Bekennt euch!

von Michael Wolf

27. November 2018. Ich bin in einem Dorf im Sauerland aufgewachsen. Es gab nicht viel zu tun. In der Grundschule kickte ich einen Ball gegen das Garagentor. In der Realschule auch. Als Gymnasiast war ich dabei betrunken. Ein Stadttheater betrat ich zum ersten Mal mit siebzehn Jahren. Bis dahin kannte ich mich nur mit zwei Inszenierungen aus: mit dem Gottesdienst und NDR-Aufzeichnungen des Ohnsorg-Theaters. Diese Erfahrungen prägen mich bis heute.

Die Party ist vorbei

Gemeinsam ist den Genres die erhoffte Erlösung, mindestens aber Erleichterung durch das geteilte Gelächter, das einträchtige Gebet. Beide gehen sie ganz in ihrer Mission auf. Im Katholizismus ist eine Hostie der Leib Christi. Und im Boulevard verschreibt sich ein Schauspieler der Fleischwerdung seiner Figur, auf dass wir sie erkennen in ihrer Not. Es ist was es ist, sonst gelingt es nicht. Verwandlung lautet das Ziel, ein Wunder also, ein Streben nach dem Unmöglichen. Als solches kommt sie nicht ohne Glauben aus, kam das Theater vielleicht nie ohne Glauben aus.

kolumne wolfEs scheint, als falle es gerade von diesem Glauben ab. Der Kritiker Peter Kümmel schrieb vor einigen Wochen in der Zeit: "Der typische Bühnenkünstler der Gegenwart befindet sich im konstanten unterschwelligen Aufruhr gegen seine Figur – ja gegen den Zwang zur Rolle an sich. Er meint, dass er nicht mehr ernst genommen wird, wenn er seinen Beruf ganz ernst nimmt. Er ist in der Klemme; ein unfreier, zur Ironie gezwungener Mensch."

Ironie hat die Menschen Ende des letzten Jahrhunderts bei Verstand gehalten, als die politischen wie intellektuellen Dualismen kollabierten. Aber die Party ist vorbei. Inzwischen ist sie nur noch die Attitüde eitler Dilettanten und cooler Zauderer. Ausgerechnet das Theater hängt dieser Verlegenheitsideologie an. Wenn schon die auf der Kanzel zweifeln, wird das Publikum ihnen nicht folgen. Womöglich erschöpft sich die Selbstsicherheit der Akteure in ihrer Funktion als Experten der Tagespolitik. Mehr als an ihre Kunst scheinen Theatermacher jedenfalls an den Inhalt der Offenen Briefe zu glauben, die sie im Wochenrhythmus unterzeichnen.

Wir brauchen Fundamentalisten

Kammerspiele-Intendant Matthias Lilienthal beschimpfte Stadttheater-Schauspieler einmal als „Darstellungsbeamte“. Heute ließe sich von Kunstbürokraten sprechen, und von Behörden mit dem Ziel der eigenen moralischen Ertüchtigung. Karlsruhe hat sich das Ressort Frauenförderung gesichert. In Gießen und Hildesheim liegen die Büros zur Etablierung hierarchiefreier Kollektive. Die Berliner Festspiele bewarben sich eilfertig um die Übernahme der Anti-Rassismusstelle. Als Dachverband bietet sich das Bündnis der "Vielen" an, um die Insitutionen in ihrem bis zu Aristoteles zurückreichenden Ziel zu einen: dem Kampf gegen Rechts. Es herrscht Einigkeit. Wenn trotzdem mal einer böse zum anderen war, darf man's dem Spiegel petzen.

Die Theater sind mit internen Konflikten und der großen Politik beschäftigt. Künstlerisch wurschtelt man halt so herum. Solang sich keiner schwarze Farbe ins Gesicht schmiert, schweigt der Betrieb höflich über jedes ästhetische Sakrileg. Dabei besteht der Skandal darin, sich als Gesellschaft ein so teures, wunderbar nutzloses Spielzeug wie das Theater zu leisten, und dann zusehen zu müssen, wie staatstragend, unprätentiös und kleinmütig die Avantgarde damit hantiert. Wir brauchen Fundamentalisten. Ästhetische Agnostiker haben wir schon genug.

Kunst tut keinem weh

Ich selbst glaube an Großartigkeit, an mächtige Gefühle und kühne Gedanken; ich glaube an ein glucksendes Parkett, an Seifenblasen voller Weihrauch. Ich glaube an den heiligen Ernst Heidi Kabels, wenn sie einen Köm kippt; ich glaube an Befreiung durch Quatsch; an Pathos; an die Bereitschaft, sich als Person unmöglich zu machen als notwendige Bedingung Künstler zu sein. Ich glaube an ein Spiel, das lieber grandios scheitern will, als von mir gelobt zu werden.

Viele Menschen sind gerade auf der Suche. Sie wollen sich an etwas festhalten. Einige Zeitgenossen wählen den Dschihad, Chemtrails, Globuli, die Heute Show, Donald Trump, das Selbstexil. Menschen verschreiben sich bescheuerten Sachen. Liebe Theaterschaffende, glauben doch wenigstens Sie an die Kunst. Sie brauchen sich ihrer nicht zu schämen. Denn sie tut keinem weh. Und wenn sie schön ist, tut sie sogar gut.

 

Michael Wolf, Jahrgang 1988, ist Redakteur bei nachtkritik.de. Er mag Theater am liebsten, wenn es schön ist. Es muss nicht auch noch wahr und gut sein.

 

Zuletzt verriet Michael Wolf in seiner Kolumne seine Techniken für geheime Abschweifungen.

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