Macbeth III – Jetzt erst recht

von Michael Wolf

Berlin, 29. November 2018. Dieser Theaterabend ist ein Wettstreit der Pessimisten. Drei Kontrahenten treten an, ein Menschenbild zu besudeln. Der erste Kandidat heißt William Shakespeare. In der Tragödie "Macbeth" erzählt er den blutigen Aufstieg eines treuen Soldaten zum tyrannischen König von Schottland. Das Stück dürfen wir mit Fug und Recht als eines der größten Gemetzel der europäischen Literaturgeschichte verbuchen. Dennoch gibt's Abzüge in der B-Wertung: Denn am Ende ist der Schurke tot und der rechtmäßige Thronerbe verspricht die Rückkehr zur Ordnung.

Kandidat Nr. 2 namens Heiner Müller ging das nicht weit genug. Seine schlanke Bearbeitung gerät noch um einiges düsterer. So lässt er die Herren Grafen just for fun noch ein paar Bedienstete meucheln. Außerdem führt Macbeths Tod hier keineswegs zurück auf den Pfad der Tugend. Auch unter dem neuen König Malcolm wird die Barbarei nicht enden.

Womit wir beim letzten Kandidaten Michael Thalheimer ankommen, der sich mit seiner Inszenierung am Berliner Ensemble sichtlich bemüht, dem Schrecken noch eins draufzusetzen. Macbeth III – Jetzt erst recht, heißt: null Hoffnung, dafür noch mehr Gemetzel. Nur: Wo nimmt er dafür das ganze Blut her? Wie kommt die Gewalt in den Menschen?

In der Hölle des Menschseins

Kathrin Wehlisch liefert schon zu Beginn die Antwort. Als Hexe schleicht sie über Olaf Altmanns vernebelte, leere Drehbühne, schmiegt ihren rot triefenden Körper an Ingo Hülsmanns Duncan, legt ihm die Hand in den Schritt und drückt zu. Bei Shakespeare stacheln die Hexen nur Macbeth mit ihrer Prophezeiung zum Königsmord an. Bei Thalheimer sind sie immer schon dagewesen. Sie sind der Trieb im Menschen, sie treiben es mit uns in unseren Träumen; ihre Botschaften vergiften zuverlässig eines jeden Herz. "Der Mensch ein Dreck, sein Leben ein Gelächter." Macht ist hier gleich Tyrannei, Stärke entlädt sich in Gewalt, das einzige Gesetz heißt Unterdrückung.

Macbeth 01 560 Matthias Horn uKathrin Wehlisch als Hexe © Matthias Horn

Sascha Nathan und Constanze Becker als Ehepaar Macbeth leiden nur pflichtschuldig an ihren Verbrechen. Reue ist der Traum von einem unschuldigen Leben. Sie aber wissen bereits, dass ihnen diese Hoffnung verwehrt bleibt. Da ist kein Fluchtweg durchs Fegefeuer. Nur die Hölle des Seins bleibt ihnen, das Menschsein ohne Fähigkeit zur Menschlichkeit. Seelenfriede ist für sie nicht vorgesehen und nicht mal Befriedigung.

Verdichtung des Stoffs

Kaum ist er König, führt sich Macbeth wie ein neureicher Prolet auf. Er blafft seine Lady an, schubst sie mit seinem Wanst, grollt, gröhlt und grummelt launig. Jetzt, da er sie hat, weiß er nicht, was er mit der Macht anfangen soll – außer sie zu erhalten. Er ist seiner eigenen Disposition zur Gewalt nicht gewachsen. Wie ein Sklave beugt Nathan seinen Rücken in Richtung Boden. Als sich die Schlinge um ihn zuzieht, jammert und schreit er mit schriller Stimme, rollt mit den Augen, windet sich wie ein kleiner Junge im Bällchenbad des Schreckens. "Könnt ich zurück gehn in das Kind das ich war!"

Denn hier leuchtet doch ein Fünkchen Hoffnung: in der kindlichen Unschuld. Es ist dies ein wirklich böser Coup Thalheimers, diese Möglichkeit aufzuzeigen, um sie sogleich zu nichten. Wie der Türhüter in Kafkas Erzählung "Vor dem Gesetz" zeigt er das Tor zur Erlösung, nur um es gleich darauf zu schließen. Kathrin Wehlisch, der heimliche Star des Abends, übernimmt auch die Rolle des Malcolm. Wehlisch lässt uns die Tränen in ihren Augen bestaunen, zeigt ihn uns als scheuen Knaben, der den Tod seines Vaters Duncan betrauert. Als einzige Figur ist dieser Junge zu edlen Gefühlen fähig. Am Schluss wiederholt sich das Bild. Macbeth ist gerade tot, Malcolm übernimmt den Thron. Wieder tritt Wehlisch an die Rampe, wieder sind da Tränen in ihren Augen. Aber sobald die Krone auf ihrem Kopf liegt, verzerrt sie ihr Gesicht – erst zu einer Grimasse des Schmerzes, dann zu einer der Lust. Macht korrumpiert auch das unschuldigste Wesen.

Macbeth 03 560 Matthias Horn uSchicksal: Mord und Totschlag. Sascha Nathan und Constanze Becker als Macbeth und Lady Macbeth © Matthias Horn

Thalheimers Pessimismus scheint von anderer Art zu sein als die des Seelenerkunders Shakespeare oder des desillusionierten Marxisten Müller. Er richtet sich nicht mehr auf etwas Äußeres, ist keine Beschreibung psychologischer Naturelle oder sozialer Verhältnisse mehr, sondern nur noch die Verdichtung des Stoffs, auf dass er als Kunst glänze. Deshalb bleibt die vierte Wand an diesem Abend so peinlich strikt geschlossen, deshalb ist der Nebel so dicht, deshalb dreht sich die Drehbühne nur um sich selbst. Wenn sich das Theater hier eine Sekunde lang vergäße, könnte es in Zweifel geraten, ob die Welt wirklich so schlecht ist. Ob der Mensch dieses Bildnis seiner selbst wirklich verdient.

Macbeth
von Heiner Müller nach William Shakespeare
Regie: Michael Thalheimer, Bühne: Olaf Altmann, Kostüme: Nehle Balkhausen, Musik: Bert Wrede, Dramaturgie: Bernd Stegemann, Licht: Ulrich Eh.
Mit: Constanze Becker, Ingo Hülsmann, Niklas Kohrt, Sascha Nathan, Tilo Nest, Kathrin Wehlisch.
Premiere am 29.11.2018
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause

https://www.berliner-ensemble.de

 

Kritikenrundschau

"Michael Thalheimer schafft viele ausdrucksstarke Bilder. Auch wenn einige Grusel- und Schockeffekte darunter sind – die Inszenierung ist insgesamt eine stimmige, runde Sache", befindet Nadine Kreuzahler auf rbb online (30.11.2018). Die Schauspieler lieferten eine "beeindruckende Leistung" ab. "Dieser Macbeth bereitet Vergnügen – obwohl er ausweglos böse und finster ist."

"Nichts kommt aus dem Augenblick, alles ist Form, Arrangement, Pose, Sport und Protokoll. Thalheimer eben", schreibt Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (online am 30.11.2018). Wo die Macbeths bei Shakespeare ein glückliches Ehepaar sind, ist "schon bei Müller wenig übrig: Sex- und Todestrieb. Bei Thalheimer wird nun ein Slapstick daraus." "Dieser aufgepumpte und zerdehnte Abend trägt seine laute, schwarz angepinselte kunstreligiöse Weltabgewandtheit vor sich her", so Seidler. "Seine aufgesetzte Langsamkeit ist der gemeinste und zugleich wirkungsvollste Effekt. Als würde jemand zugleich Vollgas geben und mit großer Unerschütterlichkeit auf den Klötzern stehen. Nervt."

"Wie oft kommt es vor, dass man sich zu Beginn einer Inszenierung denkt: 'Ach nee, jetzt bitte nicht eine Stunde fünfzig Minuten kriechende Zombies und Blut', und am Ende geht man richtig beglückt aus dem Theater?" schreibt Hannah Lühmann in der Tageszeitung Die Welt (1.12.2018). "Nicht so häufig, aber am Donnerstagabend in Thalheimers 'Macbeth' am Berliner Ensemble war es so."

"Selten also wirkte eine Thalheimer-Inszenierung einfältiger," schreibt Peter von Becker im Berliner Tagesspiegel (1.12.2018). "Vermutlich hatten Regie und Dramaturgie (Bernd Stegemann) noch an die Schauerdramen des Grand Guignol gedacht, um den von Müller so geschätzten 'Humor' der Schlächter herbei zu zitieren. Doch dann hätten die Schauspieler auf der haarscharfen Schneide zwischen Tragödie und Kasperletheater tanzen müssen. Ihnen blieb indes fast nur das Stelzen und Taumeln in die umnebelte Pathetik. Sascha Nathans stämmiger Macbeth trägt dazu den halben Abend lang vor allem seinen nackten Bauch spazieren und trifft beim Wechseln zwischen Kommandogebrüll, fisteligem Greinen und infantilem Jammern kaum einen eigenen Ton." Fazit dieses Kritikers: "Statt Horrorkunst nur der kleine, künstliche Schreck."

"Die Spielweise ist oft gleichzeitig überhitzt und wie eingefroren, ganz auf den Text konzentriert, ohne ihn mit Oberflächenaktionen zu illustrieren, und genau deshalb von einer Intensität, die im allerorts von Ironie vergifteten Theaterbetrieb selten geworden ist", schreibt Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (1.12.2018). "Der Bühnenbildner Olaf Altmann taucht die leere Spielfläche in dichten Nebel, aus dem die Figuren auftauchen wie aus einem Albtraum. Das ist nicht nur atmosphärisch zwingend, es passt auch zu einem Stück, in dem es leitmotivisch immer wieder um den Terror der Wahrnehmung geht, egal ob Macbeths 'blutiges Geschäft' sein Auge in 'die Lehre nimmt', ob er überall Blut sieht oder ob er sich 'sattgesehen' hat am Grauen unter der Sonne."

"Thalheimer inszeniert mit bitterem Ernst. Die Kälte, mit der er die Handlung überzieht, tötet alles Leben – das ist der Nachteil: Kein echter Blick, keine überraschende Bewegung. Nicht einmal ein nebensächliches Wort gibt es hier. Alles ist stark stilisiert und starr gestellt," so der Befund von Simon Strauß in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (1.12.2018). Setzungen sind es, die Thalheimer schafft, keine Darstellungen. 'Macbeth' wird an diesem Abend somit zu einer Art Beschwörungsritual. Die Texte werden wie anklagende Gebete gesprochen an Götter, die man verleugnet. Zwei Stunden, die nicht leicht vergehen, aber drängend im Gedächtnis bleiben."

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