Nicht ohne mein Integrationsstipendium

von Lara-Sophie Milagro

16. Oktober 2018. Ich komme nach einem langen Sommer im Ausland zurück in das Land, von dem ich eigentlich immer dachte, es sei meine Heimat, und habe das Gefühl im falschen Theaterstück gelandet zu sein. In einer vorgezogenen Fastnachtsposse. Protagonisten sind ein als Demokrat verkleideter Neonazi, der sich von Hitlerreden inspirieren lässt, und sein Lakai, der den Tierkundler gibt und gegen die sogenannte Integration hetzt ("Einen Fuchs kann man nicht in den Hühnerstall integrieren", Martin Kohlmann, Pro Chemnitz). Ein Narr hat sich derweil als Innenminister verkleidet und schachert fröhlich mit Ministerialposten. Das Kabinett als Karnevalsverein. Alaaf, Herr Maaßen!

Armsteife vor lauter Hitlergrüßen

Eine seltsame, grell-schauerliche Posse, die da gegeben wird, in einem mir fremd gewordenen Land. Wie kann man überhaupt noch über Kunst schreiben, ohne ignorant und zynisch zu wirken? "Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume ein Verbrechen ist, weil es das Schweigen über so viele Untaten einschließt!", Brecht.

17 NAC Kolumne Visual Milagro V3Und überhaupt scheint mir derzeit so einiges ein Revival der 1930er Jahre zu sein: In Chemnitz kriegen sie schon Armsteife vor lauter Hitlergrüßen. Auf Demos gegen Ausländer und Migranten (eigentlich gegen alle nicht Weißen) wird notorisch die "Lügenpresse" angeprangert ("Ungehemmter denn je führt die rote Lügenpresse ihren Verleumdungsfeldzug durch", Joseph Goebbels). Während die Koalition bröckelt, weiterhin Tote aus dem Mittelmeer gefischt werden, die EU ihr beschämendes Herumgestreite um die Aufnahme von Flüchtenden fortsetzt und die Nachtkritik ihre Gender Gap Studie veröffentlicht.

Das falsche Stück, in das ich geraten bin, weist in Hinblick auf seine Besetzung einige Ähnlichkeiten mit vielen Inszenierungen auf, die sich derzeit zur Spielzeiteröffnung engagiert den Problemen der Welt widmen: die Protagonist*innen und Perspektiven auf und hinter der Bühne sind überwiegend weiß und / oder männlich. People of Colour (PoC) – Flüchtende, Migrantinnen und Menschen mit Migrationsvordergrund – kommen immer wieder und immer noch entweder gar nicht vor oder fungieren als Stichwortgeber, als die "Mutter aller Probleme", als Kulisse, vor der die Mehrheitsgesellschaft ihre tagespolitischen Diskurse verhandelt und dabei immer weiter nach rechts abdriftet.

Das Rollenfach der ewig "Anderen"

Und die großen Berliner Theater? Scheinen bisher vergeblich nach Worten und Taten zu suchen, um auf die beängstigende Entwicklung adäquat zu reagieren. Ist auch schwierig, wenn die eigenen Strukturen einen Teil der gesellschaftlichen Schieflage widerspiegeln. Unter den Berliner Staatstheatern schafft es einzig das Gorki Theater unter Shermin Langhoff, Frauen angemessen in künstlerischen Schlüsselpositionen zu repräsentieren und hervorragendes, gesellschaftspolitisch relevantes Theater zu machen, ohne PoC auf den Status der ewig "Anderen", der vermeintlich oder tatsächlich Geflüchteten und Migrantinnen zu reduzieren.

So macht sich Intendant Ulrich Khuon tiefsinnige Gedanken zum Spielzeitmotto "Wer Wen" seines Deutschen Theaters Berlin und stellt fest, dass das gesellschaftliche Klima derzeit wesentlich davon geprägt ist "wen man nicht da haben will (…). Wer gehört zu dieser Heimat, wer gehört nicht zu dieser Heimat." Hm. Das letzte Mal saß ich Khuon 2012 gegenüber, bei einer Aktion von Bühnenwatch gegen Blackfacing in einer Produktion seines Hauses. Damals kam auch das Einheitsweiß auf der DT-Bühne zur Sprache und man versicherte, in Zukunft dafür zu sorgen, dass sich die gesellschaftliche Realität im Deutschland des 21. Jahrhunderts hautfarben- und herkunftstechnisch künftig im Ensemble des Deutschen Theaters widerspiegeln werde.

Wo ist Lorna Ishema?

Zur Spielzeiteröffnung 2018 ist davon nichts zu sehen und, mit Ausnahme des Gorki Theaters, auch an keinem anderen Staatstheater in der Hauptstadt. Und wo ist überhaupt Lorna Ishema, die bis vor einem Jahr als "Stipendiatin der Deutschlandstiftung Integration im Bereich Schauspiel" (???) am DT engagiert war? Abgesehen davon, dass mir vollkommen neu war, dass man im Rahmen eines Stipendiums Ensemblemitglied an einem Theater werden kann, hatte ich mal das Vergnügen, Lorna einen Nachmittag lang in München zu treffen. Mir ist dabei nicht aufgefallen, dass sie integriert werden müsste. Wen also meint das deutschsprachige Theater wohinein integrieren zu müssen, und warum? Und wie integriert ist es eigentlich selber noch in der Realität da draußen?

Die für mich entscheidende Frage aber lautet: Wie kann auch ich in den Genuss eines solchen Integrations-Stipendiums kommen? Ich muss mich da unbedingt schlau machen. Als freischaffende Schauspielerin mit Migrationsvordergrund und Kind nehme ich jedes Stipendium, egal wie es betitelt ist und egal wie absurd es anmuten mag, mich in der eigenen Heimat integrieren zu müssen. Oder anders und mit den Worten der großen Hattie Mc Daniel ausgedrückt: "Why should I complain about making 700 $ a week playing a maid? If I didn't, I'd be making 7 a week being one."

#unteilbar

Heimat. Wer gehört zu dieser Heimat und wer nicht. Den "Angeboten darüber nachzudenken", die das Deutsche Theater in dieser Spielzeit, u.a. in Form einer Vortragsreihe, ankündigt, blicke ich jedenfalls mit Spannung entgegen. Vielleicht werden ja auch einige Frauen und PoC zu hören und zu sehen sein, und dafür genauso gut entlohnt werden wie ihre weißen männlichen Kollegen. Das wär doch mal was. "Muss nicht schlau sein, nur anders", hat Konrad Wolfs Solo Sunny schon 1980 gesagt, und ich würde mich auch 2018 noch darüber freuen.

Ich dachte in den letzten Wochen oft: Kommt, lasst es. Ich schnapp mir mein Integrationsstipendium, geh ans Nationaltheater Grönland und führe Gespräche über Bäume. Bis letztes Wochenende fast eine Viertel Millionen Menschen in Berlin für Unteilbarkeit auf der Straße waren und wieder so etwas wie ein Heimatgefühl bei mir aufkam. Die Vielfalt der Menschen auf dieser Demonstration ist deutsche Realität. Wann wird sich diese Realität endlich auch auf deutschen Bühnen wiederfinden?

 

Lara-Sophie Milagro ist Schauspielerin, in der Leitung des Künstler*innen Kollektivs Label Noir, Berlinerin in der 5ten Generation und fühlt sich immer da heimisch, wo Heimat offen ist: wo sie singt und lacht, wo sie träumt und spielt.

 

 

Stellungnahme des Deutschen Theaters vom 18.10.2018

In dem Beitrag "Nicht ohne mein Integrationsstipendium" von Lara-Sophie Milagro auf nachtkritik.de am 16.10.2018 schreibt Frau Milagro: "Und wo ist überhaupt Lorna Ishema, die bis vor einem Jahr als "Stipendiatin der Deutschlandstiftung Integration im Bereich Schauspiel" (???) am DT engagiert war? Abgesehen davon, dass mir vollkommen neu war, dass man im Rahmen eines Stipendiums Ensemblemitglied an einem Theater werden kann, …"

Dazu stellen wir fest: Lorna Ishema wurde am Beginn ihres Berufsweges am Deutschen Theater Berlin als festes Ensemblemitglied angestellt, was in keinem Zusammenhang mit der Tatsache stand, dass Lorna Ishema Stipendiatin der Deutschlandstiftung Integration im Bereich Schauspiel war. Auch ihre Gage wurde ausschließlich aus Mitteln des Deutschen Theaters bestritten, die Deutschlandstiftung Integration bietet ihren Stipendiaten und Stipendiatinnen ausdrücklich keine finanzielle Förderung an. Im Übrigen hatte sich Lorna Ishema zu unserem großen Bedauern entschieden, ihr festes Engagement am Deutschen Theater nicht zu verlängern.

Ulrich Khuon, Katharina Wenzel, Deutsches Theater Berlin

 

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