Der Tod soll scheißen gehen

von Andrea Heinz

Wien, 12. Dezember 2018. In Deutschland wird derzeit dem "mordenden Krankenpfleger" Nils Högel der Prozess gemacht, der wohl mehr als 100 Menschen auf dem Gewissen hat. Viel ist da die Rede vom Pflegenotstand, den Zuständen in Krankenhäusern und davon, wie monströs, monströser noch als die Banalität dieses Bösen, das Desinteresse der Leute an den vielen Opfern ist, weil sie vermeintlich ohnehin alt, krank oder dem Tode geweiht waren. In Wien gab es einen ähnlichen Fall in den 1980-Jahren. Die "Todesengel von Lainz“, auch bekannt als "Lainzer Mordschwestern", töteten eine große Anzahl an Menschen, angeblich aus Mitleid, eher aber aus anderen Gründen. "War es die Tat wahnsinniger Einzelgängerinnen oder ein Symptom für den wachsenden Altenhaß in der modernen Gesellschaft?", fragte der Spiegel damals besorgt – und konnte sich den reißerischen Titel "Wo die Traudl is, wird kräftig gsturbn" dann doch nicht verkneifen.

Ist böse sein sexy?

Diese Lainzer Mordschwestern sind der Hintergrund für die aktuelle Arbeit des österreichischen Performancekollektivs Die Rabtaldirndln in der Regie von Ed. Hauswirth im Wiener brut. "Böse Frauen" nennt sich der Abend, der, siehe Nils Högel, durchaus einige Aktualität entwickeln könnte. Jedoch: Ihm fehlt eine stringente Dramaturgie, er will viel, denkt aber wenig zu Ende. Zu Beginn sieht man die drei Rabtaldirndln Barbara Carli, Rosa Degen-Faschinger und Gudrun Maier jeweils auf Videoprojektionen, sie liegen offenbar schwer krank im Bett und machen ihre Patientinnenerklärungen. Sodann kommen die drei mit Hoverboards auf die Bühne gefahren, ganz in grau, mit grauhaarigen Perücken. Sie stellen sich ihre Zukunft vor, welche Krankheiten sie haben werden, wie sie sich gegenseitig pflegen. Die Aussicht aufs Sterben finden sie eher nicht so cool: "Der Tod soll scheißen gehen."

BoeseFrauen2 560 ChristineMiess uVor der Yellow-Press-Kulisse: Rosa Degen-Faschinger © Christine Miess

Vom Mikro mit zunehmend nervigem Hall (dessen Einsatz nicht ganz zwingend erscheint) unterlegt, sagen sie Sätze, wie sie wohl Pflegeheiminsass*innen tun: Mir ist langweilig. Das Essen schmeckt nicht. So was in der Richtung. Oder, immer wieder: Ham wir heut scho’ was g’sungen? Es folgt ein Medley aus Sätzen, welche die Boulevard-Presse über die Lainzer Mordschwestern dichtete, von der "Hex", bei der alle "Ex" gingen bis hin zu Tschernobyl, das Lainz gewesen sein soll (naja). Vom eigenen Wunsch nach Selbstbestimmung und würdigem Sterben geht es so recht unmotiviert zur "Anrufung der Energie der Lainzer Mordschwestern" und der Frage: "Seid ihr böse Frauen? Ist böse sein sexy?".

Jetzt geht es um den Tod selbst

Im weiteren Verlauf gibt es eine recht plakative Vorführung dessen, wie schnell Macht Menschen zu Sadismus verführt (siehe Stanford-Prison-Experiment) oder den Auftritt eines Pflegeroboters, der zeigt, dass keine Gefühle haben in der Pflege gut (kein Ekel vor Körperflüssigkeiten), aber auch sehr schlecht ist (kein Problem mit Mord). Im Hintergrund laufen immer wieder Übungsvideos zu Handgriffen und Techniken in der Pflege, die die Performerinnen mit professioneller Unterstützung aufgenommen haben. Zwischendurch erzählen sie Geschichten von Menschen, an deren Tod sie sich erinnern, der Omi etwa oder dem Religionslehrer. Von den Themenfeldern Pflege oder Gewalt ist man da schon weit weg, jetzt geht es um den Tod selbst. Dazwischen wird sich dann auch noch bei billigem Wein über die "12 neuen Todsünden" unterhalten, zu denen Sauberkeit, Intelligenz oder "Süßes" zählen.

BoeseFrauen3 560 ChristineMiess uAuf Hoverboards zum Mord: Gudrun Maier, Rosa Degen-Faschinger, Barbara Carli © Christine Miess

Das macht als Assoziationskette sicher alles irgendwie Sinn, führt aber zu einem wirren, ziellosen und zunehmend zähen Abend. Es fehlt eine Richtung. Man weiß nicht, ob es nun um Pflege, Machtbeziehungen, Herr-Knecht-Problematik, Sterbehilfe, Mord oder einfach nur um den Tod selbst gehen soll. Nur sind das halt doch recht unterschiedliche Dinge. Besser wird das weder durch das viele Schreien und Kreischen, noch durch den Humor. Es kann und darf gelacht werden, doch lustig ist hier hauptsächlich das Rabiate, die Grobheit und das möglichst Kaltschnäuzige. Das ist eher kein Lachen, das einem im Halse stecken bleibt. Es ist zu plakativ, zu forciert, als dass man noch lange darüber nachdenken würde.

Letztlich liegt hier das Problem: Es wird einiges angedacht und es gibt gute Ansätze und Ideen, etwa das Übungsvideo oder den Pflegeroboter. Nichts aber wird wirklich konsequent durchgedacht. In krassem Gegensatz zur Wucht, die in jedem einzelnen der Themen steckt, gibt einem die etwas beliebig wirkende Zusammenschau nicht lange zu denken. Nichts hallt nach.

 

Böse Frauen
Konzept und Umsetzung: Die Rabtaldirndln und Ed. Hauswirth
Regie: Ed. Hauswirth, Ausstattung/Künstlerischer Support: Georg Klüver-Pfandtner, Video: Stefan Schmid, Georg Klüver-Pfandtner, Filmset-Betreuung Chorleitung/Arrangement: Andrés García, Dramaturgie: Gerda Saiko.
Mit: Barbara Carli, Rosa Degen-Faschinger, Gudrun Maier.
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause

brut-wien.at

 

Kritikenrundschau

"Es ist ein äußerst dichter und perspektivenreicher Abend", schreibt Julia Schafferhofer in der Kleinen Zeitung (14.12.2018). "Mit Fragen, Feststellungen und exemplarischen Übungen massieren die Performerinnen die Schmerzgrenze des Zumutbaren. Das ist gut so."

 

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