­Fröhliche Einführung in Waffenkunde

von Sabine Leucht

München, 12. Dezember 2018. "Ceci n'est pas un public" steht in René Magritte-Schrift über einer Ansammlung flacher Pressspan-Gesellen. Sie sind hübsch paritätisch hell, dunkel und mitteldunkel gefärbt und in der Kammer 3 in den Stuhlreihen platziert. Dort, wo sonst das Publikum sitzt, während wir auf der Bühne thronen. Und nun wird an diesen Nicht-Zuschauern ein Massaker verübt, das zwar mit viel musikalischem Donner und Lichtgewitter daherkommt, aber kein Blutbad hinterlässt und nicht einmal Späne. Denn das Theater ist das Theater und nicht das Leben. So einfach – und so banal!

Verschmuste Publikumsbeschmipfung

Der libanesische Regisseur Rabih Mroué hat für die Münchner Kammerspiele einen Abend angerichtet, der "Kill the Audience" heißt und damit eine Verschärfung von Handkes "Publikumsbeschimpfung" verspricht, in Wahrheit aber auf Peter Steins und Wolfgang Schwiedrziks Inszenierung von Peter Weiss' "Viet Nam Diskurs" rekurriert, die 1968 eben hier im ehemaligen Werkraumtheater der Kammerspiele stattfand. Der damals von der Regie als Conferencier installierte Wolfgang Neuss warf dem agitatorischen Lehrstück ein paar launige Brocken ins Getriebe, indem er sich Dinge wie "Mitleid" und "keine Langeweile" verbat. Am Ende pumpte er die Zuschauer um Geld für den Vietcong an. Ein Skandal war geboren, das Stück rasch abgesetzt und dafür die Diskussion in der Welt, ob das Theaterpublikum generell belehrt werden, zur Aktion angepeitscht oder aus allem Politischen herausgehalten werden solle.

Um es gleich vorweg zu nehmen: Hier und heute wird es lediglich beschmust - und grausam unterfordert. Ja, es droht geradezu an dem dünnen Süppchen zu verhungern, das Mroué angerührt hat, der im Programmheft verrät, dass er Weiss' Stück nur als Vorwand benutzt. Doch herrjeh, wofür?

KillTheAudience3 560 JudithBuss xWaffen in Stellung bringen: Zeynep Bozbay und Eva Löbau in "Kill The Audience"
©  Judith Buss

Wie man die Grausamkeit des Krieges zeigen kann, ohne dem Publikum Bilder der Opfer unter die Nase zu halten: Das könnte ein Mroué-Thema sein, das er mit dem ihm eigenen Mix aus filmischer Collage und Lecture Performance, Dokumentation und Fiktion hätte einkreisen können. Doch hier schafft er es nur bis zu einem 50 Jahre alten Zitat von Harun Farocki: "Wenn wir Ihnen Bilder von Napalm-Verletzungen zeigen, werden Sie die Augen verschließen, zuerst werden Sie die Augen vor den Bildern verschließen, dann werden Sie die Augen vor der Erinnerung daran verschließen, dann werden Sie die Augen vor den Tatsachen verschließen, dann werden Sie die Augen vor den Zusammenhängen verschließen."

Augen auf und durch!

Dabei beginnt alles ganz vielversprechend mit Eva Löbau. Neu im Ensemble ist sie den Münchnern noch als Mitglied der freien Frauen-Formation "Die Bairishe Geisha" bekannt. Löbau gibt eine fröhliche Einführung in Waffenkunde – der Haltung nach irgendwo zwischen pedantischem Youtube-Tutorial und Unter-der-Hand-aus-dem-Nähkästchen-Plaudern. Sie zeigt Schlagstöcke her, die ihren ersten "Auftritt" angeblich im "Viet Nam Diskurs" hatten und seither in den Theaterwerkstätten zum Umrühren von Lacken benutzt worden seien.

KillTheAudience1 560 JudithBuss xUnd das Publikum ins Visier nehmen: "Kill The Audience" ©  Judith Buss

Und sie erzählt die beeindruckende Aufführungsgeschichte der "bei jedem Wetter zuverlässigen" "Hitlergeige": Einer MG 42, die von der Sammlung für den Vietcong angeschafft wurde, aber nur bis in die Kammerspiele kam.

Alles Quatsch natürlich – vermutlich, aber Eva Löbau und Zeynep Bozbay sind gut darin: Im treuherzigen Fabulieren wie im artigen Massakrieren ("Ich nehm noch die Baretta" – "Ja, gerne!"). Sie verteilen Liebeserklärungen ans Publikum an sich und Umarmungen und Küsse an Einzelne. Verwandeln vor einem dritten, auf Folie projizierten Publikum – so viele Publikümer - besonders pathetische und finstere Weiss-Texte in Moritate, woraufhin dieses an den unpassendsten Stellen applaudiert, lacht, schunkelt, buht oder den Raum verlässt.

Angeschautwerden ist konstitutiv

Die Szene zeigt, dass die Synchronisation beider Seiten im Theater auch kläglich schief gehen kann, dauert aber erheblich länger als man braucht, um diese komplexe Tatsache zu verarbeiten. So reiht sich ein Ideechen ans andere. 45 Minuten lang mühsam zusammengehalten vom Charme der beiden Performerinnen und dem mit einem erstaunlichen Instrumentenarsenal und Stilmix aufwartenden Musikerduo Marja Burchard und Maasl Maier. Danach sind wir dran und dürfen 30 Minuten lang das Publikum zu spielen, das wir zuvor nur waren. Um die Binse zu illustrieren, dass das Angeschautwerden für Theater konstitutiv ist. Und das Aktivwerden offenbar nicht unbedingt Zuschauersache. Aua!

 

Kill the Audience
von Rabih Mroué nach "Der Vietnam-Diskurs" von Peter Weiss
Inszenierung: Rabih Mroué, Bühne: Bettina Katja Lange und Rabih Mroué, Licht: Charlotte Marr, Dramaturgie: Martin Valdés-Stauber.
Mit: Zeynep Bozbay und Eva Löbau, Live-Musik: Marja Burchard, Maasl Maier.
Premiere am 12. Dezember 2018
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause

www.muenchner-kammerspiele.de

 

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Kritikenrundschau

"Mroués Idee ist ein Kommentar auf den Organismus Publikum und dessen Reagieren oder Nicht-Reagieren. Und so nicht-vorhanden, dass man sich nicht einmal aufregen kann", schreibt Egbert Tholl in der Süddeutschen Zeitung (14.12.2018) und lobt aber immerhin Eva Löbaus "einzigartige, gelassen empathische, souverän menschliche Art"

Für Sven Ricklefs im Deutschlandfunk (13.12.2018) "franste 'Kill the audience' am Schluss wohl ganz bewusst aus, stellte insgesamt viele Fragen, ohne sich anzumaßen, diese auch zu beantworten – und entpuppte sich damit als kleiner, kurzer Denkraum, als der es wohl auch gedacht war".

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