dann tuts trotz aller dunklen Bühnengewalt nirgends weh.
Dann entsteht da kein Schmerz.
Dann ist die Kälte nur eine Kälte des Deseins, der Bühne und nie eine der Herzen.
Thalheimer will drastisch sein, aber im Grunde verharmlost er Horvat.
Glaube Liebe Hoffnung, Wien: Lautstärke
quatsch mit sosse. horvath kreiierte kunstfiguren und verpasste ihnen eine kunstsprache. die emotionalität steuerte bert wrdes bühnemusik (janis joplin, deep purple und led zeppelin) bei. andrea wenzl ist großartig, das einzige problem der inszenierung: die überdrehung der lautstärke bei der textabsonderung. da hilft kein hörgerät bei dieser übersteuerung.
Glaube Liebe Hoffnung, Wien: Musik
Wenn ich nicht mehr weiter weis, Trockeneis.
Oder wie hier, Pop-Musik.
Warum man sich dann aber hier nicht mal die Mühe macht diese Übergänge Musikalisch zu bearbeiten, sondern einfach (schlecht abgemixt*) anmacht um dann verschämt raus zu faden, mal kürzer mal länger, dass bleibt mir schleierhaft.
Das es dafür einen Musiker bedarf auch. Play und leise drehen kann auch jeder Hospitant mit Handy und Spotify.

Ich kenne das sonst nur von Umbauten beim Schultheater, bei denen die Theaterpädagogin die Lieblingslieder ihrer Jugend so lange auf dem Gettoblaster aufdreht, bis alle Schüler und Requisiten an der richtigen Position sind um dann "gekonnt" gefühlvoll den Lautstärkeregler auf null zu drehen.

Die Schauspieler sind gut.

Das Bühnenbild hat Kurzzeitig einen beeindruckenden Effekt, man vermisst nach den ersten Minuten aber schmerzhaft eine weitere Möglichkeit für die Darsteller den Raum zu nutzen.

Der einzige Raum der hier für die Darsteller geöffnet wird ist der zwischen Spot (sichtbar) sowie im Dunklen und kaum sichtbar für die Zuschauer. Im Verlauf des Stückes mogeln sich die Szenen dann doch öfter nach vorne, mal ins Licht mal nicht. Das wirkt dann aber eher, als hätte man bei der Premiere das erste mal richtig geleuchtet und von vielen Szenen garnicht gewusst, wo gespielt wird oder man später leuchten muss.

*bei Janis Joplin überlagern sich die höhen von Gesang und Gitarre fast schon schmerzhaft
Glaube Liebe Hoffnung, Wien: neoliberale Freude
Soziales Elend war gestern, Schuldige gibt's nicht, das System ist prima und Frauen sind so gerne Opfer, dass sie dabei immer verdammt gut aussehen.

Das freut sich das neoliberale Publikum einmal mehr über sein neoliberales Theater.
Glaube Liebe Hoffnung, Wien: endlich greifbar
Ich bin hingerissen von dieser Inszenierung. Ich bin heute 63 Jahre alt. Das Stück war bei uns in den 70er Jahren Pflichtgemäße. Damals für mich schwierig. Jetzt, in dieser Inszenierung, endlich greifbar. Und gerade die Auswahl der Musik hat für mich den Bogen zur Zeit, in der ich das Stück kennen lernte, geschlossen. Ich liebe die reduzierte Bühne, den geringen Aufwand, mit dieser großartigen Wirkung, im Zentrum Elisabeth, wie es sich gehört, alle Mitspieler Prototypen, wie es ist!! Einfach nur großartig. Meine 20 jährige Tochter neben mir, hingerissen, hat gleich auf Instagram gepostet, wie sehr sie diese Aufführung begeistert hat. Und eben NICHT kalt gelassen hat! Große Hochachtung für diese Inszenierung, Herr Thalheimer und liebe, verehrte Schauspieler!!
Herzlichen Gruß aus München
Kommentar schreiben