An den Bluttöpfen

von Jan Fischer

Hannover, 18. Oktober 2018. Das Blut fließt reichlich im Schauspiel Hannover. Beim Schlussapplaus sehen sie ganz schön zerzaust aus, die drei Lady Macbeths (Lisa Nathalie Arnold, Johanna Bantzer, Sarah Franke), die drei Macbeths (Jakob Benkhofer, Philippe Goos, Daniel Nerlich) – und König Duncan (Henning Hartmann) ist auch nicht mehr ganz frisch. Das Kunstblut klebt an den Kostümen, den roten und weißen Kleidern, der schäbigen langen Unterwäsche. Es bröckelt ihnen von Gesicht und Händen. Nur der Saxophonist Bendik Giske in seinem Mittelding aus Reizwäsche und Anzug ist einigermaßen sauber geblieben.

Wie auch schon in seiner Edda halten sich Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson und das Ensemble nicht lange mit Subtilitäten auf. Die Inszenierung beginnt bei geschlossenem Vorhang mit einem langen Saxophonton, länger eigentlich, als ein Mensch pusten kann, dann dröhnen Paukenklänge durch den Saal, als trommelte jemand auf leeren Ölfässern. Der Vorhang öffnet sich, das Ensemble haut auf einer sich drehenden Fläche auf die Pauken ein, bis die Stöcke brechen, und Giske hat scheinbar immer noch keine Luft geholt.

Schöner Trick, wenn man’s kann

Zirkuläre Atmung ist ein schöner Trick, wenn man's kann, und Giske kann es. Sein Saxophon ist einer der wiederkehrenden Momente von Arnarssons erstaunlich roh gehaltener Inszenierung. Hexen? Zeit fürs Saxophon. König Duncan feiert mit seinen Untergebenen oder wird ermordet? Zeit fürs Saxophon. Macbeth driftet immer tiefer in den Wahnsinn? Zeit fürs Saxophon. Giske steht am Rand der Bühne oder läuft mitten drüber, schichtet Töne und Effekte übereinander, bis das Instrument mal geisterhafte Akkorde produziert, mal Stimmungen, mal völlig Verfremdetes, Atonales.

macbeth 214 560 Katrin Ribbe uAuf die Plätze, fertig, Blut: Johanna Bantzer, Daniel Nerlich, Henning Hartmann, Philippe Goos, Jakob Benkhofer, Sarah Franke © Katrin Ribbe

Das wichtigste Bühnenelement jedoch ist ein rundes Stück des Bodens, das im ersten Teil der Inszenierung wie ein Karussell rotiert, im zweiten Teil an Drähten emporfährt und zwei Meter über der Bühne eine schwankende, immer steiler werdende Spielfläche abgibt, im dritten an der Unterseite eine spiegelnde, mit Bruchlinien versehene Oberfläche offenbart, unter der das Ensemble agiert und im Laufe der Inszenierung reichlich Kunstblut über sich schüttet.

Der Rest sind schwarze Backsteinwände und Schweinwerfer: Während Macbeth die selbsterfüllende Prophezeiung der Hexen erhält, sich seinen Weg zur Macht mordet und sich in tyrannischem Wahnsinn an sie klammert, ist alles in Zwielicht getaucht. Auf der Bühne wird es selten hell, oft agiert das Ensemble – in manchmal wechselnden Rollen sind die Lady Macbeths auch als Hexen zu sehen, die Macbeths auch als Banquo und Macduff – nur als Schattenrisse. Verschattet sind sie immer. Das Dunkle wohnt in jedem, das Helle ist brüchig.

Ein Märchen, erzählt von einem Idioten

Die Symbolik der Bühne reflektiert Macbeths Entwicklung: Anfangs dreht sich das schottische Personalkarussell, wird zu schwankendem Untergrund und schließlich zur zerbrochenen Reflexion des Wahnsinns. Ebenso wird das Ensemble mit jedem Mord blutiger, wäscht die Hände in Schüsseln voller Kunstblut, trinkt es auf Festen und bei Mahlzeiten, beschmiert sich gegenseitig damit. Macbeth selbst wird mit einer blutigen Krone zum König gekrönt.

macbeth 417 560 Katrin Ribbe uSpiegelkreis und Licht: die Bankett-Szene © Katrin Ribbe

Die wechselnden Rollen erlauben schnelle Repliken, überzeichnete Figuren und Hintergrundgemenge für Menschentableaus. Gemeinsam walzen sie als eine große Machtmaschine Richtung Wahnsinn. Mal unterhalten sich zwei Macbeths, mal gibt es zwei Lady/Macbeth-Paare. Nach dem Mord an Duncan zum Beispiel geht Macbeth mit den Mordwaffen zurück zur Lady. Ab der Stelle gibt es zwei Paare, zwei Macbeths, von denen einer stoisch, aber im inneren Kampf steht. Der andere knickt vor Lady Macbeth zusammen. Die zwei Ladys wiederum reden sich gegenseitig in Rage mit immer demselben Satz, der von Mal zu Mal lauter wird.

Alles das absolviert das Ensemble mit zahnradartiger Spielfreude. Dabei geht es immer um die Frage nach Macht: Macbeth erwirbt sie illegitim, befleckt sich mit Blut, um sie zu bekommen und dann aufrechtzuerhalten, verliert für sie Freunde, Frau, Verstand. Das ist auch die Geschichte, auf die Arnarsson sich in seiner Inszenierung konzentriert: Die Schlussszene, in der die Macht an Malcom als legitimem Machthaber übergeht, ist gestrichen. Stattdessen endet die Inszenierung mit den (von Thomas Brasch übersetzten) Worten: "Es ist ein Märchen, erzählt von einem Idioten", der Moment, in dem Macbeth der letzte ihm nahe Mensch genommen wird: die Lady.

Arnarsson schafft dabei starke Bilder von einfacher Symbolik – die wie geborsten wirkende Spiegelfläche, das Blut, das nach und nach an allen Darstellern klebt –, hält sich aber nicht damit auf, Macbeths Kampf um die erworbene Macht mit der Gegenwart zu vernähen. Stattdessen illustriert er eindrucksvoll, aber auch ein bisschen einseitig, dass Macht, die um der Macht willen, also aus Gier unrechtmäßig erworben und missbraucht wird, ein ziemlich brüchiges Ding ist.

 

Macbeth
von William Shakespeare
Übersetzung von Thomas Brasch
Regie: Thorleifur Örn Arnarsson, Bühne: Börkur Jónsson, Kostüme: Karen Briem, Sounddesign und Komposition: Gabriel Cazes, Komposition und Live-Musik: Bendik Giske, Dramaturgie: Judith Gerstenberg.
Mit: Lisa Natalie Arnold, Johanna Bantzer, Jakob Benkhofer, Sarah Franke, Philippe Goos, Daniel Nerlich, Henning Hartmann, Bendik Giske.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.schauspielhannover.de

 


Kritikenrundschau

Ein "bildgewaltiges, wirkunsgmächtiges Theater" mit "grandios reduziertem Versuchsaufbau" hat Stefan Gohlisch für die Neue Presse (19.10.2018) in Hannover erlebt. Die Akteure "spielen, als gäbe es kein Morgen mehr und auch kein Morden, eine vielstimmige Einheit, mit den fiesen, elektronisch verfremdeten Saxofon-Tönen Bendik Giskes als Störmelder". Statt Figuren erlebe man "Bewusstseinspunktuationen, Facetten eines frappierend modernen Selbst, die Handlung ein einziger Gedankenstrom". Im Ganzen "eine düstere, brettharte, fordernde und oft auch überfordernde Inszenierung, gespeist aus schwärzestem Nihilismus".

Eine "an starken und packenden Szenen" reiche Inszenierung, die eine "opulente, dunkel funkelnde Bühnenshow" biete, sah Ronald Meyer-Arlt für die Hannoversche Allgemeine Zeitung (19.10.2018). Torleifur Örn Arnasson pflege "einen sehr ensembleorientierten Inszenierungsstil; es wird viel improvisiert, man erlaubt sich, auch längere Irrwege gemeinsam zu gehen". Die Aufspaltung der Figur Macbeths (und der Lady) entspreche dem Bild einer "zersplitterten Persönlichkeit", das Shakespeares Text bereithalte. "Trotzdem riecht es nach Kapitulation. So, als würde es sich das Theater einfach nicht mehr zutrauen, großen Schauspielern große Rollen zu geben." In Hannover spielen "alle alles – und natürlich ist jeder auf seine eigene Art manchmal auch großartig".

Über eine "Inszenierung, die vor allem als großer Augenschmaus über die Bühne geht, mit Anklängen an die bildende Kunst – und an den Free Jazz“ berichtet Agnes Bührig für den NDR (19.10.2018) gesehen. Der Abend lege den "Fokus auf das Seelenleben eines Menschen, der mit seinem Schicksal hadert".

Für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (20.10.2018) berichtet Simon Strauss: "Ohne Mikroport – das ist inzwischen auf den Bühnen selten – und ohne andere technische Hilfsmittel lässt Arnarsson sein wendiges Ensemble spielen. Ihre Sätze sprechen sie so, dass sie gültig klingen, ohne selbstherrlich zu sein, ihre Gesten sind ehrlich, ohne alt zu wirken. Und doch ist das Ganze nicht düster genug. Bekommt man zu wenig vom Wahn zu sehen, der beide Ehepartner nach ihrem Mordanschlag packt." Mit zunehmender Spieldauer werde "mehr auf die Ausstattung geachtet". Nebelschwaden und Farbblut und das Saxophonspiel registriert der Kritiker und resümiert: "In Hannover, an diesem Theaterabend, verschwimmt alle Gedankengefahr im nebligen Ungefähr".

Stefan Keim sagt in "Fazit" auf Deutschlandfunk Kultur (18.10.2018): Die Auflösung der Macbeth-Figur wie auch der Lady sei "grandios gemacht in einigen Stellen"; durch die Aufspaltung etwa in der Begegnung mit Banquo vor dessen Ermordung werde der Charakter Macbeth "sogar reicher". Arnarsson öffne viele Assoziationsräume in unsere Gegenwart hinein und schaffe "unglaublich dichte und gruselige Momente" etwa auch in der Durchschreitung des Publikums durch den Saxophonisten oder bei der Bankett-Szene. Arnasson habe "Lust an den Mythen" und könne "die ganz großen Geschichten erzählen" und dabei "auch pathetisch sein, hat aber gleichzeitig einen finsteren, bitteren Humor, manchmal auch einen verspielten Humor".

 

 

Kommentare  
Macbeth, Hannover: brüchige Regiemacht
Regiemacht um der Regiemacht willen ist ein brüchiges Ding. Man nehme eine große klischeehafte Effektbühne, ein genauso klischeehafte, wenn auch gut spielendes Saxophon, die immer gleiche klischeeerzeugende aber vor allem absehbar endlosigkeitserzeugende loop machine dafür, und drehe überall wie auch beim Licht due Regler auf Anschlag, man vermeide jede Figurenführung und verstecke die Vermeidung hinter dem vermeintlichen Kunstgriff der Verdreifachung, täusche dann einen Teil der Handlung an, ohne jegliches Interesse an derselben, aber ein bisschen Pflichterfüllung muss ja sein, um dann wie in jeder Inszenierung dieses "Regisseurs" den Schluss zu streichen, ohne den man sich halt auch die ganze Handlung hätte schenken können, die um des großen Effektes willen am.Anfang auch gar nicht losgehen wollte, und schon ist es zwar kein Märchen, aber durchaus erzählt [...]. Das erzählt nichts über irgendwelche Zustände in unserer Gesellschaft, das erzählt nur von der Unzulänglichkeit dieser Art von Regisseurtheater. Kindergarten mit sehr teurer Verpackung. Hoffen wir, dass Hannover dies mit der neuen Intendantin erspart bleibt!

(Ein Teil dieses Kommentars wurde gekürzt, weil er nicht dem Kommentarkodex von nachtkritik.de entspricht. Nachzulesen ist dieser hier: https://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=12&Itemid=102 d. Red.)
Macbeth, Hannover: Pressehinweise
Ronald Meyer-Arlt, HANNOVERSCHE ALLGEMEINE: "Örn Arnarsson pflegt einen sehr ensembleorientierten Inszenierungsstil; es wird viel improvisiert, man erlaubt sich, auch längere Irrwege gemeinsam zu gehen. […] So spielen hier alle alles - und natürlich ist jeder auf seine eigene Art manchmal auch großartig."
http://www.haz.de/Nachrichten/Kultur/Thorleifur-Oern-Arnasson-inszeniert-Shakespeares-Macbeth-am-Schauspiel-Hannover

Stefan Keim, DEUTSCHLANDFUNK KULTUR: "Und dann hält sich Thorleifur Örn Arnarsson bis zum Ende des dritten Aktes weitgehend an Shakespeares Text und wird erst am Schluss ein bisschen wilder und collagenhafter, was die Geschichte angeht. […] Es ist wirklich grandios gemacht in einigen Stellen. Ich habe einige Abonnenten nach der Premiere gehört, die gesagt haben, ach, das ist doch nicht das richtige Stück von Shakespeare. Doch, es ist es. Man muss nur einfach genau hinschauen. Ein Beispiel: Macbeth und die Lady haben sich gerade an die Macht gemordet. Natürlich spielen die Schauspieler die anderen Rollen auch mit. Dann gibt es ja seinen besten Freund, den Feldherren Banquo, und diesem Banquo begegnet in dem Moment, wo sein Freund an der Macht ist, Macbeth doppelt: es ist der eine, den er kennt, mit dem er zusammen in den Schlachten war, und es ist schon ein anderer, der die eiskalte Seite der Macht verkörpert und der nur daran denkt, wie kann er diesen Banquo am besten aus dem Weg räumen. Und das finde ich hervorragend, weil durch diese Aufspaltung wird dieser Charakter Macbeth in diesem Punkt sogar reicher. Und ähnlich fein hat Thorleifur Örn Arnarsson eigentlich das ganze Stück über gearbeitet. […] Es gibt jetzt keine Videos und es gibt keine Fingerzeige im Sinne von 'Hier habe ich Trump gemeint und hier habe ich den gemeint und den.' Das wäre auch viel zu platt für diese Inszenierung. Das ist wirklich eine Aufführung, die durch ihre raue, sehr körperliche, sehr bilderpralle und musikalische Spielweise diese Denkräume einfach von selbst offenbart. Und es geht wirklich extrem ins Hoffnungslose am Schluss, wenn dieser berühmte Monolog von Shakespeare, bevor dann die Feinde im Original sein Schloss stürmen - das ist in diesem Fall jetzt alles gar nicht mehr nötig, diese Geschichte: das Leben ist ein Märchen, erzählt von einem Idioten, sie kennen das; es wird übrigens die sehr griffige und harte Übersetzung von Thomas Brasch gespielt, die aber doch auch die Shakespeare-Rhythmik und die Schönheit und die Poesie auch durchaus behält -, diese Geschichte wird gleich dreimal gespielt und einmal eben auch auf englisch. Also Shakespeare hat im Original das letzte Wort an diesem Abend."
https://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2018/10/18/finsteres_drama_thorleifur_oern_arnarsson_inszeniert_in_drk_20181018_2322_4021a0ac.mp3?fbclid=IwAR1p1Nq6nS8BiqiLy0OFgn7tKwEZWFNj9Iv68TNHDrB5E64VYh1jZQwm7bg

(Sehr geehrte Anne Klahr, beide Kritiken sind inzwischen eingepflegt. Manchmal kommen wir mit der Arbeit an den Rundschauen langsamer voran als wir uns wünschen. Die Hinweise helfen; vielen Dank! Mit besten Grüßen, Christian Rakow / Redaktion)
Macbeth, Hannover: Technikshow ohne Sinn
Bühnenshow! Sehr richtig. Technikshow. Unterhaltung,selbstverliebt, ohne Inhalt, ohne Sinn, leer. Die Spieler/innen aus dem tollen Hannover Ensemble: allesamt unter dem was sie könnten. Hilflos wirkte es in vielen Momenten, dann nochmal Musik, Drama und Blut. Fertig ist Macbeth
Macbeth, Hannover: Dank an die Redaktion
Sehr geehrter Christian Rakow, die Ausschnitte aus den zwei Premierenbesprechungen sollten in keinster Weise ein Kritisieren der Auswahl ihrer Presserundschau sein, schon gar nicht der Arbeitsgeschwindigkeit ihrer Redaktion, der dankbar stets flinksten im Wald der Feuilletons. Das Zitieren war vor allem auch als Debattenbeitrag zur Einlassung von #1-Mcdoof gedacht, um die unterschiedliche Wahrnehmung von sogenanntem "Regietheater" abzubilden; und wurde ungewollt dann auch ein Vorgriff zu #3-Ernas Anmerkung eines "hilflosen Ensembles".
So nehme ich es gern als willkommenen Anlass, ihrer hervorragenden Arbeit des einzigartig umfangreichen Aufzeigens der stets so wunderbar unterschiedlichen bis gegensätzlichen Positionen beim Erleben von Theater als Kunst und der Möglichkeit zur dazugehörenden Diskussion einmal mehr ausdrücklich zu danken!
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