Schimmis Schimmmmpansenkostüm

von Leo Lippert

Wien, 24. November 2018. Im "Nachbarhaus" des Wiener Schauspielhauses ist es heiß und stickig. Der nicht allzu große Raum, der normalerweise als Theaterbar funktioniert, ist vollgestopft mit Stühlen, Schemeln, Bänken, auf denen die Zuschauer*innen nach halbwegs aushaltbaren Sitzpositionen suchen. Aufgescheuchte Theaterangestellte drängen eifrig noch ein paar Ersatzplastikhocker in die Menge. Es riecht nach Studi-Theater, Kellerkabarett. Sichtachsen gibt es so gut wie keine. Wenn man es nicht gerade in die erste Reihe schafft, wird man unweigerlich Dinge verpassen. (Nicht dass das eine Empfehlung wäre, sich in die erste Reihe zu setzen – dazu später). Man wird den ganzen Abend darauf warten, dass das Einpferchen des Publikums irgendeinen größeren Sinn ergäbe, dass das Nicht-Sehen-Können, das körperliche Bedrängtsein irgendwie inhaltlich reflektiert würde. Es scheint aber bloß organisatorische Nachlässigkeit zu sein.

One-man-Show eines Heranwachsenden

Das ist schade, denn das, was auf der Bühne passiert, ist eigentlich ziemlich gut. "Oh Schimmi", nach dem 2016 erschienenen, gleichnamigen Roman von Teresa Präauer (Bühnenfassung: Anna Laner) ist eine verspielte Coming-of-Age-Geschichte, die Anna Marboe als spaßige One-Man-Show inszeniert: ein Solo für Markus Bernhard Börger mit großer Geste und eingeschüchtertem Blick. "Ich bin Schimmi" ruft er immer wieder, und die polternde Selbstversicherung offenbart auch immer schon die Unsicherheit des Noch-Nicht-Erwachsenen, der in der "XXL-Bar" viel zu laut nach seinem Lichtbildausweis gefragt wird.

OhSchimmi1 560 Susanne Einzenberger uSieht aus wie ein Affe, sagt aber: "Isch bin der beste Rapper, und schtrippe für disch", Markus Bernhard Börger in "Oh Schimmi" © Susanne Einzenberger

Jim/Schimmi ist ein höchst unzuverlässiger Erzähler im Oversized-Glanz-Outfit, der noch bei seiner Mutter lebt, und sich bei Porno-Fernsehen nach "Sexualismus" sehnt; der die "Asia" (sprich: Ey-schi-ah)-Girls" im Nagelstudio anstarrt, und seinen leiblichen Cowboy-Vater Sam ("Schäm") sucht. Dabei legt ihm Präauer eine hochartifizielle Jugendsprache in den Mund, mit eben diesen vielen "sch"-Lauten und den verunglückten Fremdwörtern.

Suche nach Männlichkeit

Auf seiner lächerlichen Suche nach Männlichkeit wechselt Schimmi dauernd ansatzlos das Genre, vom Sozialrealismus zum Gangsterfilm, von der Tierdoku zum Wildwest-Rodeo, vom Problemstück zum tränenreichen Melodram, an dessen Ende das (beinahe) gefühlsduselige Wiedersehen mit dem verlorenen Vater steht ("Vater! – Schimmi! – Igitt, er riecht nach Kühen. Ich drücke ihn weg von mir"). Börger manövriert sich souverän durch ein komplexes Arsenal an Stimmungen und Figuren, und macht Schimmis Erwachsenwerden inmitten all der formalen Selbstbezüglichkeit auf sehr altmodische Weise existenziell glaubhaft.

Während sich um Schimmi die unterschiedlichen Genres entfalten, zeigen auch die simplen grauen Sperrholzklötze, die Sophia Profanter auf die Bühne gewürfelt hat, ihr buntes Innenleben. Nach und nach dreht Schimmi die Klötze um, und gibt den Blick frei auf die Tiefenstrukturen seines Begehrens: dichter rosa Flausch, zuckrige Froot Loops-Wandverkleidung (Unicorn Edition), jede Menge baumelnde Wasserbomben, die erst als Frauenbrüste angefasst werden und dann als Fausthiebe zerplatzen, und dabei das gut gekleidete Pärchen in der ersten Reihe (!) ziemlich nass spritzen.

Mensch wie Tier

Bei all dem Spiel mit Genreversatzstücken bleibt "Oh Schimmi" thematisch erstaunlich stringent, und dabei ziemlich queer: Nicht unbedingt, weil das Stück die Grenzen zwischen Mensch und Tier verschwimmen lässt, Schimmi sich nicht nur sprichwörtlich zum Affen macht, und am Ende mit unheimlicher Gesichtsmaske tatsächlich zum Schimm-pansen transformiert wird. Sondern vielmehr, weil Präauer Schimmis Scham (und sein verschämtes Begehren) zum zentralen Problem des Erwachsenwerdens macht.

In Börgers Performance bleibt die Scham immer spürbar: Wenn Schimmi reglos die übersexualisierte Mutter anstarrt, die mit einer Banane in der Hand für ihn "schtrippt". Wenn er vor den Augen seiner angebeteten Ninni auf den Gehsteig stürzt, und die Nagelstudio-Besitzerin abschätzig bemerkt: "Der ist doch bloß ein kleiner Junge!“ Wenn er für die "anwesende Crowd" (also uns Zuschauer*innen) seine "Nummer performt" und dabei ganz aufgeregt verkündet: "Isch bin der beste Rapper, und schtrippe für disch, und du willst meinen Schwingel sehn!" Wenn er seinen Vater Sam beharrlich "Schäm" nennt. Und schließlich, wenn er am Ende nicht aus seinem Affenkostüm rauskommt und verschwitzt-verschmitzt erklärt, dass er da nun eben drinbleiben muss.

 

Oh Schimmi
von Teresa Präauer, Bühnenfassung von Anna Laner
Regie: Anna Marboe, Bühne und Kostüme: Sophia Profanter, Dramaturgie: Anna Laner, Veranstaltungstechnik: Max Windisch-Spörk.
Mit: Markus Bernhard Börger.
Koproduktion Schauspielhaus Wien und Theater Kosmos Bregenz
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause

www.schauspielhaus.at

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