Wie herrlich klingt das!

von Katrin Ullmann

Hamburg, 12. Dezember 2018. Es gibt sie immer wieder, diese Wortkaskaden. Auf Partys, in Foyers, auf Raucherbalkonen. Aus dem Nichts flirren sie los, prasseln auf einen ein. Sie sind voll kundiger Anspielungen, angefüllt mit Subtexten und Verweisen. Intelligent scheinen sie zu sein und irgendwie vielschichtig. Oft wird mit schneller, erregter Stimme gesprochen. Ohne Pausen, ohne Innehalten oder Aushalten. Doch wenn das Rauschen verebbt, stellt man fest, dass eigentlich nichts wirklich gesagt wurde. Zurück bleibt eine fragende Leere.

Multikulturell, interdisziplinär

Ein ganz ähnliches Gefühl stellt sich nach der Performance von "Planet Kigali" ein. Für dieses Stück haben sich viele Menschen viele Gedanken gemacht, zu einem komplexen, komplizierten Thema. Sind nach Ruanda gereist, haben Tänzer getroffen, haben mit Regisseuren getanzt, haben mit Performern geredet – über die Rolle des ruandischen Tanzes, den Intore, über dessen Wurzeln, dessen Kunst und Körperlichkeit. Sie haben über die Vergangenheit des ostafrikanischen Binnenstaats nachgedacht, über den Völkermord 1994, der in Ruandas Hauptstadt Kigali seinen Anfang nahm, und über die Traumata, die er bis heute hinterlassen hat. Sie sind sogar – denn es waren Deutsche unter ihnen – bis ins 19. Jahrhundert gereist in die Kolonialzeit von Deutsch-Ostafrika und haben wieder nachgedacht.

PlanetKigali 560 ChrisSchwagga uSchräge Muster, vielstimmiges Rauschen: Ankündigungsfoto zu "Planet Kigali" © Chris Schwagga

Aus all diesen Recherchen, Erfahrungen, Begegnungen und Energien haben sie ein Stück entwickelt. Ein multikulturelles, versteht sich, und auch ein interdisziplinäres. Sie, das sind die deutsch-mexikanische Choreografin Yolanda Gutièrrez, der deutsche Dramaturg Jens Dietrich und der ruandische Schauspieler und Regisseur Dorcy Rugamba. In verschiedenen Konstellationen haben die drei Theatermacher bereits zusammengearbeitet, etwa bei "Political Bodies" zu protestierenden Breakdancern im Senegal oder beim 2011 uraufgeführten Stück Hate Radio, dem Reenactment einer Sendung des ruandischen Völkermordradios RTLM des Schweizer Regisseurs Milo Rau.

Die Texte sind eigentlich ganz schön

Es sind also Menschen beteiligt, die sich auseinandersetzen und Menschen, die Adorno zitieren. Die an "body memory" denken, an Körpersprache und an Identität. An Vergangenheit und Schuld, an Utopien und Visionen. Mit "Planet Kigali" wollen sie, wie es in der Ankündigung heißt, eine "Länder verbindende Erzählung entwerfen über die Untiefen der Vergangenheit hinweg hin zu einer neuen, verflüssigten Identität." Wie herrlich klingt das! Futuristisch, visionär, friedlich! Doch tatsächlich ist "Planet Kigali" einer dieser Abende, bei dem die Gedanken der Theatermacher im Programmheft bleiben mussten – vermutlich aus Sorge, dass sie sich auf der Bühne verlaufen hätten.

Denn gesehen und gehört hat man: sechs Performer unterschiedlichster Nationalitäten (von Österreich bis Ruanda), schlichte Choreografien, Kostüme mit grafischen Mustern, exotischen Rhythmustanz, viel, sehr viel Nebel, bunte Videoschnipsel vom Straßenleben in Kigali und vom Hamburger Hafen sowie drängende Beats und hektisch gesprochene Texte auf Englisch, Französisch, Deutsch und Kinyarwanda. Die Texte sind eigentlich ganz schön: Bildhaft erzählen sie von Vergangenheiten, vom Kindsein der Performer und von der Flüchtigkeit des Seins. Nur geraten sie recht nebensächlich und sind selbst so flüchtig, dass man sie kaum erfassen kann. "Planet Kigali" ist Kulturaustausch, ist transkontinentale Vernetzung und Versöhnung und vor allem ein ambitioniertes Projekt, von dem die Macher und Performer sicherlich noch lange zehren werden. Für den Zuschauer ist es jedoch nicht mehr als eine flirrende Kaskade, nach deren Verebben fragende Leere zurückbleibt.

 

Planet Kigali
von Yolanda Gutièrrez / Jens Dietrich / Dorcy Rugamba
Regie: Dorcy Rugamba, Choreografie: Yolanda Gutiérrez, Text und Dramaturgie: Jens Dietrich, Bühne: Jelka Plate, Musik: Andi Otto, Kostüme: Moshions, Helme, Corporate Design: Chris Schwagga, Videomapping: Dr. Calavera, Visuals: Yolanda Gutiérrez, Produktionsleitung: Christina Schäfers.
Mit: Laura Böttinger, Evariste Karinganire, Frank Koenen, Sarah Lasaki, Wesley Ruzibiza, Eliane Umuhire.
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause

www.kampnagel.de

 

Änderung am 16. Dezember 2018: In einer ersten Fassung dieses Textes war die auf der Bühne zu hörende Sprache Ruandas falsch zugewiesen. Die Stelle wurde berichtigt.

 

Kritikenrundschau

In einer "Welt der Harmonie, in der Unterschiede aufgehoben sind" und in der "die gewalttätige, kolonial geprägte Vergangenheit in einem Friedlichen Hier und Jetzt aufgeht", sieht Annette Stiekele vom Hamburger Abendblatt (14.12.2018) "Planet Kigali" verortet. Nach dem Slow-Motion-Intro im Nebel verhandle das deutsch-ruandische Ensemble tänzerisch Gegensätze, wobei die Bewegungen "vielfach eher Raumeroberung als virtuoser Tanz" seien. Das Konzept der Choreografie werde "nur langsam konkreter, fassbarer". Im sinnlichen Spektakel könne der Zuschauer "leicht die Orientierung verlieren", so Stiekele. "Am Ende des Abends ist vielleicht eine Vorstellung davon entstanden, wie ein idealer Planet aussehen könnte. Doch noch ist der ein ferner Ort."

Weniger über einen Ort, wie es der Titel nahelege, sondern über die Zeit an sich – die flüchtige Präsenz, das Auflösen im Augenblick, das Ankommen der Figuren aus der Zukunft, für die unsere Gegenwart Vergangenheit ist – philosophiere "Planet Kigali", "nicht auf eine komplizierte, sondern fast poetische Weise", so Elisabeth Nehring bei Deutschlandfunk Kultur (12.12.2018). Das Bewegungsmaterial aus klassischem ruandischem und zeitgenössischem europäischem Tanz vermittelte ihr den Eindruck, jegliche Folklore solle vermieden werden, auch wenn das Stampfen, "sehr typisch für den afrikanischen Tanz als Element", eine große Rolle spiele. Anfangs im Nebel, Im Verlauf gewänne das Stück "viel Fleisch und Blut" und die Tänzer*innen eine "sehr viel konkretere Präsenz als am Anfang".

 

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