Die Eleganz der Intriganz

von Christian Muggenthaler

Memmingen, 5. Oktober 2018. Historische Stoffe stehen seit längerem schon nicht unbedingt im Zentrum der Arbeit von Dramatikern. Da haben vermutlich zu lange zu viele Menschen an jener Historismus-Grütze gelitten, in der Inhaltliches blubbernd unterzugehen pflegte. Aber wenn man dann aus der Premiere des Dramas "Margarete Maultasch" von Christoph Nußbaumeder kommt, das jetzt Uraufführung am Landestheater Schwaben in Memmingen hatte, fragt man sich: Wieso eigentlich diese Zurückhaltung? Nußbaumeder erzählt vermittels einer historischen Figur und ihrem Schicksal davon, dass vieles an ihr und ihrer Geschichte absolut gegenwärtig ist. Das geht von der immerwährenden Maßlosigkeit der Liebe bis zur Frage, was einem Staat gut tut: Abschottung und Dogma oder Offenheit und Durchlässigkeit.

Ehe als Nahkampfebene hoher Politik

Im Zentrum stehen Haltungen, Hoffnungen – und Karrierepläne. Margarete, Gräfin von Tirol-Görz, lebte von 1318 bis 1369 und ist in die Geschichtsschreibung eingegangen als Margarete "Maultasch", ein Schimpfname, der verschiedene Deutungen erfahren hat, vermutlich "Hure" heißen soll und ihr – natürlich – von Männern verpasst wurde, denen sie nicht zu Willen war. Sie und das von ihr regierte kleine Land Tirol waren Spielball von Großmächten, die damals noch nicht in Nationen, sondern in Familienverbänden gedacht wurden. Margarete heiratete zunächst den Spross der einen, dann den einer anderen Dynastenbrut. Ehe als Nahkampfebene hoher Politik: Es geht in dem Stück auch um die Überlebensfähigkeit von Frauen in einer solchen Auseinandersetzung.

Maultasch 5 560 Forster uStaatenlenkerin in unwirtlicher Epoche: Elisabeth Hütter als Margarete von Tirol-Görz © Forster

Nußbaumeders Stück zeigt eine starke Margarete, die aber nicht stark genug ist, um in den Szenarien aus Intrigen und Liebe, Verrat und Schicksal einen geraden, gangbaren Weg zu finden. Ihre Hoffnungen werden konsequent betrogen, ihre Liebesversuche scheitern. Sie will als Staatenlenkerin utopische Träume Wirklichkeit werden lassen, baut dabei zunächst auf den Hofjuden Simon Löwe, einen weisen Mann, der aber dem Volkszorn hinter ihrem Rücken geopfert wird, dann auf den Adligen Guntram von Arco, den sie selbst opfern muss. Nußbaumeder hält sich bei alldem nicht im mindesten damit auf, sich mit seinem Stück auf irgendeinen Geschichtsmärchenpark zu begeben; die Sprache ist anachronistisch, der Autor befragt den Stoff nach dem, was dieser heute sagen kann.

In einer Schattenwelt

Regisseurin Kathrin Mädler, die Intendantin des Hauses, folgt dieser Spur. Da ist nichts historisierend. Der Bühnenraum (Ausstattung: Mareike Delaquis-Porschka) ist abstrakt: Vier Stoffbahnen verjüngen sich nach hinten auf einen Fluchtpunkt hin. So wird eine Atmosphäre permanenter Bedrohung geschaffen, denn immer kann irgendwer hinter den Stoffbahnen als Schatten lauern, kann lautlos auftauchen, von hinten aus dem Dunkel schleichen. Die Kostüme sind schwarz, zeichenhaft, auch hier bewegen sich die Figuren in einer Schattenwelt. Vor dieser Kulisse, mit diesen Figuren, entfaltet Mädler einen wirksamen, eindringlichen Bühnenabend, der locker durch drei Stunden trägt.

Darstellerisch trennen sich die Frauen- und die Männerrollen in dieser Inszenierung deutlich: Die Männer sind Typen, schräg oft und schrill, eher statisch, immer ein bisschen hohl hinter ihrem mal mehr mal weniger üppigen Dominanzgebahren. David Lau beispielsweise hat (zunächst) als Löwe etwas stark selbstverliebt Dozierendes, Tobias Loth ist als Landeshauptmann Bernhard von Meran ein verschlagener Knöterich, Niklas Maienschein als (zunächst) Johann Heinrich von Luxemburg ein äußerst skurriler Vogel, so eine Art Aasgeier, der im eigenen Hirn nistet. So geht das in einem fort.

Maultasch 2 560 Forster uUmringt von Ingriganten: Elisabeth Hüter als Margarete mit David Lau. Hinter ihnen: Tobias Loth, Jan Arne Looss, André Stuchlik, Jens Schnarre © Forster

Die Frauenfiguren wirken dagegen plastischer, weil sie es sind, auf denen die Last eigentlich wirklich abgeladen wird. Claudia Frost ist eine sehr selbstbeherrschte Concordia von Clement, deren Intriganz von Eleganz getragen wird: Das Töchterchen Julia soll Gräfin werden. Regina Vogel zeigt diese wiederum mit großem Liebreiz, der eine Dynamitstange ummäntelt.

Deutlich im Zentrum aber steht Elisabeth Hütter in der Titelrolle. Sie ist in der Inszenierung dauerpräsent, lenkt sie und durchleidet sie, rast und tobt und stutzt und denkt und weint und lacht, bricht permanent in und durch Emotionen: ein Kraftakt. Wie Hütter es schafft, ihre Figur durch ständige Brüche zu jagen – erst die Naive ist, dann die Rächerin, erst die Träumerin, dann die Realpolitikerin, erst die Verliebte, dann die Leidende, erst die Starke, dann die Gescheiterte, ist bemerkenswert. An diesen Brüchen entlang kann dieser Theaterabend temperamentvoll fließen.

 

Margarete Maultasch
von Christoph Nußbaumeder
Uraufführung
Regie: Kathrin Mädler, Bühne und Kostüme: Mareike Delaquis-Porschka, Dramaturgie: Thomas Gipfel.
Mit: Elisabeth Hütter, Regina Vogel, Claudia Frost, David Lau, Tobias Loth, André Stuchlik, Niklas Maienschein, Jens Schnarre, Jan Arne Looss, Jale Gerber.
Dauer: 2 Stunden 45 Minuten, eine Pause

www.landestheater-schwaben.de

 

Kritikenrundschau

Brigitte Hefele-Beitlich von der Augsburger Allgemeinen (7.10.2018) erlebte "hochdramatische, fesselnde Theaterkunst mit absolut heutigen Figuren". Nußbaumeder erzähle das Drama in der ihm eigenen, handfesten Sprache, mit viel bösem Humor, aber auch großer, berührender Tragik. Kathrin Mädler arbeite das Spiel bis in die kleinste Geste hinein exakt aus. "An diesem Abend stimmte alles."

 

 

 

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