Gottgleich im Paradies

von Jan Fischer

Braunschweig, 17. November 2018. Am Ende bleibt vom Kokovorismus nur ein Tableau. Vanessa Czapla steht in einem weißen Kleid mitten im Gestrüpp, Joshua Seelenbinder trägt Gräser auf dem Kopf, Getrud Kohl reitet auf Resten von Requisiten heim und Heiner Take, zu dem Zeitpunkt mehr oder weniger in Rolle als August Engelhardt, klebt als gekreuzigter Märtyrer im Bühnengestänge. Niemand bewegt sich, ein Mitarbeiter rückt gleich einem Museumswärter goldene Stelen mit samtenem Absperrband vor die Bühne.

Der Idealismus der Kokosnuss

Eine Touristenattraktion: Das ist es, was in Christian Krachts "Imperium" vom Ernährungs- und Weltidealismus des August Engelhardt bleibt. Dabei war er groß gestartet, war aus Nürnberg in den Südpazifik nach "Deutsch-Neuguinea" gekommen, um die Welt zu ändern. "Zucker und Stärke sind Willensvernichter", verkündet er. Aber es gibt eine Alternative: "Die Kokosnuss ist vollkommen. Wer sich ausschließlich von ihr ernährt, wird gottgleich."

Imperium2 560 Thomas m jauk stage picture uHeftige Peitschenhiebe: Die Wirklichkeit des Kolonialismus zwischen den Gräsern der Utopie (im Bühnenbild von Sabine Mäder) © Thomas M. Jauk / Stage Picture

Also kauft Engelhardt eine Kokosplantage auf der Insel Kabakon, um fortan die geliebte Frucht zu genießen und auch heim nach Deutschland zu schicken. Gleichzeitig gründet er den Sonnenorden, in dessen Zentrum Vegetarismus, Nudismus und die Kokosnuss stehen. "Ich werde den Erdball mit Kokoskolonien umgeben", sagt er. Anfangs hat er Erfolg. Letztendlich aber, nach zwischenmenschlichen sowie ernährungstechnischen Enttäuschungen, verfällt die Utopie und Engelhardt wird zum Märtyrer seines eigenen Idealismus: Der an Lepra erkrankte pökelt am Ende seinen eigenen Finger ein und isst ihn. "Nicht die Kokosnuss ist die Nahrung des Menschen", meint er im Wahn der Krankheit, "der Mensch ist es".

Superfood Kokosnuss

Christian Krachts Roman "Imperium", der Babett Grube als Vorlage ihrer Inszenierung dient, ist eines der wirklich großen literarischen Werke der letzten Jahre, das mit Preisen und Kritikerlob überhäuft wurde. Der Kokovorismus, Engelhardts abstruse Idee des Superfoods Kokosnuss, sein Sonnenorden als utopischer Gegenentwurf zum Kaiserreich und sein Lebenslauf sind keine Erfindung des Autors, sondern basieren auf tatsächlichen Ereignissen um die Jahrhundertwende im deutschen Kolonialreich. Kracht kleidet die stark fiktionalisierte Biographie in eine eigenartig altertümliche Sprache, in der Worte wie "Menetekel" sich problemlos in Schachtelsätze einkuscheln.

Imperium1 560 Thomas m jauk stage picture uSonnenanbeter mit Sonnenbrand: Heiner Take und seine Mitspieler erzählen das Kolonialleben des August Engelhardt       © Thomas M. Jauk / Stage Picture

Die Braunschweiger Inszenierung nimmt Krachts Sprache – und ihre Jahrhundertwende-Melodie – gerne mit. Große Teile der Inszenierung bestehen aus nachgesprochenen Passagen des Romans, durchsetzt mit Dialogen, in denen die Schauspieler und Schauspielerinnen in wechselnden Rollen Engelhardt, seinen Vertrauten Max Lützow, den Gouverneur der nahe gelegenen Inselhauptstadt Herbertshöhe und einige mehr sprechen.

Auch den eigenartigen Humor der Vorlage spürt die Inszenierung auf. Ihre immer bizarreren Ereignisse erzählt Grube mit ruhiger Hand, wie ja schon der Roman seine Ereignisse ohne mit der Wimper zu zucken ausbreitet. Mitunter setzt das spielfreudige Ensemble, das den größten Teil der Inszenierung halbnackt durch das Bühnenbild aus brusthohem Grasgestrüpp stolpert und sich zwischendrin reichlich mit Schlamm einreibt, hier einen hyperaktiven, der Karikatur nahen Kontrapunkt. Diese leichte Überzeichnung wird noch einmal verstärkt durch die ständigen Rollenwechsel und die schnellen Schnitte der Szenen.

Der Atem zu kurz

Einiges ändert die Inszenierung dabei an der Romanvorlage. Am Ende wird Engelhardts Leben nicht von Hollywood inszeniert, sondern gefriert zur besagten Touristenattraktion. In der auf knapp zwei Stunden eingekürzten Spielfassung fällt leider auch viel von der Tiefe des Romans weg. Denn wo Kracht eine eingehende fantastisch bizarre Kolonialismuskritik und die Geschichte einer zum Scheitern verurteilten Utopie, die vielleicht auch nur verblendete Ideologie ist, liefert, da kratzt Grubes Inszenierung in Braunschweig nur an der Oberfläche dieser Themenkomplexe. Sicher hätte der Inszenierung hier ein etwas längerer Atem gutgetan. "Imperium" ist zwar auch ein Feuerwerk des Witzes, der Lust an der Bizarrerie – aber hier bleibt der Zwischenraum zwischen den Explosionen ein wenig leer.

 

Imperium
nach Christian Kracht
Regie: Babett Grube, Bühne: Sabine Mäder, Kostüme: Hanne Lauch, Musik: Fabian Ristau, Dramaturgie: Claudia Lowin.
Mit: Vanessa Czapla, Gertrud Kohl, Joshua Seelenbinder, Heiner Take.
Premiere am 17. November 2018
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause

www.staatstheater-braunschweig.de

 

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