Und ewig duscht der Kumpel

Von Cornelia Fiedler

Bochum, 3. November 2018. Zweimal Gerhart Hauptmann minus die Summe der in den Stücken verhandelten Probleme weißer Männer ist gleich viel viel Leere. Das ist die Formel für Benny Claessens antipatriarchale Versuchsanordnung "White People‘s Problems / The Evil Dead". Im Eröffnungsdreiklang der Intendanz von Johan Simons in Bochum übernehmen Claessens und sein Ensemble damit den Part der betont respektlosen innertheatralen Opposition.

Nostalgie dem ach so schönen Früher

Minimum vier Stunden gilt es herumzukriegen, wenn auf der Bühne keine geschundenen "Weber" mehr den Aufstand proben dürfen und keine alkoholkranken Bauern mehr "vor Sonnenaufgang" mit windigen Wissenschaftlern diskutieren. Da sie folglich jede Menge Zeit haben, performen die fünf Schauspielerinnen und zwei Schauspieler im ersten Teil des Abends genüsslich und trotzdem kurzweilig: Da schlappt, stapft oder tanzt einer nach der anderen herein, spielt ein kurzes Weinen, Schluchzen oder Greinen an, lässt ein indifferentes "Hallo" fallen und bedient sich dann erst mal am bereit stehenden Thermoskannenkaffee.

Kate Strong und Bernd Rademacher jammern dabei in eiernden Textloops einem ach so schönen „Früher“ hinterher. Sie werfen Zadek in den Ring, dazu "Die Weber", Peymann und Sloterdijk, ach, ach, alle alt, so alt, alle, ach, ach und manche schon tot. Dazu passt die künstlich nostalgische Nachbildung einer sogenannten Waschkaue, eines Dusch- und Umkleideraums für Bergleute, die Bühnenbildner Stefan Britze in die real nostalgische Bochumer Nebenspielstätte "Zeche 1" gebaut hat. Bart Demey und Tania Gallagher steuern Orgelmusik bei, die klingt, als sei sie aus vor Müdigkeit verlangsamten Erinnerungsfetzen kompiliert.

 white people 2 560 JU Bochum uAch, ach, alle alt, und manche auch schon tot: Thelma Buabeng, William Bartley Cooper, Ann Göbel © JU Bochum

Der lamoryante weiße Mann, der hier abdanken soll, hat allerdings ein fundamentaleres Problem als er denkt. "Das größte Problem der Weißen ist, dass sie die Rasse erfunden haben", wird der in diesem Jahr mit dem Alfred-Kerr-Darstellerpreis bedachte Claessens in der Ankündigung zitiert. Das ist nicht neu, auch nicht am Theater. Es macht den Bogen, der hier gespannt werden soll, aber ziemlich groß – und die assoziativ aufploppenden Szenen nicht immer nachvollziehbar. Einerseits wird im weiteren Verlauf der Bergarbeiter als von rechts wie links gleichermaßen verklärter Typus des ehrlichen, kraftstrotzenden Ernährers freundlich parodistisch verabschiedet: Kumpel Bernd Rademacher gibt, natürlich immer wieder ironisch aus der Rolle tretend, die dümmst-möglichen Ratschläge an seinen Sohn weiter. William Bartley Cooper mimt mit vollem Körpereinsatz den „männlichsten aller Männer“, der aber leider von einem noch authentischeren Bergmann ausgestochen wurde und daher nicht bei Milo Rau mitspielen darf. Und dann sind da noch die Bergbau-Statisten, fünf Pin-up Boys, die in der zweiten Hälfte fast durchweg unter den Duschen an der weiß gefließten Bühnenrückwand posieren.

Mit Rollenrudimenten den Diskurs übernehmen?

Diese als unwichtig definierten Männer nehmen hier im Text inzwischen unangenehm viel Platz ein. Auf der Bühne ist das aber leider genauso. Dabei klang es doch, als sollten dort Frauen und People of Colour den Raum und den Diskurs übernehmen. Die stärksten Momente sind jedoch die, wenn die Frauen schmerzlich daran scheitern, die gähnende Leere, die die weggekürzten Männerprobleme hinterlassen, mit den grenzdebilen Rollenrudimenten zu füllen, die ihnen auf der Bühne vorbehalten sind: spleenige Tanten, liebende Töchter, Sexobjekte, Mütter.

 white people 11 560 JU Bochum uSpiel mit Rollenrudimenten: Anne Rietmeijer, Ann Göbel, Thelma Buabeng, Jing Xiang © JU Bochum

Im Gegensatz zu den klar lächerlichen Männerrollen sollen Frauen und PoC hier zu viel auf einmal leisten: Erstens Klischees dekonstruieren, etwa wenn eine penetrant kichernde Mädchenhorde Reclam-Texte beerdigt oder wenn Jin Xiang als Repräsentantin einer kolonial konstruierten Identität folkloristische Kampfgesänge anstimmt. Zweitens sollen sie, wiederum ironisch gebrochen, untragbare Realitäten anprangern, wenn Thelma Buabeng von einer angeblich fernen Vergangenheit erzählt, in der sie aufgrund ihrer Hautfarbe nur Rollen als "Refugee, Dienstmädchen oder Sklavin" angeboten bekommen habe. Drittens sollen sie den Freiheitsbegriff der Aufklärung für sich erobern, der zwar als universell bezeichnet wurde, aber ganz selbstverständlich Sklav*innen und Frauen ausschloss.

Kein eigenes, besseres Neues

Ausgehend von Susan Buck-Morss‘ Studie "Hegel und Haïti" schreiten daher zwei Frauen zur Abrechnung mit Papa Hegel. Der habe zwar vom Sklavenaufstand 1791 in Haïti gewusst. Den Begriff Sklaverei habe er aber weiterhin lieber metaphorisch verwendet und die Freiheit als Sache des weißen Mannes definiert. Vor der Pause trägt Ann Göbel die Anklage in kindlich minderbemitteltem Ton vor und schmiegt sich dabei auf unerträgliche Weise an den Vater. Nach der Pause spielt Jing Xiang den gleichen Text als furiose Trauerrede, nicht ohne sich zwischendurch von den fünf Männerdarstellern trösten zu lassen – ironisch, versteht sich.

Nicht fehlen darf auch das Thema Kannibalismus als koloniale Projektion, ebensowenig ein sadistischer Integrationskurs für Anne Rietmeijer. Irgendwann wirkt der Abend, der so konsequent und stark in der Form begonnen hat, in der Aneinanderreihung von Ideen zu beliebig. Vor allem die Kritik an einer eurozentrischen Gesellschaft, die sich aller Menschheitsverbrechen zum Trotz als Krone der Aufklärung betrachtet, wird im Programmheft deutlich klarer als auf der Bühne. Irritierend ist zudem, dass die betonte Ironie der Performer*innen alles und jeden trifft, aber kaum die eigene Arbeitsweise. Die stärksten Szenen des Abends bleiben also die des Abschieds vom ausgedienten "Alten". Deutlich schwerer fällt offenbar die Suche nach einem eigenen, besseren "Neuen".

 

White People‘s Problems / The Evil Dead
Nach Gerhart Hauptmann
Regie: Benny Claessens, Bühne: Stefan Britze, Kostüme: Teresa Vergho, Musik: Nid & Sancy (Bart Demey, Tania Gallagher), Dramaturgie: Tobias Staab
Mit: Thelma Buabeng, William Bartley Cooper, Ann Göbel, Bernd Rademacher, Anne Rietmeijer, Kate Strong, Jing Xiang
Dauer: 4 Stunden, eine Pause

www.schauspielhausbochum.de

 

Kritikenrundschau

"Alles sehr ehrenwert und politisch korrekt, aber in der Umsetzung längst nicht so erhellend und radikal, wie man es vom zornigen Extremisten Claessens erwartet hätte, sondern bei einigem Witz vor allem: ungeheuer ausgewalzt, redundant und breit getreten", findet Christine Dössel, wie sie in der Süddeutschen Zeitung (5.11.2018) schreibt. Der Abend habe ein großes Nerv- und Quälpotenzial, aber die (Gast-)Schauspieler seien Granaten.

Eine "zä­he Teu­fels­aus­trei­bung und mit­tel­un­ter­halt­sa­men An­ti-Se­xis­mus-Un­ter­richt" hat Simon Strauss von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (5.11.2018)  erlebt. "Ei­ne durch­ge­dreh­te, völ­lig ver­quas­te Po­lit-Per­for­mance ist das, mit ei­ner Men­ge thea­ter­in­ter­ner An­spie­lun­gen und vie­len Hal­tungs­no­ten, die ver­ge­ben wer­den."

Hauptmanns Arbeiterdramen dienten Claessens "als Folie, um gegen den Theaterkanon zu opponieren, oft eine Angelegenheit einer weißen elitären Schicht", schreibt Benjamin Trilling in der taz (5.11.2018). "Identitätspolitische Blasen platzen mit einer Slasherfilm-Freude, dass Schlingensief begeistert gewesen wäre. Mit neuen, feministischen Inhalten füllt Claessens die entstehende Leere nicht." In seiner finalen Ironisierung des Bergmanns tappe Claessens selbst in die Falle "selbstherrlich aus einer elitären Perspektive über diese Verlierer*innen der Deindustrialisierung zu richten."

Der Abend Er wirke "wie eine Ansammlung von Improvisationen zwischen Schauspiel und Körpertheater", so Ulrike Gondorf im Deutschlandfunk (3.11.2018) "Es gibt packende Momente und humorvolle, aber auch alberne, lärmende und banale und einige, die nur Theaterleute interessieren dürften. Es fehlen Struktur und Proportion, und das wichtigste Stilmittel von Regisseur Benny Claessens, die Wiederholung, wirkt irgendwann lähmend und quälend." Das Ensemble immerhin kämpfte mit Leidenschaft und Power.

Kommentare  
White People‘s Problems, Bochum: scharf beobachtet
tolle Kritik und scharf beobachtet!
White People's Problems, Bochum: quälend
eine quälend langweilige gequirlte, aufgeblasene, verkopfte Zeitvergeudung.
vielleicht bin ich auch zu blöd.
White People's Problems, Bochum: nicht unsere Probleme
In dem Stück wird aus meinem Buch "Namibia - Bericht von Mutter mit Tochter über eine selbstorganisierte Reise" gelesen und das Buchcover projiziert. Es wird gleichsam als Beleg für den Titel des Theaterstücks genutzt. Das Buch in diesen Zusammenhang zu stellen ist total verfälschend und verdreht Inhalt und Intention des Buches in sein Gegenteil. Wir nutzten unsere Reise, über die Aktivitäten der Frauen, auf die eigene Kraft gestützt, zu berichten und die Kontakte zu festigen. Ich lehne die verfälschende Nutzung für das Theaterstück ab und fordere die Verantwortlichen auf, das zu unterlassen.
White People's Problems, Bochum: Täuschung
Der Untertitel der Aufführung - nach Gerhart Hauptmann - ist eine schlichte Irreführung. Mit Gerhart Hauptmann hat Benny Claessensˋ Inszenierung absolut nicht zu tun! Ehrlicher und
redlicher Weise müßte das Stück heißen: von Benny Claessens und Ensemble. Vielleicht ist es der Bochumer Dramaturgie möglich, diese Fehlinformation (oder auch Täuschung!)zu korrigieren.
White people's problems, Bochum: Chance vertan
Aus Respekt vor den darstellenden Künstlern - an dieser Stelle Hut ab vor den Schauspielern, die professionell und mit solider Schauspielkunst durchziehen! - verlasse ich normalerweise kein Theaterstück vor der Pause. Aber Claessens Inszenierung war einfach stinklangweilig und nervtötend. Schade, dass er auf diese Art die Chance vertut, ein nach wie vor hochaktuelles Thema seriös auf die Bühne zu holen.
"Claessen`s Problems" hätte es wohl besser geheißen...
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