Worte, Worte, wohin mit euch allen

Von Gerhard Preußer

Köln, 23. November 2018. Arnolt Bronnens "Rheinische Rebellen", 1925 uraufgeführt, ist heute ein vergessenes Stück. Frank Castorf hat es einst 1992 ausgegraben und eine Inszenierung hingerotzt mit allerlei Anspielungen auf damals aktuelle deutsch-deutsche Verhängnisse. Es nun, 100 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, im Rheinland wieder auf die Bühne zu bringen, rechtfertigt sich durch Ort und Zeit. Doch durch was noch?

Schwarzer Expressionismus

Bronnens Text scheint ein Drama über die rheinischen Separationsbestrebungen zu sein: 1923 gab es einen kurzfristigen Versuch, das Rheinland von Duisburg bis Trier und Wiesbaden als unabhängigen Staat unter französischer Protektion von Deutschland abzuspalten; der Versuch scheiterte nach wenigen Monaten. Europäische Separatisten gibt es in der Gegenwart genug (allerdings wenige deutsche); das könnte für eine Rechtfertigung der Inszenierung reichen. Wenn die "Rheinischen Rebellen" denn ein Separatistendrama wären.

RheinischeRebellen1 560 Krafft Angerer uHey, was wird hier gespielt, Jörg Ratjen? © Krafft Angerer

Vielmehr ist Bronnens Text ein Machwerk des schwarzen Expressionismus: Die Triebe siegen über alle Politik. Ein Mann zwischen drei Frauen. Der Separatistenchef mit dem unaussprechlichen Namen Occc (Jörg Ratjen), auch Charles genannt, wird zunächst von der russischen Agentin Pola (Yvon Jansen) gesteuert, verliebt sich dann aber nacheinander in zwei rheinische Industriellentöchter. Die ältere mit dem schönen Namen Gien (nicht Gier) ist deutsche Patriotin (Carolin Conrad). Sie setzt sich durch. Der occcidentale Führer kapituliert. Ein schwacher Danton. "Worte, Worte, wohin mit euch allen, Gefühle, Gedanken, wohin, wohin?" Alles durcheinander. Das ist auch das Problem von Bronnens Text: zu viele Worte, zu viele Gefühle, zu viele Gedanken.

Slapstick, Pathos und Enthemmung

Sebastian Baumgarten macht angesichts dessen in seiner Inszenierung vieles richtig. Sie nimmt den Text nicht ganz ernst. Überraschende Aktionen – sich hinter einer Theke verstecken – werden anfangs untermalt durch Gitarrenquietschgeräusche, wie in alten Zeichentrickfilmen. Doch die Slapstickeinlagen verschwinden im Fortlauf des Stückes. Übrig bleibt eine Mischung aus expressionistischem Pathos und Castorf’scher Enthemmung: Die inzestuös-schwüle Bettszene mit den beiden Schwestern wird zu hektischem Gerolle. Die Schauspieler verausgaben sich in Schnellsprechübungen und markierter Ekstase.

RheinischeRebellen2 560 Krafft Angerer uDas Rheinland bleibt, der Liebe wegen: Jörg Ratjen, Carolin Conrad © Krafft Angerer

Das Bühnenbild ist angemessen chaotisch (Bühne: Thilo Reuter), mit vielen Geheimtüren, Drehtüren, Treppen, Telefonzellen, überwiegend in grellem Rot, eingedüstert mit schwarzen Flecken und Kanten. Im Hintergrund reckt sich eine riesige, gefesselte Papphand in den Bühnenhimmel. Laufschriften informieren über die historischen Ereignisse 1923 – Besetzung des Rheinlands, Ruhrkampf, Inflation. Videoeinspielungen auf zwei Projektionsfläche oben links und rechts zeigen historische und aktuelle Bilder von Aufmärschen, Demonstrationen, Terroranschlägen. Wann und wo, ist nicht erkennbar. Nur ein allgemeines optisches Hintergrundflimmern als Aktualitätsverweis.

Brunstlyrik und Vaterlandshymnen

Es gibt gute Gründe, die Geschichte des Separatismus in Erinnerung zu rufen, aber mit welcher Konsequenz? Als Warnung: nie wieder! Oder als Beschwichtigung: Gab es schon immer? Die Inszenierung zeigt keine Haltung dazu.

Bei Bronnen ist das Politische nie so ganz ernst gemeint, es wird überwuchert von geilem Geranke aus Brunstlyrik und Vaterlandshymnen. "Ein großes Reich ist vor uns zerronnen. / Und jetzt ist alles so gekommen, dass / Mein Herz leer geworden ist."

Den deutschnationalen Schluss Bronnens, der schon zeigt, aus welchem Keim sich später Bronnens Freundschaft mit Goebbels und seine Tätigkeit als Nazi-Propagandist entwickelt hat, deutet Baumgarten natürlich um. Statt des schönen sadistischen Schlags mit dem Riemen wird Occc von Gien durch einen schnöden Pistolenknall erledigt. Occc stirbt, bei Bronnen darf er weiterleben, am Boden kriechend. Bei Baumgarten schwenkt er vorher noch die Separatistenfahne. Gien nimmt sie und verbrennt sie und röchelt: "Sonne über Aachen, Sonne über Deutschland." Dann zerfasert sie extemporierend jegliches Pathos: "Sonne über Düsseldorf, Sonne über Vohwinkel, Sonne über Koblenz, auch über Berlin, Sonne über Theaterhaus Jena." Keine schwarz-rot-goldene Fahne, keine Deutschland-Apotheose. Kein Triumph irgendeiner Art.

Alfred Kerr soll über ein anderes Stück von Bronnen geschrieben haben: "Bumms ohne Inhalt. Knall an sich. Leere mit Tempo." Bumms, Knall und Tempo waren da. Und Leere war der Inhalt an sich.

 

Rheinische Rebellen
von Arnolt Bronnen
Regie: Sebastian Baumgarten, Bühne: Thilo Reuther, Kostüme: Jana Findeklee, Joki Tewes, Video: Hannah Dörr, Musik: Stefan Schneider, Licht: Michael Gööck, Dramaturgie: Stawrula Panagiotaki
Mit: Jörg Ratjen, Yvon Jansen, Carolin Conrad, Kristin Steffen, Birgit Walter, Jovan Stojsin
Premiere am 23. November 2018
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.schauspiel.koeln

 

Kritikenrundschau

Als Satire gedacht sei Bronnens Stück, so Martin Burkart auf WDR 3 (24.11.2018). Politisches rücke darin in den Hintergrund, das Stück sei auf die Liebesgeschichte reduziert. Baumgarten nehme das Stück nicht sehr ernst, "versucht es im Stil eiens Comics zu inszenieren". Das erschöpfe sich schnell und wirke bemüht. An das Thema Separatismus knüpfe Baumgarten schon an. "Imposant ist das Bühnenbild", hier baue er auch Historisches und Grelles ein.

 

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